Wohnen in Berlin

Zweiter Anlauf für Vergesellschaftung von Wohnungen in Berlin

Die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen will die Berliner über ein Gesetz zur Vergesellschaftung abstimmen lassen.

Kündigten einen Gesetzentwurf zur Vergesellschaftung von Wohnungen an: Bana Mahmood, Veza Clute-Simon und Achim Lindemann (v.l.) von der Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen am Dienstag vor dem Roten Rathaus
Kündigten einen Gesetzentwurf zur Vergesellschaftung von Wohnungen an: Bana Mahmood, Veza Clute-Simon und Achim Lindemann (v.l.) von der Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen am Dienstag vor dem Roten RathausBernd von Jutrczenka/dpa

Jetzt steht es fest. Die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen startet einen zweiten Anlauf für einen Volksentscheid zur Vergesellschaftung von Wohnungen großer Unternehmen. Dabei sollen die Berliner über ein Gesetz abstimmen, das im Fall einer ausreichenden Unterstützung Rechtskraft erlangen würde, ohne dass es einer weiteren Befassung durch den Senat und das Abgeordnetenhaus bedarf. Das kündigte die Initiative am Dienstag vor dem Roten Rathaus anlässlich des zweiten Jahrestags des Volksentscheids vom 26. September 2021 an.

Während die Mieter „immer tiefer in der Wohnungsmisere versinken und die Immobilienkonzerne“ aus der Not der Menschen „Profite schlagen“, lasse der Senat „keinen Zweifel daran, dass er die Vergesellschaftung von Wohnraum mit allen Mitteln verhindern“ wolle, sagte die Sprecherin der Initiative Veza Clute-Simon. „Dem werden wir nicht mehr weiter tatenlos zuschauen: Als Berliner Stadtgesellschaft schreiben wir jetzt selbst das Vergesellschaftungsgesetz, das uns der Senat seit zwei Jahren schuldig ist“, sagte sie.

Beim Volksentscheid vor zwei Jahren hatten 57,6 Prozent der Abstimmenden den Senat aufgefordert, „alle Maßnahmen einzuleiten“, die zur Überführung von Immobilien sowie von Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung nach Artikel 15 des Grundgesetzes erforderlich sind. Das Votum drückte einen starken politischen Willen aus, war aber rechtlich nicht bindend. Ziel war es, die Bestände von Wohnungsunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen in Berlin zu vergesellschaften – gegen eine Entschädigung.

Die rot-grün-rote Regierung hatte als Reaktion auf den Volksentscheid eine Expertenkommission eingesetzt, die prüfen sollte, ob eine Vergesellschaftung von Wohnungen rechtlich möglich ist. Noch bevor die Kommission ihr Ergebnis vorlegen konnte, kam es nach den Wiederholungswahlen zum Regierungswechsel und einer Koalition aus CDU und SPD. Die Expertenkommission kam im Juni in ihrem Abschlussbericht zwar zum Schluss, dass eine Vergesellschaftung von Wohnungen nach Artikel 15 des Grundgesetzes zulässig ist. Doch der neue Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CD) bekannte bei der Übergabe des Berichts, dass er beim Thema Vergesellschaftung „stets skeptisch“ gewesen sei und dies „immer noch“ sei. Dass eine CDU-geführte Landesregierung die Vergesellschaftung von Wohnungen auf den Weg bringen könnten, gilt als unwahrscheinlich. SPD und CDU haben lediglich vereinbart, ein allgemeines Vergesellschaftungsrahmengesetz zu erarbeiten, das die Bedingungen der Vergesellschaftung im Bereich der Daseinsvorsorge regeln soll, jedoch kein Gesetz zur Umsetzung der Vergesellschaftung.

