Schadstoffe in Wohnhäusern

Asbestgefahr in Wilmersdorf: Mieter sollen Tapeten nicht mehr selbst entfernen

In einem Wohnkomplex in Wilmersdorf wurde Asbest gefunden – auch im Putz an Decken und Wänden. Die Degewo warnt Bewohner. Eine besorgte Mieterin berichtet.

Mieterin Carola S. in ihrer Wohnung in der Schlangenbader Straße. Die Tapete soll sie nicht mehr selbst abreißen, wenn sie renovieren will.
Mieterin Carola S. in ihrer Wohnung in der Schlangenbader Straße. Die Tapete soll sie nicht mehr selbst abreißen, wenn sie renovieren will.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Dass im Wohnkomplex an der Schlangenbader Straße in Wilmersdorf asbesthaltige Materialien verbaut wurden, ist bekannt. Doch wo überall sich das gefährliche Material befindet, stellt sich erst nach und nach heraus. Das führt bei Mietern zu teils bösen Überraschungen – und löst ernste Sorgen aus, wie ein aktuelles Beispiel zeigt.

Carola S. steht im Wohnzimmer ihrer Wohnung an der Schlangenbader Straße. „Ich bin im Jahr 2015 in meine Wohnung eingezogen“, sagt sie. „Ich habe sie renoviert übernommen und musste nur noch den Fußboden legen, der aus Laminat ist“, berichtet sie. „Beim Einzug hat mich niemand darüber informiert, dass meine Wohnung asbestbelastet sein könnte“, so die Mieterin.

Erst ein Jahr später, im November 2016, habe die Degewo sie in einem Brief zum Thema Asbest informiert. „Sie teilte mir darin mit, dass sie mich bereits im Jahr 2013 mit dem Umgang von asbesthaltigen Baumaterialien vertraut gemacht habe und mich aus ‚gegebenem Anlass‘ erneut in der Thematik sensibilisieren wolle“, so Carola S. „Im Jahr 2013 habe ich allerdings noch gar nicht in der Schlangenbader Straße gewohnt. Deswegen kannte ich die Information überhaupt nicht, auf die sich die Degewo berief.“


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Das Schreiben von 2016 sei auch eine eher allgemeine Information gewesen, in der die Degewo mitteilte, dass in den 1960er- und 1970er-Jahren in Berlin und im gesamten Bundesgebiet häufig asbesthaltige Bauteile verwendet worden seien, zum Beispiel bei Wand- und Bodenfliesen sowie an Fassadenplatten. „Die Degewo wies in dem Schreiben darauf hin, auf keinen Fall eigenständig Arbeiten wie Bohren und Schrauben an den Fußbodenplatten in der Wohnung vorzunehmen“, so Carola S. Auch außen an der Fassade und den Seitenwänden der Terrasse sollte das unterbleiben.

„Im Jahr 2019 habe ich dann noch eine Broschüre der Degewo mit verschiedenen Hinweisen bekommen“, berichtet die Mieterin. „Darin wurde erneut über asbesthaltige Bodenbeläge und über Asbest im Außenbereich informiert, zum Beispiel in Fensterbänken und im Dämmmaterial.“ Das sei mit dem Hinweis verbunden gewesen, das Bohren in solchen Bauteilen zu unterlassen.

Brief der Degewo informiert über asbesthaltige Spachtelmasse

„Jetzt haben wir vor kurzem einen Brief der Degewo erhalten, in dem wir über neue Asbestfunde und mögliche Gefahren informiert werden“, so Carola S. „Danach wurde an einzelnen Decken und Wänden asbesthaltige Spachtelmasse gefunden“, berichtet die Mieterin. Solange diese asbesthaltigen Wandputze unbeschädigt sind, solle laut Degewo keine Gefahr bestehen. „Wir Mieter sollen aber keine Löcher in die Innenwände der Wohnung bohren und auch keine Tapeten mehr entfernen, um zu verhindern, dass Staub freigesetzt wird“, sagt Carola S. „Mich beunruhigt das sehr. Denn bei der Einrichtung meiner Wohnung habe ich viele Löcher in die Decke gebohrt, um Lampen anzubringen. In mehreren Zimmern habe ich auch eine Schiene an der Decke angebracht, um daran Bilder aufhängen zu können. Dafür habe ich ebenfalls viele Löcher gebohrt. Ich weiß nicht, wie viel Staub ich dabei eingeatmet habe, der womöglich Asbest enthielt. Das macht mir Sorge“, sagt sie.

„Nun sollen solche Arbeiten jedenfalls nur noch unter Schutzmaßnahmen gemacht werden, hat uns die Degewo mitgeteilt“, berichtet die Mieterin. Das gelte auch für das Entfernen der Tapete. „Es sieht so aus, als ob die Wahrheit scheibchenweise rauskommt“, sagt Carola S. „Das macht mich misstrauisch. Denn ich weiß ja nicht, was als Nächstes kommt.“

Es sei „auch nicht vertrauenerweckend“, dass im Hausflur auf ihrer Etage die Wand aufgestemmt wurde, um ein Wasserrohr zu reparieren, „ohne dass dabei besondere Schutzmaßnahmen ergriffen wurden“, so die Mieterin. „Der Baustaub lag tagelang auf dem Flur. Wir Mieter haben ihn von dort in unsere Wohnungen getragen“, sagt Carola S.

Wohnkomplex an der Schlangenbader Straße. Von den 1752 Wohnungen gehören 1538 der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Degewo.
Wohnkomplex an der Schlangenbader Straße. Von den 1752 Wohnungen gehören 1538 der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Degewo.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Wohnungsunternehmen will Kosten übernehmen

„Eigentlich wollte ich jetzt meine Wohnung renovieren, die alte Tapete abreißen und eine neue anbringen. Nach dem Schreiben der Degewo darf ich das aber nicht mehr tun. Das soll nur durch Fachfirmen erledigt werden – unter entsprechenden Schutzmaßnahmen. Ich fühle mich dadurch eingeschränkt. Ich weiß auch nicht, wie teuer das wird und wer für die Kosten aufkommt. Die Degewo?“, fragt sie.

