Nach Beginn eines großangelegten aserbaidschanischen Militäreinsatzes in der umkämpften Kaukasusregion Bergkarabach hat die örtliche Regierung nach eigenen Angaben 7000 Menschen aus 16 Dörfern in Sicherheit gebracht. 27 Menschen seien bei den Angriffen gestorben. Darunter befänden sich zwei Zivilisten, schrieb der Menschenrechtsbeauftragte von Bergkarabach, Gegam Stepanjan, auf X (vormals Twitter) und sprach von einem „umfassenden Terrorangriff durch Aserbaidschan“. Stepanakert, die unter Kontrolle der Separatisten stehenden Hauptstadt der zwischen beiden Ländern seit Jahrzehnten umstrittenen Region, stand nach Angaben eines AFP-Reporters am Dienstagabend weiter unter Beschuss.
Die Behörden in Bergkarabach riefen zu einem sofortigen Waffenstillstand auf. Bergkarabach fordere die aserbaidschanische Seite auf, das Feuer sofort einzustellen und Verhandlungen aufzunehmen, erklärte das Außenministerium der abtrünnigen Region am Dienstag im Onlinedienst Telegram. Aserbaidschan erklärte sich zu Verhandlungen bereit, forderte dafür aber eine Kapitulation der armenischen Separatisten in Bergkarabach.
UPDATE!
— Gegham Stepanyan #StopArtsakhBlockade (@Gegham_Artsakh) September 19, 2023
According to the information received from the Stepanakert’s morgue by the Office of the Human Rights Defender, as of 22:30, there are 27 victims due to the continuous full-fledged terroristic attack by AZE, among whom 2 are civilians. The number of injured exceeds 200. https://t.co/E3fkvLeyzA
Baku fordert Auflösung der Separatisten-Regierung von Bergkarabach
Die armenischen Truppen in der Region müssten sich auflösen und ihre Waffen abgeben, auch das „illegale Regime“ müsse sich auflösen, erklärte die aserbaidschanische Präsidialverwaltung in Baku. Andernfalls würden die „Antiterror-Einsätze bis zum Ende fortgesetzt“. Aserbaidschan schlug Gespräche „mit Vertretern der armenischen Bevölkerung Karabachs“ in der aserbaidschanischen Stadt Jewlach vor. Derweil verkündeten die Behörden in Baku, der Zugang zur Online-Plattform TikTok im Land werde „vorübergehend“ gesperrt.
Aserbaidschan hatte am Dienstagmorgen nach eigenen Angaben mit „Antiterroreinsätzen“ in der Region Bergkarabach begonnen. Die Einsätze richteten sich gegen armenische Kräfte, teilte das Verteidigungsministerium in Baku mit. Mehrere Städte stehen laut der in Armenien ansässigen Vertretung von Bergkarabach unter „intensivem Beschuss“. Am Nachmittag hieß es zudem vom armenischen Regierungschef Nikol Paschinjan, die aserbaidschanische Armee habe einen Einsatz am Boden in der umstrittenen Kaukasus-Region Bergkarabach gestartet.
Armenien: Aserbaidschan betreibt „ethnische Säuberungen“
Aserbaidschan habe einen „Einsatz mit Bodentruppen“ mit dem Ziel losgetreten, die „ethnische Säuberung“ gegen die armenische Bevölkerung in der Region zu betreiben, sagte Paschinjan am Dienstag in einer Fernsehansprache. Armenien sei „nicht in Kampfhandlungen verwickelt“, die Lage an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze sei derzeit „stabil“. Der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan berief dem Verteidigungsministerium zufolge angesichts der „groß angelegten Militäraktionen“ Aserbaidschans den nationalen Sicherheitsrat ein.
Das armenische Außenministerium appellierte in einer Erklärung an die in Bergkarabach stationierten russischen Friedenstruppen, die aserbaidschanische „Aggression“ mit „eindeutigen“ Maßnahmen zu beenden.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan stellte sich derweil hinter den neuen Militäreinsatz. Die Türkei unterstütze die Schritte zum „Schutz der regionalen Integrität Aserbaidschans“, sagte er am Dienstag zu Beginn der Generaldebatte der UN-Vollversammlung in New York. Später fügte Erdogan hinzu, er hoffe auf ein schnelles Ende der „Entwicklungen in der Region“.
Iran bietet Vermittlung zwischen Armenien und Aserbaidschan an
Der Iran bot derweil Vermittlung aus Teheran an. Der iranische Außenamtssprecher Nasser Kanaani forderte am Dienstag die Einhaltung des Waffenstillstandsabkommens von 2020 zwischen Aserbaidschan und Armenien, die beide eine Grenze mit dem Iran teilen. Erst vor wenigen Tagen hatte Irans Verteidigungsminister Mohammed-Resa Aschtiani vor einem Krieg in der Region gewarnt.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verlangte von Aserbaidschan ein sofortiges Ende der Militäraktion. „Aserbaidschan muss den Beschuss sofort einstellen und an den Verhandlungstisch zurückkehren“, forderte die Grünen-Politikerin am Dienstag am Rande der UN-Vollversammlung in New York. Auch US-Außenminister Antony Blinken rief Aserbaidschan auf, seine Militäroffensive „sofort“ zu beenden.
Russland vermittelte 2020 Waffenstillstand
Aserbaidschan und Armenien streiten seit dem Zerfall der Sowjetunion um Bergkarabach und lieferten sich bereits zwei Kriege um das Gebiet. Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, in dem Gebiet leben aber überwiegend Armenier. Nach sechswöchigen Kämpfen im Jahr 2020 mit mehr als 6500 Toten hatte Russland ein Waffenstillstandsabkommen vermittelt, das Armenien zur Aufgabe großer Gebiete zwang.
Seitdem gibt es immer wieder tödliche Auseinandersetzungen an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze. In den vergangenen Monaten hatten die Spannungen um das stark verminte Bergkarabach wieder deutlich zugenommen.


