Dieser Prozess ist auf zwei Arten ironisch. Zum einen, weil eine Kamera, die vermutlich linksextremistische Straftaten beobachten sollte, am Ende Rechtsextreme wegen Morddrohungen an Häuserwänden Dingfest macht. Zum anderen, weil der Angeklagte Sebastian T. am Ende des Prozesses dafür verurteilt wird, wofür er nach seinem rechtsextremistischen Weltbild andere verachtet: Sozialschmarotzertum.
Eigentlich sollte der Prozess in erster Linie zwei Brandanschläge in Neukölln aufklären, die die letzten einer ganzen Serie waren. Das ist trotz monatelanger Observation durch die Polizei nicht gelungen. Der 36-Jährige ist ein bekannter Straftäter, der in der Vergangenheit lange in der NPD aktiv war und inzwischen bei der ebenfalls rechtsextremen Partei „Der Dritte Weg“ mitwirkt. Er schoss mit Pyrotechnik auf einen Wahlstand und zeigte der Polizei seinen Hintern. Das ist lange her, doch in diesem einen Prozess listet die Staatsanwaltschaft viele verschiedene Taten auf. Dazu gehören Sachbeschädigung, Betrug, Bedrohung und Brandstiftung.
Die Richterin sprach den zweiten Hauptangeklagten der Neuköllner Anschlagsserie, Sebastian T., in Bezug auf die Brandanschläge am Dienstag frei. Sein mutmaßlicher Komplize war im Dezember ebenfalls vom Hauptvorwurf der Brandstiftung freigesprochen worden. Das Gericht verurteilte den 39-Jährigen lediglich wegen Sachbeschädigung in neun Fällen zu einer Geldstrafe von 4500 Euro (150 Tagessätze zu je 30 Euro).
Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte Sebastian T. zu eineinhalb Jahren Haft, ohne Bewährung. Wegen Sachbeschädigung in 27 Fällen und Betrugs. Neben der Freiheitsstrafe ordnete das Gericht die Einziehung von rund 16.000 Euro an. Zur Begründung des Urteils erklärt die Richterin, dass trotz langer Observation und des Abhörens von Telefongesprächen die Brandanschläge nie direkt zur Sprache kamen. Das „Ausspähen“ politscher Gegner sei in diesen Kreisen üblich und hätte nicht zwingend Straftaten zur Folge. Die Nebenklage hatte den Freispruch in Bezug auf die Brandanschläge bereits erwartet, weil die Richterin schon im Dezember so entschieden hat.
Berlin: Linke-Politiker war Ziel eines Brandanschlags
Der Geschädigte Ferat Koçak, Abgeordneter Die Linke, sitzt als Nebenkläger im Saal. Die Richterin liest Chatverläufe vor. Die Verläufe zeigen, dass die beiden Hauptangeklagten Ferat Koçak beobachteten, verfolgten und seine persönlichen Daten sammelten. In früheren Interviews erklärte Koçak, er habe davon erst im Gericht erfahren, der Verfassungsschutz habe ihn nicht gewarnt. Die Flammen hätten auf das Haus seiner Eltern übergreifen können, das hatte die Feuerwehr dem Geschädigten bestätigt.
Die Sammlung der Daten wertete das Gericht als Indizien. Die Staatsanwaltschaft führt zudem an, dass Sebastian T. auf die Warnung eines Freundes, dass jemand wüsste, dass er Brandanschläge verübt hat, nur gefragt hat wer – statt zu dementieren oder verwundert zu reagieren. Ebenfalls ein Indiz.
„Das haben Indizienprozesse leider so an sich. Ich gehe davon aus, dass wir in Berufung gehen“, sagte eine der beiden Staatsanwältinnen in Bezug auf das Urteil. „Wir hätten uns für Sachbeschädigungen durchaus Freiheitsstrafen vorstellen können.“ Bei der Einzelauflistung führte die Staatsanwaltschaft für die Sachbeschädigungen, unter anderem in Tateinheit mit Bedrohung und Störung des öffentlichen Friedens jeweils mehrere Monate Freiheitsstrafe an. Während der Observation hatten Polizisten außerdem eine Kampagne mit Stickern, Graffiti und Plakaten für den Nationalsozialisten Rudolf Hess beobachtet. Oberstaatsanwältinnen Pamela Reinsdorff und Eva-Maria Tombrink forderten eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren.
