G20-Gipfel

Krieg „in“ der Ukraine? Außenministerium in Kiew zerlegt G20-Erklärung

Auf Chinas Wunsch: Die G20-Erklärung erwähnt die russische Aggression gegen die Ukraine nicht. Der Sprecher des Außenministeriums in Kiew veröffentlicht seine Version.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow nimmt am G20-Gipfel in New-Delhi teil. Neben ihm: der saudi-arabische Kronprinz und Premierminister Mohammed bin Salman, den 9. September 2023.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow nimmt am G20-Gipfel in New-Delhi teil. Neben ihm: der saudi-arabische Kronprinz und Premierminister Mohammed bin Salman, den 9. September 2023.www.imago-images.de

Die gemeinsame G20-Abschlusserklärung in Neu-Delhi sorgt für Aufregung in Kiew. Denn statt die russische Invasion in der Ukraine als solche zu benennen und zu verurteilen, haben sich die Staats- und Regierungschefs der G20 nur auf den Krieg „in“ der Ukraine bezogen.

Die USA und andere Nato-Staaten waren ebenfalls gegen die neutrale Formulierung, weil sie nach ihrer Sicht impliziert, dass beide Seiten gleichermaßen mitschuldig sind. China und Russland konnten sich jedoch durchsetzen und betonten damit den Mangel an globalem Konsens zur Unterstützung der Ukraine, wie die britische Zeitung Financial Times (FT) unter anderem berichtet. In der vorherigen G20-Erklärung, die letzten November in Indonesien abgegeben wurde, war noch von einer „Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine“ die Rede. In diesem Jahr verurteilten die Mitgliedsstaaten lediglich den „Einsatz von Gewalt“ zur Erzielung von „Geländegewinnen“ in der Ukraine  ohne Russland zu erwähnen.

G20-Gipfel: Chinas Weigerung entscheidend bei der Wortwahl

Chinas Weigerung, diese Formulierung zu wiederholen, sei entscheidend dafür gewesen, den Gastgeber des G20-Gipfels, Indien, zu einer Kompromisssprache zu bewegen, schreibt die FT unter Verweis auf westliche Diplomaten. Indiens Außenminister S. Jaishankar sagte dazu: „Es ist eine Tatsache, dass dies heute ein sehr polarisierendes Thema ist. Es gibt hierzu unterschiedliche Ansichten, daher denke ich, dass es fairerweise nur richtig war, die Realität in den Besprechungsräumen festzuhalten.“ 

Der Sprecher des ukrainischen Außenministeriums, Oleg Nikolenko, ließ sich das nicht gefallen: „Was die Aggression Russlands gegen die Ukraine angeht, hat die Gruppe der Zwanzig keinen Grund, stolz zu sein“, schrieb er auf X (vormals Twitter). 

Gegenüber der FT wünschte er sich eine Teilnahme der ukrainischen Seite an der Abschlusserklärung, um „ein besseres Verständnis der Situation zu ermöglichen“. Allerdings ist die Ukraine kein Mitglied der Gruppe der Zwanzig, anders als Russland und China.

In einem auf X verknüpften Dokument setzt Nikolenko „starke Worte“ ein anstelle der Formulierungen, auf die die G20-Mitglieder aus seiner Sicht „nicht stolz sein könnten“, zum Beispiel: Krieg gegen die Ukraine anstelle des Krieges in der Ukraine, – oder Russland müsse den Einsatz von Gewalt beenden anstelle aller Staaten. Den Satz „Es gab unterschiedliche Ansichten und Einschätzungen zur Situation zur Ukraine-Krise“ würde Nikolenko komplett streichen und stattdessen schreiben: „Die G20-Mitglieder verurteilen Russlands Krieg gegen die Ukraine eindeutig und fordern Moskau auf, ihn sofort zu beenden“.

G20-Abschlusserklärung „ein Kompromiss“ für die Einigung in anderen Fragen

Grundsätzlich fordert die G20-Abschlusserklärung einen „gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine“, verknüpft diese Forderung jedoch nicht ausdrücklich mit der Bedeutung der territorialen Integrität der Ukraine, wie es die westlichen Länder gefordert hatten. Es enthielt auch nicht die Aussage aus der Fassung von 2022, in der es hieß: „Die meisten Mitglieder verurteilten den Krieg aufs Schärfste.“

Die Streichung westlicher Kritik an Russland ermöglichte es nach Angaben der Financial Times den G20-Staaten, eine Einigung in anderen Fragen zu erzielen, beispielsweise in der Zusage, die Exporte von ukrainischem Getreide durch das Schwarze Meer wieder aufzunehmen. Der Kompromiss in der Sprache sei notwendig gewesen, um den Konsens bei anderen Fragen aufrechtzuerhalten, zitiert die FT einen hochrangigen westlichen Beamten, der beim Gipfel anwesend war. „Die Wahl, die wir hatten, war es, einen Text oder gar keinen Text zu veröffentlichen. Und ich denke, die richtige Entscheidung war der Text“, sagte der Beamte. „Man hält so die G20 als Organisation am Leben.“

Der nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, zeigte sich ebenfalls zufrieden mit dem Kompromiss. Die Erklärung enthält aus seiner Sicht „eine Reihe folgenreicher Absätze“ zum Krieg.

„Aus unserer Sicht leistet es einen sehr guten Beitrag für den Grundsatz, dass Staaten keine Gewalt anwenden dürfen, um Gebietserwerb anzustreben“, zitiert ihn die FT.  Insgesamt sei die Erklärung ein „Votum des Vertrauens, dass die G20 zusammenkommen können, um eine Reihe dringender Probleme anzugehen und auch schwierige Probleme zu lösen, die einige Mitglieder tatsächlich sehr von anderen trennen“, sagte Sullivan.

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