Nach den Angriffen der USA auf iranische Atomanlagen hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Sonntagmorgen das Sicherheitskabinett der Bundesregierung einberufen. Dabei habe er die Aufforderung an den Iran bekräftigt, „sofort Verhandlungen mit den USA und Israel aufzunehmen und zu einer diplomatischen Lösung des Konflikts zu kommen“, teilte sein Sprecher Stefan Kornelius mit.
Im Laufe des Tages wollen sich Merz und die Minister des Sicherheitskabinetts demnach mit ihren Partnern in der EU und mit den USA „über weitere Schritte eng abstimmen“. In der Nacht zum Sonntag hatten sich die USA in den Krieg zwischen Israel und dem Iran eingeschaltet und nach den Worten von US-Präsident Donald Trump die drei wichtigsten iranischen Atomanlagen in Natans, Fordo und Isfahan angegriffen.
„Die Bundesregierung geht davon aus, dass große Teile des iranischen Nuklearprogramms durch die Luftschläge beeinträchtigt wurden“, teilte Merz’ Sprecher weiter mit. Eine genaue Schadensanalyse werde erst später möglich sein. Doch schon früh meldeten sich Politiker verschiedener Parteien und Experten zu Wort.
Linke-Vorsitzender warnt vor Glaubwürdigkeitsverlust
Jan van Aken, Vorsitzender der Partei Die Linke, verurteilte die jüngsten Handlungen der USA: „Der Angriff der USA auf den Iran ist ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Es ist richtig, dass eine Atombombe des Iran auf jeden Fall verhindert werden muss. Das können aber keine militärischen Angriffe, sondern nur Verhandlungen und engmaschige Überwachungen vor Ort. Sonst droht das Nordkorea-Szenario – auch dort waren Verhandlungen gescheitert, und dann konnte das Land unkontrolliert Atombomben bauen.“ Militärische Angriffe könnten das iranische Atomprogramm allenfalls verzögern, aber nicht stoppen. „Die nächste Atomanlage wird dann halt noch tiefer unter Felsgestein gebaut“, sagte van Aken.
Auch warnte er vor den Folgen für die Menschen in Iran und Israel sowie für die Glaubwürdigkeit im Umgang mit Völkerrechtsbrüchen weltweit. „Wenn der Westen selbst das Völkerrecht verletzt, wird es umso schwerer, globale Unterstützung für die Ukraine und den Kampf gegen den Völkerrechtsverletzer Putin zu gewinnen. Für Putin war das heute daher wieder einmal ein guter Tag.“
Spahn: Zerstörung des iranischen Atomprogramms eine Chance für Frieden
Unionsfraktionschef Jens Spahn sieht nach den US-Angriffen auf iranische Atomanlagen derweil eine Chance auf Frieden und Stabilität im Nahen Osten. „Das iranische Regime will Israel vernichten, den Nahen Osten dominieren und unterstützt aktiv den russischen Kriegstreiber. Eine Zerstörung des iranischen Atomprogramms bietet die Chance, der Region und den Menschen dauerhaft Stabilität und Frieden zu bringen“, schrieb der CDU-Politiker auf X. Voraussetzung sei aber, dass der Iran zu ernsthaften Gesprächen bereit ist.
Das iranische Regime will Israel vernichten, den Nahen Osten dominieren und unterstützt aktiv den russischen Kriegstreiber. Eine Zerstörung des iranischen Atomprogramms bietet die Chance, der Region und den Menschen dauerhaft Stabilität und Frieden zu bringen. Voraussetzung ist,…
— Jens Spahn (@jensspahn) June 22, 2025
Auch CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter sieht in der Beteiligung der USA eine Chance für die Iranerinnen und Iraner. „Sicherheitspolitisch ist es wichtig, auch die militärischen Fähigkeiten einzudämmen und terroristische Arme des Regimes zu zerstören, denn beides ist weiterhin eine Bedrohung für Israel. Es ist jetzt eine historische Chance für die iranische Zivilbevölkerung, sich von dem Terrorregime der Mullahs zu befreien“, schrieb er auf X. Mit den Angriffen hätten USA die Region und „uns alle“ vor einer nuklearen Erpressung durch den Iran und einem nuklearen Wettrüsten bewahrt.
Völkerrechtler: US-Angriff auf Iran war rechtswidrig
Der Angriff der USA auf Atomanlagen im Iran war aus Sicht des Völkerrechtsexperten Jochen von Bernstorff „eindeutig rechtswidrig“. „Ich sehe da wenig Spielraum für eine völkerrechtliche Rechtfertigung“, sagte der Professor für Staatsrecht, Völkerrecht, Verfassungslehre und Menschenrechte an der Universität Tübingen der Deutschen Presse-Agentur.
Die Amerikaner seien nicht selbst angegriffen worden, insofern liege kein Fall von individueller Selbstverteidigung vor. Da aber auch im Fall von Israel das Argument Selbstverteidigung nach einhelliger Meinung nicht greife, könnten sich die USA nach Einschätzung von Bernstorffs nicht auf kollektive Selbstverteidigung berufen. „Das gibt den Amerikanern kein Recht zur militärischen Unterstützung der israelischen Angriffe.“
Reaktion müsste verhältnismäßig sein
Sollte der Iran nun zurückschlagen, müsse er sich an humanitäres Völkerrecht und Kriegsrecht halten. Er dürfe also keine zivilen Objekte angreifen, sagte der Experte, der auch schon im Auswärtigen Amt und am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg gearbeitet hat.
Der Iran habe aber ein Recht auf Selbstverteidigung während oder unmittelbar nach einem Angriff. „Zurückschlagen des bewaffneten Angriffs ist erlaubt. Aber es muss verhältnismäßig zum Aggressionsakt der USA sein.“ Die Ziele müssten eine militärische Funktion haben, damit der Angriff gerechtfertigt sei.
Möglicher Atomwaffenbesitz in der Zukunft nicht ausschlaggebend
„Das Völkerrecht macht beim Gewaltverbot keinen Unterschied zwischen einem Mullah-Regime und einer Demokratie“, sagte von Bernstorff. Politische Erwägungen – etwa dass die Islamische Republik keine Atomwaffen besitzen solle – spielten keine Rolle für die völkerrechtliche Frage, ob man gegen einen anderen Staat Gewalt anwenden darf.
Ein präventives Selbstverteidigungsrecht gegen Gefahren, die sich in der Zukunft realisieren könnten, erkenne das Völkerrecht nicht an, erklärte der Fachmann. Auch dann nicht, wenn es sich um zukünftige Bedrohungen durch den Besitz von Massenvernichtungswaffen handle.


