Der Beschuldigte hat an diesem letzten Verhandlungstag das letzte Wort. „Ich bin im Grunde genommen ein ganz friedlicher Bürger“, sagt Bernd R. leise. Dann erzählt er etwas von seiner Armeezeit, die Jahrzehnte zurückliegt, von der Waffe, die er damals als Soldat hatte. Nie habe er das Verlangen gespürt, jemanden zu töten, erklärt er.
Bernd R. ist 83 Jahre alt. Der einstige Kfz-Meister und Diplom-Ingenieur hat sich in seinem Leben nie etwas zu Schulden kommen lassen. Bis zum 20. Oktober vergangenen Jahres. An jenem Tag brachte er in der gemeinsamen Wohnung an der Landsberger Allee in Friedrichshain seine Ehefrau um, mit der er seit seinem 16. Lebensjahr zusammen war. Mit der er eine Tochter hat, die lange erwachsen ist. Er nahm einen Hammer, schlug damit mindestens dreimal heftig auf den Kopf der schlafenden 83-jährigen Frau ein. Margit R. starb an einer massiven Schädelzertrümmerung und Hirnzerreißung.
Es ist Mittwochvormittag, als eine Schwurgerichtskammer des Berliner Landgerichts ihr Urteil über Bernd R. spricht. Es sei ein heimtückisch begangener Mord gewesen, sagt Mark Sautter, der Vorsitzende Richter. Er spricht jedoch auch von einer Tat, für die Bernd R. nicht bestraft werden könne. Der scheinbar rüstige Senior leidet unter einer schweren seelischen Erkrankung, er war zur Tatzeit nicht steuerungsfähig.
Bernd R. hat seit einiger Zeit Alzheimer, eine Krankheit, die mit einer Wesensveränderung einhergeht, mit Vergesslichkeit und Orientierungsproblemen. Daher konnte er das Unrecht seiner Tat nicht einsehen. Das bedeutet: Er ist schuldunfähig.
Ich bin im Grunde genommen ein ganz friedlicher Bürger.
Doch wie sanktioniert man einen Mord, an den sich der Täter nicht zu erinnern vermag, der für Bernd R. im Dunkeln liegt?
Bernd R. wird nicht freigesprochen. Die Kammer fällt ein Urteil, mit dem sowohl der Staatsanwalt als auch der Verteidiger von Bernd R. leben können. Die Richter ordnen die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus auf Bewährung an. Zudem wird Bernd R. für fünf Jahre unter Führungsaufsicht gestellt, und die Kammer weist an, dass Bernd R. in einem Pflegeheim untergebracht werden und sich dort den ärztlichen Anordnungen fügen müsse.
Das Gericht wisse nicht, was Bernd R. zu der Tat getrieben habe, sagt Sautter. Es gebe keine Erklärung, die einen logischen Sinn mache. Deswegen sei unklar, wozu der Beschuldigte noch fähig sei. Die Kammer gehe daher davon aus, dass von einem auf sich allein gestellten Bernd R. noch immer eine Gefahr ausgehen könnte. Der Rentner soll kurz nach der Tat Polizisten gegenüber zum Motiv geäußert haben, er habe es nicht ertragen, dass sich seine Frau mit anderen Männern gut verstanden habe.
Bernd R. sagt, er habe seine Frau geliebt
Zu Prozessbeginn Ende März dieses Jahres hatte Bernd R. erklärt, er könne sich nicht vorstellen, zu so einer Tat fähig zu sein und seine Frau getötet zu haben. Er habe sie geliebt, ihr jeden Wunsch erfüllt, sagte er. Fast flehentlich hatte er die Richter gefragt, ob es an den Medikamenten liegen oder vielleicht doch eine weitere Person in der Wohnung gewesen sein könne.
Dass ein anderer Täter den Mord begangen haben könnte, schließen die Richter aus. Um 5.03 Uhr des Tattages war bei der Polizei ein Notruf eingegangen. Er wolle eine Mitteilung machen, berichtete der Anrufer dem Beamten am anderen Ende der Leitung. „Ich habe meine Frau erschlagen.“ Und auf Nachfrage sagte er, es sei in der Wohnung, im Bett geschehen. Dann nannte der Anrufer seine Adresse und seinen Namen, den er buchstabierte: Bernd R. Der aufgezeichnete Notruf wurde im Prozess abgespielt.
Richter Sautter sagt, die Kammer sei überzeugt, dass der Anrufer der Beschuldigte gewesen sei. Die Stimme sei unverkennbar. Als die alarmierten Polizeibeamten damals in der Wohnung des alten Ehepaares eintrafen, trug Bernd R. bereits Jacke und Schuhe. Er sei offensichtlich darauf eingerichtet gewesen, mitgenommen zu werden, erklärt der Richter. Ein Rucksack stand bereit – bepackt mit Kleidungsstücken, Lebensmitteln und einem Wecker.
Bernd R. hatte Blutspritzer im Haar. Im Bad fanden die Polizisten die Tatwaffe – einen Hammer. In der Wohnung hingen überall Zettel mit kurzen Hinweisen, die offenbar Bernd R. helfen sollten, sich in den Zimmern zurechtzufinden.