Das landeseigene Wohnungsunternehmen ist eigenen Angaben zufolge dazu bereit. „Degewo zahlt freiwillig die Kosten und organisiert alles Weitere im Einzelfall erforderliche“, erklärt ein Unternehmenssprecher auf Anfrage der Berliner Zeitung. 1752 Wohnungen gehören zum Komplex mit der Überbauung der Stadtautobahn an der Schlangenbader Straße. 1538 Wohnungen davon sind im Besitz der Degewo, 214 Wohnungen wurden an Mieter verkauft und gehören zu einer Wohneigentumsanlage. Alle betroffenen Mieter würden „bei Einzug über alle bekannten Schadstoffe in ihrer Wohneinheit umfassend informiert, danach fortlaufend, wenn es neue Erkenntnisse gibt“, berichtet der Degewo-Sprecher.

„Wir sanieren seit 2013 jede Wohnung bei Mieterwechsel“, betont der Sprecher. „Es werden hier Beprobungen durchgeführt, auf deren Grundlage wir eine Sanierung durchführen.“ Auch wenn größere Reparaturen in einer bewohnten Wohnung erforderlich seien, werde „selbstverständlich vorher auch beprobt und entsprechend gearbeitet“. In circa 50 Prozent der Wohnungen seien im Rahmen von Mieterwechseln und Reparaturarbeiten Asbestsanierungen vorgenommen worden, in der Regel im Fußbodenbereich. Somit komme die Degewo bei der Asbestsanierung „Schritt für Schritt voran“, so der Sprecher. „Wir wären gerne schneller, der Fachkräftemangel bremst uns und die Fachunternehmen leider aus. Trotzdem werden Tausende Quadratmeter jährlich vom Asbest befreit“, sagt er.

Sprecher verweist auf mehrmalige systematische Suche

Zum Vorwurf, dass die Degewo nur „scheibchenweise“ über die Asbestgefahr informiere und zur Frage, ob niemals systematisch nach Asbest gesucht wurde, antwortet der Degewo-Sprecher: „Asbest war über Jahrzehnte in vielen Bauprodukten enthalten. Auch bei einer systematischen Suche, die es mehrmals gab, kann nie ausgeschlossen werden, dass zum Beispiel ganz vereinzelt Löcher mit asbesthaltigem Spachtel geschlossen wurden. So kann es immer wieder neue Erkenntnisse geben, wie bei der letzten Beprobung, bei der fünf von Hunderten Proben Asbest enthielten. Dies zeigt, dass in den Putzen nicht systematisch asbesthaltige Baustoffe verwendet wurden.“

Die Degewo werde „ab Mitte 2025 eine Großsanierung der Schlange starten, zunächst mit einem Pilotabschnitt“, kündigt der Sprecher an. Die Schadstoffsanierung stehe neben der denkmalgerechten Sanierung im Mittelpunkt. Im Zuge der Sanierungsvorbereitung sei ein Schadstoffgutachten erstellt worden, welches ständig aktualisiert werde. Die Degewo nehme „die Schadstoffsanierung sehr ernst“. Trotzdem sei „auch eine asbesthaltige Wohnung gefahrlos bewohnbar, wenn nicht mit Gewalt auf asbesthaltige Bauteile eingewirkt“ werde, betont der Sprecher.

„Wir stellen ein umfangreiches Informationsangebot zur Verfügung und haben auch einen Informationstermin angeboten, das Interesse war aber trotz Werbung und Mieterschreiben sehr gering“, berichtet der Unternehmenssprecher. Die Hausmeister und die Zentrale Kundenberatung seien dennoch „stets ansprechbar für alle Fragen zu diesem und anderen Themen“.

Mieterberater fordert Asbestregister für Berlin

Zu Hinweisen von Mieterseite, dass auf den Fluren zu den Mietwohnungen in der Schlangenbader Straße 11 teilweise große Löcher in den Wänden zu finden sind, dass die Bauarbeiten ohne besondere Schutzmaßnahmen erfolgt seien und Baustaub tagelang auf dem Boden lag, antwortet der Degewo-Sprecher: „In dem Bereich enthalten die Bauteile kein Asbest, somit sind keine besonderen Vorkehrungen notwendig. Wir bedauern natürlich trotzdem wenn es durch notwendige Bauarbeiten zu Unannehmlichkeiten gekommen ist.“

Der Alternative Mieter- und Verbraucherschutzbund (AMV) sieht trotz der Maßnahmen der Degewo Anlass zur Kritik. „Bedenkt man, dass die Gesundheit das höchste Gut des Menschen und eine Gesundheitsgefährdung beim Austritt von Asbestfasern sehr hoch ist, da bereits eine einzelne Faser die Gesundheit schädigen und zu einer tödlichen Erkrankung führen kann, so ist der momentane Umgang der Degewo mit dem Asbestproblem in der Schlangenbader Straße unakzeptabel“, sagt AMV-Chef Marcel Eupen. „Wir fordern zeitnah eine planmäßige Erfassung aller belasteten Wohnungen in der Schlangenbader Straße sowie eine zügige Sanierung der betroffenen Wohnungen.“ Zudem fordere der AMV „ein Asbestregister für Berlin, das alle Wohnungen mit asbesthaltigen Bauteilen auflistet, sowie die Entwicklung einer umfassenden Sanierungsstrategie und deren Umsetzung“, so Eupen.