Justiz

Mit Schleier am Steuer: Berliner Gericht lehnt Autofahren mit Niqab ab

Schleier mit QR-Code oder ein Selbsttest mit Niqab: Gericht wies Klage trotz zahlreicher Beweisanträge ab. Die Klage finanziert ein Salafistenverein.

Klägerin Nancy A. mit ihrem Rechtsanwalt

beim Verwaltungsgericht Berlin.
Klägerin Nancy A. mit ihrem Rechtsanwaltbeim Verwaltungsgericht Berlin.Pressefoto Wagner

Eine Muslimin will voll verschleiert Auto fahren. Weil der Berliner Senat ihr eine Ausnahmegenehmigung verweigerte, klagte die 33-Jährige vor dem Berliner Verwaltungsgericht – und scheiterte. Das Gericht wies die Klage der Frau am Montag ab.

In Paragraf 23 der Straßenverkehrsverordnung heißt es: Wer ein Kraftfahrzeug führt, darf sein Gesicht nicht so verhüllen oder verdecken, dass er nicht mehr erkennbar ist. Allerdings können die zuständigen Landesbehörden laut Paragraf 46 Ausnahmen genehmigen.

Die Frau hatte über ihren Anwalt ihr Grundrecht auf Ausübung ihrer Religionsfreiheit geltend gemacht. Wegen ihres muslimischen Glaubens sei es zwingend notwendig, außerhalb der Wohnung eine Vollverschleierung, die nur einen Augenschlitz zulässt (Niqab), zu tragen, ließ sie über ihren Anwalt begründen. Auch im Auto sei sie den Blicken fremder Menschen ausgesetzt. Daher müsse ihr erlaubt werden, beim Führen eines Kraftfahrzeugs ihren gesamten Körper einschließlich des Gesichts unter Aussparung der Augenpartie zu verschleiern.

Ihren Antrag auf Ausnahmegenehmigung hatte die Berliner Verkehrsverwaltung im Januar vergangenen Jahres abgelehnt, wogegen die Frau klagte. In ihrer Ablehnung führte die Verwaltung mehrere Gründe an: So müssten Polizei und Behörden den Fahrer eines Autos feststellen können. Bei Geschwindigkeitsübertretungen müsse dieser anhand von Blitzerfotos beweissicher ermittelt werden können. Ein weiteres Argument ist, dass eine Beeinträchtigung der Rundumsicht durch einen Niqab nicht ausgeschlossen werden könne. Und das dritte Argument lautet, dass die Vollverschleierung die nonverbale Kommunikation zwischen Fahrern beeinträchtige.

Vor acht Jahren zum Islam konvertiert

Nancy A. konvertierte vor acht Jahren zum Islam. Vor Gericht begründete sie, warum sie auf das Auto angewiesen sei. Sie wohne in Lichtenberg und habe drei kleine Kinder, ihre restliche Familie wohne außerhalb. Sie müsse mit dem Auto zu ihrer Arbeit fahren, in eine Flüchtlingsunterkunft in Marienfelde. Im Winter sei es nicht immer möglich, Fahrrad zu fahren. Sie sei auch schon mehrmals geblitzt worden und habe Bußgeldbescheide bekommen, die sie bezahlte.

Allerdings ist das Autofahren mit Vollverschleierung seit 2017 in Deutschland verboten. Deshalb bemühte sich der Anwalt von Nancy A. später vor Gericht, klarzustellen, dass seine Mandantin gar nicht so viel Auto fahre, nämlich „nur im Notfall“.

Vor Gericht brachte der Anwalt mehrere Argumente ins Spiel. Zum Beispiel, dass Motorradfahrer auch nicht zu erkennen seien, weil sie Sturzhelm tragen müssen und „unidentifizierbar durch Berlin rasen können“.

Der Anwalt schlug vor, dass seine Mandantin während der Fahrt einen Niqab mit fälschungssicherem QR-Code tragen könnte, der von den Verkehrsüberwachungssystemen ausgelesen werden könnte. Tatsächlich würde dies aber nur beweisen, dass der Niqab unterwegs war, aber nicht die Person, die sich dahinter verbirgt, widersprach die Richterin. Man könnte den Niqab daheim sicher verwahren, wie in einem Waffenschrank, schlug der Anwalt vor. Auch das ändere nichts daran, bekam er zur Antwort.

Zahlreiche Beweisanträge

Der Anwalt stellte insgesamt 15 Beweisanträge. Jeder sollte ein Sachverständigengutachten enthalten – etwa darüber, ob ein Niqab die Rundumsicht der Fahrerin beeinträchtigt. Zudem sollte eine Richterin das selbst ausprobieren auf einer nichtöffentlichen Verkehrsfläche, zum Beispiel dem ADAC-Testgelände. Ein anderes Gutachten sollte beweisen, dass eine Fahrerin auch an ihrer Augenpartie ermittelt werden könnte, in einem weiteren sollte ein Sachverständiger beweisen, dass Niqab-Trägerinnen nicht mehr Verkehrsverstöße begehen als andere. Auch eineiige Zwillinge könnten nicht rechtssicher durch Blitzerkameras identifiziert werden. Aber deren Gefahrenpotenzial sei auch nicht höher als bei Niqab-Trägerinnen – was ebenfalls ein Gutachten beweisen sollte.

All diese Beweisanträge lehnte das Gericht ab.

Ähnliche Klagen hatte es bereits in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gegeben. Dort machten Frauen geltend, dass religiöse Gründe eine Ausnahme rechtfertigen würden. Sie beriefen sich auf die Religionsfreiheit. Doch die Oberverwaltungsgerichte bestätigten die ablehnenden Entscheidungen der Behörden.

Die Möglichkeiten eines Rechtsstaates werden zu dessen eigenem Nachteil genutzt.

Verfassungsschutz Niedersachsen

Das tat nun auch das Berliner Verwaltungsgericht. Die Religionsfreiheit müsse hinter anderen Verfassungsgütern zurücktreten. Das Verhüllungsverbot gewährleiste eine effektive Verfolgung von Rechtsverstößen im Straßenverkehr, indem es die Identifikation der Verkehrsteilnehmer ermögliche, etwa bei automatisierten Verkehrskontrollen. Es diene auch dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit und des Eigentums Dritter. Weil Kraftfahrzeugführer, die damit rechnen, bei Regelverstößen herangezogen zu werden, sich eher verkehrsgerecht verhalten würden als nicht ermittelbare Autofahrer. Demgegenüber wiege der Eingriff in die Religionsfreiheit der Klägerin weniger schwer.

Finanziert werden diese deutschlandweiten Klagen übrigens vom Föderalen Islamischen Union e.V. (FIU) in Hannover. Vereinspräsident Dennis Rathkamp verfolgte die Verhandlung. Der Verein finanziere sich ausschließlich über die Beiträge seiner etwa 5500 Mitglieder, sagte er am Rande des Prozesses. Etwa 20 Klägerinnen würden von dem Verein rechtlich betreut. Rathkamp kündigte an, notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

Die Föderale Islamische Union steht im aktuellen Jahresbericht des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Nach Angaben der Behörde wurde der Verein Ende des Jahres 2017 von bekannten Akteuren des niedersächsischen salafistischen Spektrums gegründet. Im Bericht heißt es: „In der Gesamtschau versucht die FIU mit rechtsstaatlichen Mitteln, u.a. salafistische Ansichten zu verteidigen, die in ihrem Grundgedanken eben diese Rechtsstaatlichkeit nicht anerkennen. Die Möglichkeiten eines Rechtsstaates werden so zu dessen eigenem Nachteil genutzt.“