Es muss ein Albtraum gewesen sein. Gegen 2.20 Uhr in der Nacht griff Diana G. zum Telefon, wählte die Notrufnummer. „Er kommt, er kommt, er tötet mich“, soll die 52-Jährige in Panik gerufen haben. Im Hintergrund seien Schreie und die Geräusche einer Kettensäge zu hören gewesen. Das berichtet ein 35-jähriger Polizeibeamter als Zeuge vor Gericht. Diana G. wurde kurz nach ihrem Anruf getötet, ihr Lebensgefährte lebensgefährlich verletzt. Das ist jetzt rund fünf Monate her.
Seit diesem Montag muss sich Kristof M. vor einer Schwurgerichtskammer des Berliner Landgerichts wegen Totschlags und versuchten Mordes verantworten. Es ist ein Sicherungsverfahren, in dem M. als Beschuldigter gilt. Der 35-Jährige soll im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt haben, als er in der Nacht zum 6. Januar dieses Jahres seine Nachbarn angriff. Die Staatsanwaltschaft strebt seine dauerhafte Unterbringung in einer Klinik für psychisch kranke Straftäter an.
Krsitof M. ist ein großer Mann mit einem fusseligen Kinnbart, schulterlangen Haaren und einem misstrauischen Blick. Er hat Abitur gemacht, vier Semester studiert, später im Betrieb seines Vaters gearbeitet.
Seit Jahren lebte er in einer Einzimmerwohnung in der vierten Etage eines Zehngeschossers im Lichtenberger Ortsteil Fennpfuhl. Es soll vor dieser verhängnisvollen Nacht keinen Streit mit seinen Nachbarn gegeben haben. Was also trieb Kristof M. zu dieser Tat, derer er beschuldigt wird?
Kristof M. hatte Angst, vergiftet zu werden
Staatsanwältin Silke van Sweringen sagt, dass der Beschuldigte an einer paranoiden Schizophrenie leide. Er sei krankheitsbedingt im Zustand einer akuten Psychose davon ausgegangen, dass ihn seine Nachbarin Diana G. und ihr Lebensgefährte Michael K. verhöhnen und vergiften wollten. Er habe ihre Stimmen gehört und wohl auch erklärt, sie hätten auf ihn geschossen.
Deswegen soll er mit einer Kettensäge, einer Machete und drei Messern bewaffnet in der Tatnacht aus seiner Wohnung getreten sein. Im Treppenhaus habe er die Stofflunten von fünf mit Benzin gefüllten Flaschen entzündet. Was dann geschah, schildert van Sweringen so: Mit der Kettensäge schnitt er in das Türblatt der Wohnung seiner Nachbarn, um sich Zutritt zu verschaffen. Michael K. öffnete daraufhin die Tür, stellte sich dem Angreifer entgegen. Um ihn abzuwehren, griff der 52-Jährige in die Sägekette, erlitt schwerste Schnittwunden an Armen und Händen. Die Staatsanwältin spricht von Teilabtrennungen von Fingern.
Kristof M. soll seinem Nachbarn auch Schnittverletzungen im Gesicht und am Hals zugefügt und dabei den Tod des Mannes billigend in Kauf genommen haben. Als der Angreifer glaubte, seinen Nachbarn getötet zu haben, betrat er nach den Worten der Staatsanwältin die Wohnung. Mit der Machete soll er sodann dreimal auf den Oberkörper von Diana G. eingestochen haben. Die Frau verstarb noch am Tatort.
Sven L. traf damals mit dem ersten Funkstreifenwagen am Tatort ein. Der Polizeibeamte berichtet als Zeuge, dass er schon vor dem Wohnhaus Geräusche wahrgenommen habe. Die Hauseingangstür sei abgeschlossen gewesen, sodass sie eine Mieterin aus dem Erdgeschoss herausklingeln mussten. Mit gezückten Waffen seien er und seine Kollegen die Treppen hinaufgeeilt, die Geräusche seien lauter geworden. Sie stammten von einer Kettensäge, die im vierten Geschoss auf dem Boden lag „und im Leerlauf lief“, sagt der Polizist. Auf dem Boden seien überall Blutspuren gewesen.
Es ist für ihn nicht vorstellbar, dass er zu solchen Taten fähig war.
Sven L. berichtet von Flaschen, die im Hausflur der vierten Etage gebrannt hätten, von einem Nagelbrett, das auf dem Boden lag. Davon, dass die Fahrstuhltür blockiert gewesen sei. Auf dem Treppenabsatz zur fünften Etage habe ein Mann in Tarnkleidung, einer Funktionsweste und mit eingeschalteter Stirnlampe gestanden. Er hatte eine Machete in der Hand und die Waffe erst nach der zweiten oder dritten Aufforderung fallen gelassen und sich auf den Boden gelegt. Am Körper des Mannes fanden die Beamten noch weitere Messer.
Die Polizisten erstickten die Flammen im Flur mit einem Handtuch. In der Wohnung entdeckten sie den schwer verletzten Michael K. und seine getötete Lebensgefährtin Diana G. Überall in der Wohnung sei Blut gewesen: auf dem Festnetztelefon, das auf der Couch stand, im Schlafzimmer. So berichtet es ein weiterer Beamter. Auf dem Bett lag der Hund des Paares. Das Tier hatte den Angriff unversehrt überstanden.
Kristof M. soll nach seiner Festnahme auf dem Weg in eine Klinik nur wenig gesprochen haben. Gesagt haben soll er unter anderem: „Das haben sie verdient. Sie sind schuld.“ Und: „Die haben auf mich geschossen.“ Schon am nächsten Tag wurde er in die Psychiatrie eingewiesen.
Der Beschuldigte selbst äußert sich an diesem ersten Verhandlungstag nicht persönlich. Er lässt seine Anwältin sprechen: Ihr Mandant könne sich nicht mehr an Einzelheiten erinnern. Er habe allerdings bestimmte Bilder im Kopf. „Es ist für ihn nicht vorstellbar, dass er zu solchen Taten fähig war“, erklärt die Verteidigerin. Ihm werde allerdings „immer klarer, was er Furchtbares getan hat“. Die Anwältin spricht von einer „riesigen Angst ihres Mandanten, selbst getötet zu werden“. Kristof M. nehme jetzt in der Klinik Medikamente, er sei bereit, mit den Therapeuten zu arbeiten.




