Russland und die Ukraine haben sich am Freitag gegenseitig eines Angriffs auf ein Gefängnis mit bis zu 53 Toten und 75 Verletzten bezichtigt. Für den Angriff auf die Haftanstalt mit ukrainischen Kriegsgefangenen in der Region Donezk sei von ukrainischer Seite ein von den USA gelieferter Himars-Raketenwerfer eingesetzt worden, erklärte das russische Verteidigungsministerium in Moskau. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hingegen warf der russischen Armee ein „entsetzliches Kriegsverbrechen“ vor.
Nach russischen Angaben waren in dem Gefängnis im frontnahen Oleniwka in der russisch kontrollierten Region ukrainische Kriegsgefangene inhaftiert, unter ihnen Mitglieder des Asow-Regiments. Das russische Staatsfernsehen zeigte Aufnahmen von verkohlten Baracken. Opfer waren nicht zu sehen.
Über die Zahl der Opfer gab es unterschiedliche Angaben. Der Anführer der russischen Besatzer in Donezk, Denis Puschilin, sprach von 47 Toten. Die Militärverwaltung der russischen Besatzungsbehörden gab die Zahl der Todesopfer mit 53 an.
Ukrainischer Geheimdienst veröffentlicht mutmaßliches Telefongespräch
Die Ukraine wies Russland die Verantwortung zu. Die russische Armee habe die Haftanstalt bombardiert, erklärte Kuleba. Das ukrainische Militär versicherte, sich an das humanitäre Völkerrecht zu halten. Es habe „niemals zivile Infrastruktur beschossen und wird dies auch nicht tun, insbesondere nicht Orte, an denen wahrscheinlich Kriegsgefangene festgehalten werden“, erklärte das Militär.
Stattdessen gibt der ukrainische Geheimdienst SBU an, ein Telefongespräch russischer Einheiten abgefangen zu haben. Laut dem SBU vermuteten die im Gespräch miteinander befindlichen mutmaßlichen russischen Kämpfer, dass das russische Militär die Anlage selbst zerstört habe. So heißt es in dem Gespräch, dass auf dem Gelände vermutlich Sprengstoff platziert worden sei. Keiner der am Gespräch beteiligten Männer habe ein für Raketen charakteristisches Pfeifen wahrgenommen, heißt es. Stattdessen seien die Explosionen ohne Beschuss ausgebrochen. Die Echtheit des Gespräches konnte bisher nicht unabhängig überprüft werden.
Der ukrainische Geheimdienst veröffentlicht immer wieder von ihm abgefangene Telefongespräche im Zusammenhang mit mutmaßlichen russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine. Der SBU gibt an, über mehrere, den Brand in Oleniwka betreffende Telefongespräche zu verfügen. Man habe sie den zuständigen Ermittlern übergeben, die Kriegsverbrechen nach Artikel 438 des ukrainischen Strafgesetzbuches verfolgen würden. Zudem hätten Analysen von Propagandavideos, die die russischen Propagandakanäle selbst veröffentlich haben, selbst gezeigt, dass Fenster noch intakt sind, die bei einer Druckwelle durch einen Raketenangriff zerstört worden wären.
Kreml: Kämpfer des Asow-Regiments von eigenen Leuten beschossen
Der Chef der russischen Besatzungsbehörden Puschilin sagte im russischen Staatsfernsehen, zum Zeitpunkt des Angriffs hätten sich 193 Insassen in dem südwestlich von Donezk gelegenen Gefängnis befunden. Unter ihnen waren nach Angaben Moskaus auch Kämpfer des Asow-Regiments, die im Mai nach erbitterten Gefechten um das Asow-Stahlwerk in der Hafenstadt Mariupol in russische Kriegsgefangenschaft geraten waren.
Das russische Verteidigungsministerium nannte den Angriff auf das Gefängnis in Oleniwka eine „skandalöse Provokation“, die darauf abziele, den ukrainischen Soldaten Angst zu machen und sie davon abzuhalten, sich zu ergeben.



