Justiz

Bushido-Prozess: Freispruch und Haftentschädigung auf Kosten der Steuerzahler

Arafat Abou-Chaker führt sich nach der Urteilsverkündung auf, als hätte er einen Grammy gewonnen, und dankt seinen Helfern. Die Kosten der Abou-Chaker-Show trägt Berlin.

Der Hauptangeklagte Arafat Abou-Chaker im Kriminalgericht in Berlin-Moabit
Der Hauptangeklagte Arafat Abou-Chaker im Kriminalgericht in Berlin-MoabitSebastian Christoph Gollnow/dpa

Es ist das Ende eines Mammut-Verfahrens, wie es sich nur wenige hatten vorstellen können und doch für viele Insider nicht überraschend sein konnte: Arafat Abou-Chaker steht am Ausgang des Saals 500, den er an 113 Prozesstagen als Angeklagter betreten hat, und sagt am 114. Tag lächelnd: „Die Gerechtigkeit hat endlich gesiegt!“ Dann zählt er wie ein Gewinner der Grammy Awards die Menschen auf, die dazu beigetragen haben, dass es zu diesem Moment kommen konnte. Wie in einem Werbeblock spricht er die Namen aller sieben Anwälte in die Mikrofone und dankt ihnen, dass sie ihm zu diesem Erfolg verholfen haben.

Kurz zuvor war im Gerichtssaal das Urteil gegen den Ex-Manager Bushidos und seine Brüder gefallen. Der Beschuldigte wurde von den Hauptvorwürfen freigesprochen. Das Landgericht Berlin sah es nicht als erwiesen an, dass der 47-jährige Arafat Abou-Chaker den Rapper Bushido zur Zahlung von Millionenbeträgen erpressen wollte, ihn dafür eingesperrt oder dessen Familie bedroht hatte. Die Richter verurteilten ihn, der als Berliner Clan-Chef gilt, lediglich wegen 13 Fällen von unerlaubten Tonbandaufnahmen zu einer Geldstrafe von gesamt 81.000 Euro, aufgeteilt auf 90 Tagessätze à 900 Euro. Die übrigen Kosten des Verfahrens trägt zum großen Teil die Stadt Berlin

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Das Verfahren hatte viel Aufsehen erregt, besonders unter Berlins sogenannten Gangster-Rappern, die zum Teil auch als Zeugen in dem dreieinhalbjährigen Verfahren geladen waren. Zur Urteilsverkündung waren Rapper wie Fler und Ali Bumaye auch im Zuschauerraum anwesend. Der 45 Jahre alte Bushido, der mit bürgerlichem Namen Anis Mohamed Ferchichi heißt, war in dem Strafverfahren Zeuge und Nebenkläger, am Tag der Urteilsverkündung allerdings wurde er nur durch seinen Anwalt vertreten. Bushido lebt mit seiner Familie in Dubai. Ein Großteil der Vorwürfe gegen Arafat Abou-Chaker und seine mitangeklagten Brüder basierte auf den Aussagen des Rappers. Die vier Brüder äußerten sich zu den Vorwürfen bis zum Ende des Prozesses nicht.

Der Richter brachte in seiner Urteilsverkündung erhebliche Zweifel an der Version an, die Bushido vor Gericht an 25 Prozesstagen vorgetragen hatte. „Unter anderem der Tatbestand der versuchten räuberischen Erpressung“, sagt der Richter, „ließ sich auch aufgrund der Aussage Ferchichis nicht bestätigen.“ Ebenso habe es berechtigte Zweifel an der möglichen Freiheitsberaubung gegeben. Was die Vorwürfe der Körperverletzung angehe, habe es bezüglich der Verletzungen Bushidos unterschiedliche Aussagen gegeben. Selbst die Aussage von Anna-Maria Ferchichi, der Ehefrau Bushidos, sei nicht eindeutig darin gewesen, ob die Wasserflasche geworfen wurde oder ob Bushido damit geschlagen worden sei.

Gegen die drei Brüder von Arafat Abou-Chaker wurden Gesamtstrafen von sieben Monaten auf Bewährung bis zwei Jahre und ein Monat Haft beantragt. Auch sie wurden jedoch von den Vorwürfen zulasten des Musikers freigesprochen. Der Hauptangeklagte und einer seiner Brüder erhalten zudem nach dem Urteil Haftentschädigung für eine kurze Zeit, die sie in Untersuchungshaft saßen.

