Urteil im Mordprozess erwartet

Hammerschläge auf Kopf: Warum ein 84-Jähriger seine 93-jährige Ehefrau tötete

Peter G. hat seine „Kleene“ geliebt bis zum bitteren Ende. Dann erschlug er sie, weil er sie nicht allein lassen wollte. Nun wird das Urteil gegen ihn erwartet.

Peter G. steht wegen Mordes an seiner Ehefrau vor Gericht (Symbolbild).
Peter G. steht wegen Mordes an seiner Ehefrau vor Gericht (Symbolbild).imago/Panthermedia

Berlin-Wenn Peter G. von seiner Ehefrau spricht, dann nennt er sie nicht Ilona oder „meine Frau“. Peter G., vor 84 Jahren in Berlin geboren und nie aus Neukölln herausgekommen, sagt „meine Kleene“. Mehr als ein halbes Jahrhundert waren er und seine Frau verheiratet, und Peter G. liebte sie – bis zum bitteren Ende. An ihrem 93. Geburtstag griff er zum Hammer und erschlug sie in ihrer gemeinsamen Wohnung in der Mahlower Straße in Neukölln – zwei Zimmer, dritter Stock, ohne Fahrstuhl, scheinbar ohne Ausweg.

Peter G. sitzt auf der Anklagebank des Berliner Landgerichts. Drei Verhandlungstage sind vorüber. An diesem Freitag wird eine Schwurgerichtskammer des Berliner Landgerichts voraussichtlich das Urteil über den großen, hageren Mann sprechen. Dem 84-Jährigen wird das schwerste Verbrechen vorgeworfen, das es im Strafgesetzbuch gibt und für das es bei voller Schuldfähigkeit nur ein Urteil vorsieht: lebenslange Haft.

Der Vorwurf lautet auf Mord. Peter G. soll in den frühen Morgenstunden des 6. Januar 2021 seine schlafende Ehefrau heimtückisch mit mindestens 30 Hammerschlägen auf Kopf und Gesicht getötet und anschließend noch mehrmals mit einem Messer auf sie eingestochen haben. Nach der Tat versuchte er, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Stunden später rief er die Polizei. Seitdem ist er in Untersuchungshaft – im Haftkrankenhaus.

„Für mich ist es eine ganz traurige Geschichte“, sagt Thomas Schmid, Kriminalhauptkommissar und Ermittlungsführer der Mordkommission, bei seiner Aussage als Zeuge vor Gericht. Er hat Peter G. nach der Tat zweimal vernommen, sein Geständnis niedergeschrieben. Sehr warmherzig und emotional habe der alte Herr über seine Frau geredet. „Er war authentisch.“

An jedem Prozesstag wird Peter G. mit einem Rollstuhl in den Verhandlungssaal gefahren. Die letzten Meter läuft er mit vorsichtigen Schritten zu dem Platz neben seinem Anwalt, setzt die Kopfhörer auf, die schon bereitliegen, damit er der Verhandlung folgen kann. Peter G. ist stark schwerhörig. Und er hat Diabetes. Für den Ernstfall hat er ein Päckchen Traubenzucker dabei, das vor ihm auf dem Tisch neben einem mit Wasser gefüllten Plastikbecher liegt.

Peter G. hat zugegeben, seine Ehefrau umgebracht zu haben. „Das, was ich meiner Kleenen angetan habe, tut mir in der Seele weh“, sagt er. Er würde die Tat gern ungeschehen machen. „Wenn die Kleene nicht mehr da ist, brauch’ ich auch nicht mehr da sein. Aber ich hab’ es nicht geschafft, mir die Pulsadern aufzuschneiden“, erklärt er. Die Reue sitzt tief in ihm und ist glaubhaft.

Peter G. hat einen Menschen getötet, die Frau an seiner Seite, die vermutlich arglos in ihrem gemeinsamen Bett lag, als der Angriff erfolgte. Die Tat erzählt auch von der Überforderung eines alten, gebrechlichen Mannes, der selbst Hilfe benötigt hätte. Und sie erzählt von einer Verzweiflung, die sich offenbar über einen lange Zeitraum aufgebaut hat.

Der Grabstein der Familie G. auf einem Neuköllner Friedhof
Der Grabstein der Familie G. auf einem Neuköllner FriedhofBerliner Zeitung/Katrin Bischoff

Ein geordnetes und in Einsamkeit angelegtes Leben

Ilona und Peter G. lebten seit Jahrzehnten in ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung. Das Paar hatte 1969 geheiratet, die Ehe blieb kinderlos. Beide gingen arbeiten, sie als Feinlöterin, er als Werkzeugmacher. Im Alter hatten sie ihr Auskommen. Freunde gab es nicht. Ilona und Peter G. waren sich selbst genug. „Sie führten ein geordnetes und in Einsamkeit angelegtes Leben“, sagt Alexander Böhle, der psychiatrische Sachverständige in dem Verfahren.

