Bildung

Bildungsskandal in Köln? 73 Plagiatsvorwürfe gegen Unipräsidentin sorgen für Aufsehen

Universitätspräsidenten, die nach DEI-Kriterien ausgewählt wurden, stehen in den USA in der Kritik. Ein Plagiatsvorwurf in Köln wirft nun auch in Deutschland wissenschaftliche Fragen auf.

Prof. Dr. Anja Karlshaus ist Präsidentin der CBS-Universität in Köln.
Prof. Dr. Anja Karlshaus ist Präsidentin der CBS-Universität in Köln.CBS

DEI bedeutet: Diversity, Equity and Inclusion, auf Deutsch: Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion. In den USA besetzte man nach diesen Kriterien zahlreiche Hochschulposten. Das sorgte für Skandale: Claudine Gay (Harvard) und Liz Magill (University of Pennsylvania) sind die bekanntesten Beispiele. Die Präsidentinnen traten zurück, die Qualität ihrer wissenschaftlichen Arbeiten wird breit infrage gestellt. In Deutschland gab es bisher keinen Fall, doch jetzt erhebt der bekannte Plagiatsforscher Stefan Weber Vorwürfe gegen Prof. Dr. Anja Karlshaus. Karlshaus ist Soziologin, interessanterweise aber Präsidentin der privaten CBS-Universität in Köln – einer Wirtschaftshochschule (Cologne Business School).

Schweres wissenschaftliches Fehlverhalten

Anja Karlshaus beschäftigt sich in ihren wissenschaftlichen Arbeiten hauptsächlich mit Themen wie „Teilzeit für Führungskräfte“ oder „Jobsharing“, die zusammen mit Co-Autoren in praxisnahen Zeitschriften, nicht in international anerkannten wissenschaftlichen Journalen erscheinen. Der Titel ihrer Dissertation aus dem Jahr 2005 lautet „Weiche HR-Kennzahlen im strategischen Personalmanagement“. Diese hat Stefan Weber geprüft und 73 Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis festgestellt. Webers Urteil: „Hier liegt klar ein schweres wissenschaftliches Fehlverhalten vor.“ Karlshaus habe aus mindestens sechs Werken, die (mit einer Ausnahme in einer Fußnote) an keiner Stelle der Dissertation erwähnt wurden, abgeschrieben. Hierbei handele es sich – neben dem Vollplagiat – laut Weber um die stärkste Form des Plagiats.

Immer wieder habe Karlshaus auch Literaturreferenzen und Originalzitate aus den unzitierten Sekundärquellen abgeschrieben und damit eine Quellenarbeit simuliert, die nicht stattgefunden habe. Dabei soll Karlshaus auch Inspiration aus der eigenen Familie gezogen haben, laut Weber übernahm sie auch Inhalte aus der Dissertation ihres damaligen Ehemannes. Weber kommt im Gutachten zu dem Schluss: „Es widerspricht der Glaubwürdigkeit im Wissenschaftssystem grundlegend, wenn eine Absolventin, die in ihrer Dissertation an mindestens 73 Stellen plagiiert hat, später Hochschulprofessorin und sogar Hochschulpräsidentin wird. Der Fall ist als schwerwiegend einzustufen – vor allem auch deshalb, weil er eine führende akademische Repräsentantin betrifft.“

Stefan Weber stammt aus Österreich, zuletzt erregte der Plagiatsgutachter Aufsehen mit Vorwürfen gegen Robert Habeck.
Stefan Weber stammt aus Österreich, zuletzt erregte der Plagiatsgutachter Aufsehen mit Vorwürfen gegen Robert Habeck.privat

Der Fall Karlshaus wäre einmalig in Deutschland. Einen derart schweren Plagiatsverdacht gegen die Leitung einer Hochschule gab es laut Stefan Weber noch nie: „Es gab in Deutschland vereinzelt Plagiatsvorwürfe gegen Professoren, nach meiner Kenntnis aber noch nie gegen den höchsten Repräsentanten einer deutschen Hochschule. Wer in diese akademischen Höhen aufsteigt, hat sich üblicherweise wirklich um die Wissenschaft verdient gemacht und sein Werk wurde doppelt und dreifach auf Relevanz und Authentizität überprüft.“ Anja Karlshaus bestreitet gegenüber der Berliner Zeitung die Vorwürfe. Ihr Anwalt weist darauf hin, dass Weber nur die später veröffentlichte Buchfassung der Dissertation untersucht habe, nicht das Original. Allerdings wollte Karlshaus der Berliner Zeitung nicht das Original zur Verfügung stellen. Auf die Frage, ob die Fassungen sich unterscheiden, besonders an den fraglichen Stellen, kommt keine Antwort. Die Anwälte deuten außerdem an, dass es an der privaten EBS-Universität (European Business School) damals laxere Zitierregeln gegolten haben könnten. Man müsse „den damaligen Kontext und die spezifischen Gepflogenheiten des Fachbereichs und der Universität“ berücksichtigen. Ob laxere Regeln tatsächlich galten, bleibt auf Nachfrage der Berliner Zeitung unklar.

Karlshaus bestreitet die Plagiatsvorwürfe

Alle 73 Plagiatsvorwürfe werden von Anja Karlshaus bestritten. Sie habe keineswegs Quellenarbeit simuliert. Sie habe auch keine Täuschungsabsicht gehabt. Sollte sie einzelne der konsultierten Dissertationen nicht als Quellen oder Hilfsmittel benannt haben, so liege dies daran, dass sie diese Arbeiten als „thematisch von geringer Relevanz“ eingeschätzt habe. Zugriff auf die digitale Datei der Dissertation ihres damaligen Mannes habe sie nicht gehabt. Die Übernahmen aus dessen nirgendwo zitierter Dissertation erklärt sie damit, dass sie mit ihm zusammenlebte und daher Zugriff auf seine Fachliteratur hatte, die zum Teil bereits an wichtigen Stellen markiert war. Hierdurch möge es „zu gewissen Überschneidungen“ oder „zu einer unbewussten sprachlichen Beeinflussung durch die intensive Auseinandersetzung mit den Arbeiten des anderen gekommen sein“. Sie räumt ein, „dass einige wenige Passagen aus heutiger Sicht eine zu große sprachliche Nähe aufweisen könnten“, was sie bedauere.

Die EBS-Universität hat ein internes Prüfungsverfahren eingeleitet. Auf Nachfrage der Berliner Zeitung heißt es dazu: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir den Vorgang derzeit nicht weitergehend kommentieren können. Die Prüfung wird mit der gebotenen Sorgfalt, Unvoreingenommenheit und unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte aller Beteiligten durchgeführt.“ Die CBS-Universität gehört zur Klett-Gruppe, einem der größten und angesehensten Bildungsverlage in Deutschland. Man wird sich am Firmensitz in Stuttgart vielleicht fragen müssen, ob eine möglicherweise der gesellschaftlichen Mode entsprechende Besetzung der Leitung einer Wirtschaftshochschule im Nachhinein eine gute Idee war.