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Debatte über Berlin in Polen: Das einzige, was hier funktioniert, ist das Finanzamt, das Geld will

In Polen wird weiter hitzig über den Zustand der Berliner Verwaltung und Infrastruktur debattiert. Ist die Stadt noch attraktiv?

Berlin: Arm, aber sexy? Arm, aber nicht mehr sexy, sagt eine polnische Journalistin.
Berlin: Arm, aber sexy? Arm, aber nicht mehr sexy, sagt eine polnische Journalistin.www.imago-images.de

Dass die Berliner Zeitung das Interview des polnischen Schriftstellers Jacek Dehnel aufgegriffen hat, der im Magazin Newsweek Polska seinen Wegzug aus Berlin ankündigt, weil ihm die Stadt zu dysfunktional geworden ist, hat eine landesweite Debatte über die (falschen) Versprechen der deutschen Hauptstadt ausgelöst. Ist Berlin noch cool? Noch lebenswert? Noch eine wichtige europäische Metropole, in der man seinen Alltag fristen will?

Das Portal Onet Polska, im Besitz des Axel-Springer-Verlags, ein Medium mit hohen Zugriffszahlen, hat mit einem Interview über Berlin nachgelegt. Interviewt wurde die polnische Publizistin Urszula Ptak, die in Berlin lebt und in dem Text das hiesige Lebensgefühl beschreibt. In der ersten Frage wird sie auf den Bericht in der Berliner Zeitung angesprochen und gefragt, ob sie als in Berlin lebende Polin ebenfalls wie Dehnel das Gefühl habe, dass es Zeit sei, zurück nach Warschau zu ziehen.

Ptak darauf: „Bis auf Weitere möchte ich bleiben, obwohl es in den letzten 15 Jahren keinen Monat gab, in dem ich nicht meine Sachen packen und gehen wollte (lacht). Ein großer Teil der banalen Wahrheit über die polnische Bubble, die in Berlin lebt, ist, dass sie nicht genug verdient, um für die Rückkehr zu sparen. Denn um die Vorteile des hohen polnischen Standards, der sich entwickelt hat, zu nutzen, braucht man Ressourcen. Inzwischen ist Berlin auch unglaublich teuer geworden, vor allem was die Mieten und die Lebenshaltungskosten angeht. Und das alles macht solche Entscheidungen nicht leichter.“

„Das Leben besteht nicht aus ständigem Feiern“

Die Interviewerin weist darauf hin, dass viele Polen durch die Aussagen von Jacek Dehnel irritiert seien und sich fragten, ob der Berliner Freiheits-Mythos noch existiere. Die Antwort: „Dieses Berlin mit seinen ständigen Clubs, seiner sexuellen Freiheit, seiner künstlerischen Freiheit und seinem unbegrenzten Konsum existiert seit einigen Jahren nicht mehr. Ich habe mich immer über die ‚polnische Warschauer Blase‘ amüsiert, die für ein Wochenende nach Berlin kommt und es erstaunlich findet, dass sie sich im „Westen Europas“ wiedergefunden hat, im Gegensatz zum vermeintlich rückständigen Polen mit seinem Obskurantismus, seiner Steifheit und seiner katholischen Rückständigkeit. Das Leben besteht jedoch nicht aus ständigem Feiern; im Alltag ist das zweitrangig.“

Die Stadt funktioniere einfach schlecht, und das wirke sich auf alle aus. „Einige Polen scheinen immer noch mit den Vorstellungen aus den 1990er Jahren hierher zu kommen. Ich kann offiziell erklären, dass ich mich seit Jahren mit der Entmythologisierung der Vorstellungen von Deutschen beschäftigt habe.“ Das Ergebnis sei: Das alte günstige Berlin existiere nicht mehr.

Das Finanzamt arbeitet korrekt

Der Spruch, Berlin sei arm, aber sexy, sei nicht korrekt. Berlin sei arm, aber nicht mehr sexy, müsste es heute heißen. Die Infrastruktur sei marode, es sei zu wenig in den öffentlichen Sektor investiert worden. „Darüber hinaus ist es nicht möglich, in irgendeinem Amt einen Termin zu vereinbaren und etwas zu erledigen. Die Berlinerinnen und Berliner erleben die Folgen jahrelanger struktureller Vernachlässigung (wie in ganz Deutschland) am eigenen Leib: Die Stadt wächst, die Bevölkerungsdichte nimmt zu, aber weder der (...) öffentliche Nahverkehr noch die Infrastruktur können mithalten. Die einzige Sache, die einwandfrei funktioniert, ist das Finanzamt, das sich immer zu melden weiß.“ 

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