Sebastian T. lässt an diesem Mittwoch seinen Anwalt sprechen. In der Erklärung des Angeklagten, die der Verteidiger verliest, steht nichts zu den ihm vorgeworfenen rechtsextremistisch motivierten Brandanschlägen auf zwei Fahrzeuge, nichts zu den in der Anklage stehenden Drohungen gegen Menschen, die sich gegen rechte Gewalt engagieren, nichts zu den Sachbeschädigungen, die er begangen haben soll.
In der Erklärung äußert sich der mehrfach vorbestrafte Mann, der eine Zeit lang Kreisvorsitzender der NPD war, einzig und allein zu den Betrugsvorwürfen, die in dem Verfahren ebenfalls verhandelt werden. Denn der 36-Jährige muss sich nicht nur wegen mutmaßlich rechtsextremistisch motivierter Straftaten verantworten, er soll auch zu Unrecht Arbeitslosengeld und Corona-Hilfen bezogen haben. Doch das weist der gelernte, selbstständige Gärtner an diesem Verhandlungstag von sich.
Laut Anklage erhielt Sebastian T. vom Jobcenter monatelang einen Mietzuschuss für seine Wohnung, obwohl er bei seiner Lebensgefährtin lebte. In dieser Zeit soll er seine Wohnung auch noch untervermietet und die Einnahmen bei der Beantragung von Sozialleistungen nicht angegeben haben. Zudem soll Sebastian T. Unterstützung bei der Investitionsbank beantragt und 5000 Euro erhalten haben, die ihm laut Anklage nicht zugestanden hätten.
Die einzige Zeugin an diesem Verhandlungstag ist Angestellte beim Jobcenter. Sie berichtet, dass die Zahlung von Wohngeld an Sebastian T. eingestellt worden sei, nachdem die Ordnungswidrigkeitsstelle eine Mitteilung des Landeskriminalamtes erhalten habe. Darin habe gestanden, dass T. nicht mehr in seiner Wohnung leben würde. Von Februar 2018 bis Januar 2019 seien dem Kunden somit rund 4700 Euro zu viel gezahlt worden, erklärt die Mitarbeiterin des Jobcenters. Noch sei nichts zurückgefordert worden, weil es sich um ein schwebendes Verfahren handele.
Sebastian T. hat dazu erklärt, er habe sich damals zwar regelmäßig bei seiner Freundin aufgehalten, seine Wohnung jedoch nicht aufgegeben. Er sei sich nicht sicher gewesen, ob die Beziehung halten würde, so die Begründung. Die Frau, die Beamte des Landeskriminalamtes in seiner Wohnung angetroffen hätten, kenne er nicht. „Ich habe mich nicht durch Untervermietung bereichert“, beteuerte Sebastian T.
Seit dem 1. Februar 2020 sei er zudem nicht mehr beim Jobcenter gewesen, weil sich sein Job als Gärtner getragen habe. Dann sei Corona gekommen. Er habe Hilfe beantragt, um seinen Betrieb zu halten. „Ich kann mir nicht vorstellen, was ich falsch gemacht habe.“

Zwei Wochen zuvor wurde Tilo P., einer der beiden Hauptangeklagten, vom Vorwurf der Brandstiftung freigesprochen. Der 39-Jährige muss lediglich wegen Sachbeschädigung in neun Fällen eine Geldstrafe von 4500 Euro zahlen (150 Tagessätze).
Auch Samuel B. saß auf der Anklagebank. Der 39-Jährige wurde schon Mitte Oktober zu einer Geldstrafe von 4500 Euro (150 Tagessätze) wegen Sachbeschädigung verurteilt – er hatte Rudolf-Heß-Sticker geklebt. Schon vor Prozessbeginn war das Verfahren gegen den 50-jährigen Stefan K. abgetrennt, gegen ihn ein Strafbefehl wegen Sachbeschädigung erlassen worden: 60 Tagessätze zu je 15 Euro. Dagegen hat er Einspruch eingelegt.
Der erste Prozesstag im neuen Jahr in dem Verfahren, in dem es hauptsächlich um die Serie rechtsextremistisch motivierter Anschläge in Neukölln gehen soll, ruft wenig Interesse hervor. Zuschauer sind kaum gekommen, auch die Zahl der Medienvertreter ist überschaubar.
Es ist, als wäre dem Verfahren mit dem vor drei Wochen gesprochenen Urteil gegen Tilo P. die Luft ausgegangen. Der 39-Jährige war neben Sebastian T. ursprünglich der zweite Hauptangeklagte in dem Prozess. Mitte Dezember wurde er vom Vorwurf der Brandstiftung freigesprochen. Lediglich wegen Sachbeschädigung wurde er zu einer Geldstrafe von 4500 Euro verurteilt.
Ein Urteil könnte Anfang Februar fallen
Und es ist auch einsam geworden auf der Anklagebank des Amtsgerichts Tiergarten. Waren in dem sogenannten Neukölln-Komplex ursprünglich fünf Männer angeklagt, so ist nur noch Sebastian T. übrig geblieben. Zentraler Punkt der Anklage sind zwei Brandanschläge. In der Nacht zum 1. Februar 2018 brannten in Neukölln die Autos des Linke-Politikers Ferat Kocak und des Buchhändlers Heinz Ostermann. Beide sind im Bezirk für ihr Engagement gegen Rechtsextremismus bekannt. In dem Prozess ist aber nur Kocak als Nebenkläger zugelassen. Die Flammen an seinem Autos drohten damals auf das Haus überzugreifen, in dem auch seine Eltern schliefen.
Nach dem Freispruch von Tilo P. hatte sich Kocak wenig überrascht gezeigt. Er verwies noch einmal auf die Pannen bei den Ermittlungen. So sei er von den Sicherheitsbehörden nicht vor einem möglichen Anschlag gewarnt worden, obwohl diese von der Gefahr wussten. Und LKA-Beamte hätten Bekanntschaften mit den Verdächtigen gepflegt. Der Linke-Politiker nannte die Angeklagten Sebastian T. und Tilo P. Teil eines organisierten Netzwerks von Nazis. Das Gericht habe von einer Struktur, also weiteren Beteiligten, jedoch nichts wissen wollen.
Für Kocak ist es jedoch auch wichtig, dass durch den Prozess die Tatsachen noch einmal ins Rampenlicht gezogen wurden. „Klar bleibt für mich aber auch: Auf den Staat ist kein Verlass beim Kampf gegen Rechtsterrorismus und seine Strukturen.“