Initiative nimmt sich ein Jahr Zeit für den Gesetzentwurf

Die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen kündigte am Dienstag an, sich die Zeit zu nehmen, die nötig sei, „um ein sicheres Vergesellschaftungsgesetz zu erarbeiten“, wie der Sprecher Achim Lindemann sagte. Dafür setze man einen Zeitraum „von ungefähr einem Jahr“ an. Als Termin für den Volksentscheid würde die Initiative zwar gerne einen Wahltag nutzen, zum Beispiel zu den Abgeordnetenhauswahlen im Jahr 2026, doch sieht sie auch an einem anderen Termin ein hohes „Mobilisierungspotenzial“. Mehr als 80 Prozent der Menschen würden schließlich zur Miete wohnen und die Mietenkrise werde „immer schlimmer“, sagte Lindemann. „Das wird die Leute natürlich mobilisieren.“ Um die Arbeit für den nächsten Volksentscheid finanzieren zu können, braucht die Initiative nach eigenen Angaben 100.000 Euro. Das Geld soll mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne gesammelt werden.

Die Ankündigung eines neuen Volksentscheids stößt auf ein unterschiedliches Echo. „Als Berliner Mieterverein (BMV) begrüßen wir, dass jetzt wieder Bewegung in die Wohnungspolitik kommt“, sagte die BMV-Geschäftsführerin Ulrike Hamann. „Der Abschlussbericht der Expertenkommission hat ja die grundsätzliche Möglichkeit und Notwendigkeit einer Vergesellschaftung herausgearbeitet“, sagte sie. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) lehnt den Vorstoß ab. „Enteignungen verschärfen die Lage auf dem Wohnungsmarkt und schaden dem Wirtschaftsstandort ganz massiv“, so die IHK-Sprecherin Claudia Engfeld. „Das gilt im Übrigen auch für entsprechende Gedankenspiele.“

Senat setzt auf Wohnungsneubau statt Vergesellschaftung

Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sagte, durch eine Vergesellschaftung werde „keine einzige Wohnung“ neu geschaffen. Wenn die Initiative nun einen Gesetzesentwurf vorlegen wolle, könnte das aber „für Klarheit sorgen“. Er sei sich sicher, dass Gerichte dazu Stellung nehmen werden. „Dann können wir uns auf das fokussieren, worauf es wirklich ankommt, nämlich bestmöglicher Schutz von Mieterinnen und Mietern vor steigenden Mieten und mehr Wohnungsneubau, damit wir den Wohnraummangel in der Stadt endlich in den Griff bekommen“, so Wegner.

Ähnlich äußerte sich Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD): „Ich bin mir sehr sicher, dass es für jeden Gesetzesentwurf in dieser Form eine verfassungsrechtliche Prüfung geben wird“, sagte sie. Es müsse abgewartet werden, was dabei rauskomme. Nach ihrem Eindruck gebe es in der Stadtgesellschaft aber „die Erwartung, dass genügend Wohnungen“ geschaffen werden. „Das ist die Aufgabe, auf die wir uns konzentrieren“, so Giffey.

Der gemeinnützige Verein Mehr Demokratie, der sich für direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung einsetzt, bezeichnete die Ankündigung der Initiative als „einen logischen Schritt, vor dem Hintergrund, dass der erste Volksentscheid von 2021 nicht umgesetzt wurde“. Linke und Grüne begrüßten den Vorstoß für den nächsten Volksentscheid. Der Landesvorsitzende der Grünen Philmon Ghirmai sagte: „Wir freuen uns darauf, uns in die Debatte um ein konkretes Vergesellschaftungsgesetz einzubringen.“

Die FDP, mittlerweile in der außerparlamentarischen Opposition, hält nichts von einem neuen Volksentscheid. „Schwarz-Rot muss im Abgeordnetenhaus einen eigenen Gesetzentwurf als Gegenposition zum Enteignungsgesetz der Initiative auf den Weg bringen“, forderte Meyer. „Die klare Gegenposition ist ein Gesetzentwurf für Wohnungsbau am Rand des Tempelhofer Feldes.“