Nahost

„Gefährlicher Präzendenzfall“? Israel verbietet UNRWA die Arbeit auf seinem Staatsgebiet

Israelische Abgeordnete haben die Arbeit des Palästinenserhilfswerks auf israelischem Territorium verboten und den Kontakt zu Behörden untersagt. Was sind die Folgen?

Das Hauptquartier der United Nations Relief and Works Agency (UNRWA) in Gaza.
Das Hauptquartier der United Nations Relief and Works Agency (UNRWA) in Gaza.Ashraf Amra/Zuma Press/dpa

Das israelische Parlament hat am Montag über einen umstrittenen Gesetzentwurf abgestimmt, der die Arbeit des UN-Palästinenserhilfswerks (UNRWA) massiv einschränken soll. In der Knesset, mit 120 Sitzen, stimmten 92 Abgeordnete der Regierung und der Opposition für das Vorhaben. UN-Generalsekretär António Guterres und wichtige westliche Verbündete Israels hatten sich klar gegen die Pläne ausgesprochen.

Demnach soll künftig Behörden in Israel der Kontakt mit dem Hilfswerk untersagt werden. Dies soll binnen 90 Tagen nach Veröffentlichung des Gesetzes geschehen. Dann darf es nicht mehr auf israelischem Boden operieren, sein Standort in Ost-Jerusalem muss bis dahin geschlossen werden.

Ohne die Koordinierung mit Israel wird es für das UNRWA auch im Gazastreifen und Westjordanland fast unmöglich sein zu arbeiten, da die israelischen Behörden keine Einreisegenehmigungen mehr für diese Gebiete ausstellen und keine Koordinierung mit den IDF zulassen werden.

Eine zunächst vorgesehene offizielle Einstufung von UNRWA als Terrororganisation war nicht mehr Teil von zwei Gesetzentwürfen zu dem Thema auf der Knesset-Tagesordnung.

UNRWA: Israel schafft mit dem Verbot einen „gefährlichen Präzendenzfall“

Das UNRWA verurteilte den Schritt mit scharfen Worten. „Es ist empörend, dass ein Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen daran arbeitet, eine UN-Behörde zu zerlegen, die zufällig auch der größte Helfer bei dem humanitären Einsatz im Gazastreifen ist“, sagte UNRWA-Sprecherin Juliette Touma der AFP. Sollte das Gesetz in Kraft treten, „wäre dies eine Katastrophe“, sagte sie auch mit Blick auf die Versorgung im Gazastreifen, wo das UN-Hilfswerk Touma zufolge der führende Bereitsteller von „Unterkünften, Nahrungsmitteln und medizinischer Grundversorgung“ ist.

Israel schaffe mit dem Verbot einen „gefährlichen Präzendenzfall“, kritisierte der Leiter des Hilfswerks, Philippe Lazzarini, den Schritt. Das UNRWA-Verbot werde „das Leiden der Palästinenser verstärken“. Ihm zufolge ist das Gesetz Teil einer „Kampagne“, um das UNRWA zu „diskreditieren“.

UNRWA-Mitarbeiter sollen in Angriff vom 7. Oktober verwickelt gewesen sein

Israel wirft dem UNRWA vor, dass mehrere Mitarbeiter der Organisation in den Großangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober verwickelt gewesen sein sollen. Zudem sei das Palästinenserhilfswerk als Ganzes von der Hamas unterwandert. Zuletzt war bekannt geworden, dass auch der bei einem israelischen Angriff getötete Militärchef der Hamas im Libanon, Fateh Sherif Abu el-Amin, für die Organisation gearbeitet hatte.

Der Leiter der UNRWA, Philippe Lazzarini, wies mehrfach darauf hin, er habe die betreffenden Mitarbeiter entlassen, nachdem eine Überprüfung der Anschuldigungen bezüglich der Beteiligung an dem Anschlag veröffentlicht worden war. Zudem habe er die Empfehlungen eines anschließenden Berichts der französischen Außenministerin Catherine Colonna umgesetzt.

Die Organisation merkte zudem an, dass die wiederholten israelischen Bemühungen, Hilfe über alternative Routen zu liefern, gescheitert seien. Keine andere UN-Organisation sei in der Lage, die Arbeit des UNRWA in diesem Umfang zu übernehmen, hieß es weiter.

Sieben Außenminister protestierten gegen Israels UNRWA-Pläne

Sieben westliche Länder hatten im Vorfeld mit „tiefer Besorgnis“ auf die Gesetzespläne des israelischen Parlaments reagiert. In einer Erklärung forderten die Außenministerinnen und Außenminister von Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Australien, Japan und Südkorea die israelische Regierung „nachdrücklich“ dazu auf, ihren internationalen Verpflichtungen nachzukommen, die Vorrechte des UNRWA unangetastet zu lassen und humanitäre Hilfe und die Grundversorgung der Zivilbevölkerung zu ermöglichen.

Die Ministerinnen und Minister wiesen in ihrer Erklärung ebenfalls darauf hin, das UNRWA habe Schritte unternommen, um den Vorwurf der Unterstützung terroristischer Organisationen durch einzelne Mitarbeiter auszuräumen. 

Auch US-Außenminister Antony Blinken und der Verteidigungsminister Lloyd Austin warnten in einem gemeinsamen Schreiben vor dem Verbot. „Der Erlass solcher Beschränkungen würde die humanitäre Hilfe im Gazastreifen in diesem kritischen Moment zunichtemachen und Zehntausenden von Palästinensern im Westjordanland und in Jerusalem wichtige Bildungs- und Sozialdienste vorenthalten“, so die US-Politiker.

Die Erklärung von Blinken und Austin wurde abgegeben, obwohl der US-Kongress im Gegensatz zu allen anderen westlichen Staaten noch nicht zugestimmt hat, die Finanzierung des UNRWA wieder aufzunehmen.

UNRWA für fast sechs Millionen Flüchtlinge zuständig

Die Vereinten Nationen hatten UNRWA 1949 gegründet, um palästinensischen Flüchtlingen zu helfen. Anspruch auf ihre Dienste haben die Palästinenser, die während der Kriege 1948 und 1967 flüchteten oder vertrieben wurden, sowie ihre Nachkommen. Mittlerweile sind das nach Angaben der Organisation rund 5,9 Millionen Menschen. Das Hilfswerk ist unter anderem auch in Jordanien und im Libanon tätig.

UNRWA hat mehr als 30.000 Mitarbeiter, die meisten davon Palästinenser. Allein im Gazastreifen beschäftigt das Hilfswerk rund 13.000 Mitarbeiter. Die meisten von ihnen sind selbst Flüchtlinge mit ihrem eigenen Schicksal im Nahost-Konflikt. (mit dpa)