Bis das Alter das Paar an seine Grenzen brachte. Ilona G. konnte schon seit Jahren die Wohnung nicht mehr verlassen, weil sie keine Treppen mehr steigen konnte. Peter G. sagt, sie habe sich verändert, nicht mehr die Späße mitgemacht wie früher, oft geweint, sich überflüssig und unnütz gefühlt. Er habe versucht, sie aufzumuntern. Doch seine Worte, sie hätten ein halbes Jahrhundert zusammen gemeistert und würden auch noch die nächsten 50 Jahre schaffen, erreichten seine Frau nicht mehr. Er habe den Optimisten gemimt, obwohl er mit der Betreuung völlig überfordert gewesen sei, sagt Böhle.

Peter G. ging einkaufen, er übernahm alles, was seine Frau einst erledigt hatte und nicht mehr tun konnte. Ein Angebot von jungen Mitbewohnern im Haus, in Corona-Zeiten bei Besorgungen zu helfen, hatte Peter G. zunächst abgelehnt. Doch nach einem heftigen Sturz kurz vor Weihnachten des vergangenen Jahres konnte auch er die drei Etagen nicht mehr bewältigen.

Also klopfte er an der Tür der Wohnung nebenan. „Ich war froh, endlich helfen zu können, für ihn einkaufen zu gehen“, sagt die 34-jährige Nachbarin als Zeugin. Sie habe gemerkt, dass es den freundlichen alten Herrn Überwindung gekostet habe, um Unterstützung zu bitten. Erst jetzt lernte sie auch Frau G. kennen, die sie zuvor noch nie gesehen hatte. Eine „verhuschte und etwas durcheinander wirkende alte Dame“ sei sie gewesen. „Herr G. war es, der alles organisiert hat. Es war ein liebevolles Kümmern um seine Frau“, erzählt die Nachbarin. Einen Streit habe sie nie gehört. Nur abends den laut gestellten Fernseher, wenn die „Tagesschau“ lief.

Der Senior verließ die Klinik entgegen dem ärztlichen Rat

Die Katastrophe nahm am 30. Dezember ihren Lauf. An diesem Tag wurde Peter G. in die Rettungsstelle eingeliefert und für ein paar Tage stationär im Krankenhaus aufgenommen. Er war wieder gestürzt, auf den Kopf gefallen, und er litt unter Teerstuhl. Ärzte diagnostizierten eine Anämie. Bei einer Magen- und Darmspiegelung am 5. Januar wurde ein Tumor festgestellt, der noch untersucht werden sollte.

Doch Peter G. wollte nicht länger im Krankenhaus bleiben. Seine Frau hatte ihn angerufen. Sie berichtete, sie sei hingefallen und habe um Hilfe gerufen, doch niemand habe sie gehört. Nach einer Dreiviertelstunde habe sie sich selbst aufrappeln können. Ihr gehe es schlecht, fügte Ilona G. noch hinzu.

Gegen ärztlichen Rat verließ Peter G. die Klinik. „Er fühlte sich absolut verantwortlich für seine Frau“, sagt Kriminalhauptkommissar Schmid. Peter G. fuhr nach Hause. Er wusste, dass seine Frau keine fremde Hilfe im Haushalt duldete, er wusste, dass sie nicht in eine Seniorenresidenz ziehen wollte. Einen alten Baum verpflanzt man nicht, das waren ihre Worte. „Die Wohnung war ihr wichtiger Ankerplatz“, sagt Schmid. Und Peter G. habe den Willen seiner Frau akzeptiert.

An jenem Abend versuchte der Rentner seine Frau zu überreden, mit ihm ins Krankenhaus zu kommen. Doch Ilona G. lehnte ab. Sie hatte wohl Angst, nie wieder in ihre Wohnung zurückkehren zu können. Sie aßen Abendbrot, sie sahen fern, sie gingen zu Bett. „Wir schlafen drüber und entscheiden morgen“, soll Peter G. seiner Frau vorgeschlagen haben. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass er schon längst eine Entscheidung getroffen und den Hammer bereitgelegt hatte. Als Ilona G. schlief, schritt der Angeklagte zur Tat.

Je mehr sich seine Frau wehrte, desto kräftiger schlug Peter G. zu

Peter G. erzählt vor Gericht, dass er in jener Nacht kein Auge zumachen konnte. Er habe gegrübelt und gehört, dass seine Frau wieder weinte. „Da hat es bei mir irgendwie Klick gemacht. Ich habe mir gesagt: Mach’ dem jetzt ein Ende.“ Er wollte, dass das Weinen aufhört, dass seine „Kleene“ ruhig ist. Seine Geduld war am Ende.

Den Hammer will er nicht schon vor dem Schlafengehen bereitgelegt haben. „Wozu? Ich weiß ja, wo meine Werkzeugkiste ist.“ Mit einem Schlag sei es getan, so hatte es sich Peter G. ausgemalt. Doch je mehr sich seine Frau gewehrt habe, desto kräftiger habe er zugeschlagen. So erzählt er es den Vernehmern und wiederholt es vor Gericht. An die Stiche, die er seiner Frau anschließend noch versetzt haben soll, kann er sich nicht erinnern. Ilona G. starb an ihrem Geburtstag gegen 2.15 Uhr.