Bei drei Sachbeschädigungen in der Nacht vom 15. auf den 16. März 2019 soll der Angeklagte gemeinsam mit einem Kameraden einen Hausflur und zwei Hausfassaden beschmiert haben. Die gleiche rote Farbe und die gleiche Formulierung deuten auf einen eindeutigen Zusammenhang hin, dem stimmt das Gericht beim Urteil zu: „Neun Millimeter für (vollständiger Name der Personen)“ steht dort zweimal, „Kopfschuss“ und ein Fadenkreuz ist angezeichnet. Einer der Geschädigten hat wegen dieser Bedrohung den Wohnort gewechselt. Derjenige, bei dem die Kamera alles aufzeichnete, gab dagegen nur an „genervt“ gewesen zu sein. Niemand im Gericht weiß genau, warum die Kamera dort hing, die Nebenklage meint, der Verfassungsschutz habe sie angebracht, um linksextreme Gefährder zu beobachten. Die Richterin sagt es sei egal, warum. Der Angeklagte war eindeutig erkennbar.
Die Bedrohungen würden einzeln jeweils mit einer Geldstrafe von zweimal 120 und 90 Tagessätzen belegt. Ebenfalls mit 90 Tagessätzen stuft das Gericht das Abreißen eines Banners einer Schule ein, auf dem sich Schule und Schüler für Vielfalt aussprechen.
Die Nebenklage bemängelt in ihrem Plädoyer, dass das Gericht den Anträgen nicht nachkam weitere Anfragen beim Verfassungsschutz zu stellen. Die Anwältin der Nebenklage legt den Verdacht nahe, dass der Verfassungsschutz versuche, V-Männer zu schützen. Nach dem Prozess spricht sie von einem rechtsextremen Netzwerk. Das Gericht gehe dagegen von einzelnen Taten aus. „Wir müssen weiterhin Angst haben“, sagt Ferat Koçak. „Solange nicht das gesamte rechte Netzwerk aufgedeckt wird, können wir nicht ruhig schlafen.“ Er spricht auch Versäumnisse und Fehler der Berliner Sicherheitsbehörden an, die bislang nicht aufgeklärt sind.
Publikum lacht bei Plädoyer des Verteidigers
Beim Plädoyer des Verteidigers ertönt immer wieder leises Lachen aus dem Publikum. Er spricht von linken Verschwörungstheorien über den Verfassungsschutz, setzt linke und rechte Brandanschläge ins Verhältnis und meint, man müsse dem „irrationalen Umgang bei Taten“ von rechts entgegenwirken. Er erwähnt immer wieder die Objektivität. Als er dann auf den Corona-Betrug zu sprechen kommt, hebt der Verteidiger die Hände und schüttelt den Kopf. „Wir waren damals doch alle hysterisch.“ Die Staatsanwaltschaft hatte dagegen in die Waagschale geworfen, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsprechung durch einen Freispruch möglicherweise erschüttert würde.
Der Vorbestrafte Sebastian T. hatte sich an früheren Prozesstagen lediglich zu den Tatvorwürfen des Betrugs geäußert: Er soll laut Staatsanwaltschaft monatelang Sozialleistungen für eine Wohnung erhalten haben, die er untervermietete. Die Mieteinnahmen gab er nicht an und wohnte bei seiner Lebensgefährtin. Das wurde unter anderem bei Hausdurchsuchungen deutlich, bei denen Beamte weder den Angeklagte antrafen, noch Sachen fanden, die ihm zugeordnet werden konnten. Die Untermieterin machte aber unterschiedliche Angaben zu den Mietzahlungen, weshalb die Richterin diese am Ende gar nicht berücksichtigte. Schon die Finanzierung der zweiten Wohnung durch den Staat führte zur Haftstrafe von einem Jahr.
Weitere Monate bekam er für den Bezug von der Soforthilfe für kleinere Betriebe während des Lockdowns 2020. Er hatte zwar einen Ein-Mann-Betrieb, aber keinerlei nachweisbare Ausgaben. Für die war die Soforthilfe gedacht.
Die Gesamtstrafe von eineinhalb Jahren setzte die Richterin wegen seiner Vorstrafen nicht zur Bewährung aus. Diese liegen zwar lange zurück, das letzte Urteil bezog sich auf das Jahr 2014. Der Angeklagte saß mehrere Monate in Haft. Seitdem sei keine Änderung seines Verhaltens ersichtlich. Koçak verzichtete darauf, gegen das Urteil vorzugehen. Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft hat jedoch Berufung eingelegt.