Der Richter betonte in seiner Urteilsverkündung noch einmal, dass die Dauer des Verfahrens schon deshalb geboten war, weil eine Vielzahl von Zeugen zu diesem Vorfall angehört werden musste, 62 waren es insgesamt. Seit August 2020 hatte das Gericht unter strengen Sicherheitsvorkehrungen versucht, herauszufinden, was genau am 18. Januar 2018 in den Büros von Abou-Chaker und Bushido in der Puderstraße geschehen war und inwiefern sich daraus eine Bedrohung von Leib und Leben von Bushido sowie seiner mittlerweile acht Kinder und seiner Ehefrau ergeben hätte.

Großteil der Vorwürfe basiert auf Aussagen Bushidos

Der Richter verlas auch am Tag der Urteilsverkündung noch einmal den Satz, den Bushido an jenem Januartag als Bedrohung seiner Familie verstanden hat: „Zuerst ficke ich deinen Vater, dann ficke ich deine Mutter, etc.“ Der Richter stellte fest, dass es trotz dieser Drohungen letztlich immer um eine finanzielle Einigung gegangen sei, da die beiden ehemaligen Partner einander eine Zeit lang durchaus konkrete Summen vorschlugen. Bushido hatte sich nach 14 gemeinsamen Jahren von seinem ehemaligen Manager trennen wollen. Der Streit sei schließlich eskaliert. Der Richter erwähnte auch einen Ruf der Ehefrau Bushidos: „Ich bring’ dich in den Knast!“

Viele Prozessbeobachter sahen in dem Verfahren einen lang erhofften Schlag gegen die sogenannte Clankriminalität in Berlin. Immerhin mussten die vier Angeklagten über mehr als drei Jahre pünktlich vor Gericht erscheinen und sich dort für verschiedene Taten verantworten. Ein Mitglied der Abou-Chaker-Familie wurde wegen des Pokerraubes vor einigen Jahren in Berlin zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Der Bruder von Arafat Abou-Chaker saß am Montag ebenfalls unter den Zuschauern.

Die anderen Anklagepunkte führten zu einem Freispruch: Es ging um Veruntreuung von 180.000 Euro, einen Verkehrsunfall und Falschaussage. So wurde Arafat Abou-Chaker vorgeworfen, er habe zu Unrecht behauptet, ein Polizeibeamter habe ihn als „Hund“ beleidigt. Doch nach einer Aufnahme Abou-Chakers konnte er diese Beleidigung beweisen.

Überhaupt waren die Aufnahmen ein zentrales Thema in diesem Prozess. Eine angebliche Aufnahme von jenem 18. Januar 2018 war dem Magazin Stern zugespielt worden und wurde ebenfalls von der Verteidigung als ein Hauptbeweismittel für die Unglaubwürdigkeit Bushidos herangezogen. Obwohl ein Sachverständiger zu dem Schluss kam, dass diese Aufnahme zu stark beschädigt sei, um als Beweismittel genutzt zu werden. Laut Vorsitzendem Richter hat diese Aufnahme das Verfahren um rund ein Jahr in die Länge gezogen. Ob das Konsequenzen für das Magazin Stern hat, wollte am Montag keiner der Prozessbeteiligten sagen.

Unzufrieden war in jedem Fall die Oberstaatsanwältin Petra Leister. Sie tritt am Montag vor die Presse und gibt sich weiter kampfeslustig. „Es wird Sie nicht überraschen“, sagt sie der Berliner Zeitung, „dass ich einige Dinge anders sehe als der Vorsitzende Richter.“ Sie schätze die Glaubwürdigkeit des Nebenklägers Ferchichi anders ein als er – und bewerte auch den Fall um die 180.000 Euro anders. Ärgerlich findet sie die Festsetzung der Tagessätze auf 900 Euro, was sie für zu niedrig hält. „Wir werden in Revision gehen“, sagt sie. Besonders enttäuscht ist sie von den Zeugen, die häufig nichts gesehen oder gehört haben wollen. „Sie verfolgen häufig ihre eigenen Interessen.“