Wie kann es sein, dass ein alter Mann keinen anderen Ausweg mehr sieht als die Tötung seiner Frau? Alexander Böhle, der psychiatrische Sachverständige, spricht von einer schweren depressiven Episode, in der sich Peter G. befunden habe. Diese sei einhergegangen mit einer zunehmenden Überforderung. Der Mediziner nennt den Angeklagten einen körperlich schwer beeinträchtigten und erschöpften Menschen.

Zwei Monate vor der Tat hatte Peter G. eingesehen, dass er überfordert ist. Er stürzte immer öfter und immer heftiger, hatte Schlafstörungen, machte sich Gedanken darüber, seine Frau nicht mehr versorgen zu können. Er beschrieb seine Situation als niederschmetternd. Böhle spricht bei der Tat von einem defensiven, aus der Angst entstandenen Exzess. In seinem Gutachten schließt er eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht aus. Anhaltspunkte für eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung oder eine Tat im Affekt sieht er aber nicht.

Sozialpädagogin spricht im Fall von Peter G. von nackter Verzweiflung

Die Sozialpädagogin und Mediatorin Gabriele Tammen-Parr sagt, dass es in Berlin nicht selten vorkomme, dass hochbetagte Menschen von ihren alten Partnern gepflegt würden. Ein Einzelfall sei die Lage der G.s also nicht gewesen. Die Tat, die Peter G. verübt haben soll, aber schon. Sie müsse aus nackter Verzweiflung geschehen sein. „Er konnte sich offenbar keine andere Lösung vorstellen“, sagt Tammen-Parr. Dabei gebe es in Berlin durchaus ein gutes Netz von Hilfsangeboten und Beratungsstellen – auch für überforderte Angehörige.

Gabriele Tammen-Parr leitet in Berlin die diakonische Beratungsstelle „Pflege in Not“, eine pflegeergänzende Spezialberatungsstelle bei Problemen, Überforderungen oder Aggressionen, an die sich pflegende Angehörige auch anonym wenden können. „Wir sind da, wenn einem die Pflege über den Kopf wächst“, sagt Tammen-Parr. Ihre Mitarbeiter beraten, machen Hausbesuche, suchen gemeinsam mit den Betroffenen nach Lösungen. „Aber gerade alte Menschen sind es oftmals aufgrund ihrer Sozialisation nicht gewohnt, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Weil sie sich sagen: Ich habe das immer geschafft, ich stemme das auch jetzt.“

Natürlich sei es nicht leicht, fremde Helfer in die Wohnung zu lassen. „Sich von einem Fremden ausziehen und baden zu lassen – das ist eine Umstellung, das kostet Überwindung“, sagt Tammen-Parr. Auch für die betagten Angehörigen sei das eine befremdliche Situation. „Das ist für sie eine Bankrotterklärung, ein Schwächeeingeständnis und ein Signal an die eigene Lebenskraft, dass man es nicht mehr alleine schafft.“ Nach ihren Worten leben in der Hauptstadt rund 120.000 Pflegebedürftige und 250.000 pflegende Angehörige. Im Schnitt würden Bedürftige zehn Jahre lang zu Hause gepflegt.

Tammen-Parr erklärt, der Fall des Peter G. zeige auch die starke emotionale Belastung, die für hochbetagte Angehörige besonders schwer zu ertragen sei. „Immer wieder Mut machen, gute Stimmung verbreiten, das ist gerade für alte Menschen enorm schwer. Dazu kommt dann noch die körperliche Belastung der Pflege vor dem Hintergrund der eigenen Gebrechlichkeit.“

Auf dem Grabstein für seine Frau steht auch schon sein Name

Wichtig sei es, dass die Gesellschaft den Alten mehr Aufmerksamkeit schenkt. „In Corona-Zeiten war die nachbarschaftliche Bereitschaft zu helfen fantastisch“, sagt Tammen-Parr. Vielleicht sollte diese Hilfsbereitschaft in Häusern, in denen alte Menschen leben, zum Standard in Berlin werden. „Ein netter Zettel am Briefkasten mit einem Hilfsangebot oder einfach mal klingeln und fragen, wie es geht, das müsste doch machbar sein“, sagt die Sozialpädagogin. Alte Menschen wiederum, die nicht darin geübt sind, Hilfe in Anspruch zu nehmen, sollten ihre Scham überwinden und in der Not Nachbarn ansprechen.

Wie bestraft man einen alten Mann wie Peter G.? Er muss damit rechnen, den Rest seines Lebens inhaftiert zu bleiben. Vielleicht wird er die Strafe im Haftkrankenhaus verbüßen. „Sein größtes Ziel ist es, seiner Frau zu folgen. Weil er sie nicht allein lassen will“, sagt Thomas Schmid, der Mordermittler.

Nur einen Kilometer von der Wohnung in der Mahlower Straße entfernt hat Peter G. seine Frau beerdigen lassen. Er durfte zur Beisetzung das Haftkrankenhaus verlassen. Während der Trauerfeier brach er zusammen. Auf dem Grabstein steht unter dem Namen seiner „Kleenen“ auch sein Name.