Eigentlich ist es klar: Berlin hat aktuell 3.671.857 Einwohner, 2.538.717 Menschen leben im Land Brandenburg. Diese Zahlen haben Statistiker aus Angaben der Geburten- und Sterberegister ermittelt, außerdem Daten der Meldeämter über Zuzüge und die Zahlen der Weggezogenen berücksichtigt. Doch am Ende ist alles Theorie. Die Dunkelziffer ist hoch, weiß man im regionalen Statistikamt. Insbesondere die Angaben der Meldeämter seien oft weder präzise noch aktuell. Die Meldepflicht werde in nennenswerter Zahl nicht sehr ernst genommen. Zudem macht es die Berliner Verwaltung dem braven Bürger bekanntermaßen nicht gerade leicht, dieser Pflicht nachzukommen. Deshalb wird nun gezählt. Die Region macht Inventur.
Ab dem 15. Mai wird bundesweit und so auch in Berlin und Brandenburg der Zensus 2022 durchgeführt. Es ist die erste genaue Zählung seit elf Jahren. 2011 hatte Berlin laut damaligem Zensus knapp 3,3 Millionen Einwohner. Die neue Zahl soll Ende nächsten Jahres vorliegen, heißt es im Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, das die Zählung durchführt.
Einwohnerzahlen entscheiden auch über Finanzen
Worum es geht, fasst Kersten Klemm, Projektleiterin beim hiesigen Statistikamt, in einer einzigen Frage zusammen: „Wir wollen wissen, wie viele Menschen wo wohnen“, sagt sie, und die Antwort darauf ist tatsächlich nicht unerheblich. Verlässliche Einwohnerzahlen sind die Basis etwa für die Planung von Wohnungen, Verkehrsnetzen, Kitas und Schulen. Auf ihrer Grundlage werden auch die Größen von Wahlkreisen bestimmt, die Stimmen im Bundesrat verteilt und kommunale sowie Länder-Finanzausgleiche gezahlt.
Konkret geht es beim Zensus 2022 allerdings um mehr als die reine Einwohnerzahl. Es sollen unter anderem das Geschlecht, der Familienstand und die Staatsangehörigkeit der hier lebenden Menschen ermittelt werden. Welchen Bildungsstand haben sie, womit verdienen sie ihren Lebensunterhalt? Da es in Deutschland kein einheitliches Verwaltungsregister gibt, wird darüber hinaus eine Gebäude- und Wohnungszählung durchgeführt, mit der auch Alter, Größe, Ausstattung und Miete der Wohnung erfasst werden sollen. Was genau gefragt wird, ist im Zensusgesetz 2022 festgelegt.
Die Teilnahme am Zensus 2022 wird per Zufallsauswahl von Anschriften erfolgen, das Ergebnis dieser Stichprobe dann auf die gesamte Bevölkerung hochgerechnet. Es wird also nicht jeder einzelne Berliner und Brandenburger befragt. In Berlin werden etwa acht Prozent der hier lebenden Menschen für die Analyse herangezogen, in Brandenburg knapp jeder siebente. Insgesamt sollen in der Region 700.000 Personen befragt werden, davon 300.000 in Berlin.
Die Auswahl der Anschriften, so heißt es, erfolge auf der Grundlage eines komplexen mathematischen Zufallsverfahrens. Wer ausgewählt wird, kann sich dem allerdings nicht entziehen. Laut Kersten Klemm sei im Zensusgesetz die Auskunftspflicht festgeschrieben. „Nur so können wir zu einer qualitativ hochwertigen Aussage über den Querschnitt der Bevölkerung kommen“, sagt sie. Wer sich weigert, müsse mit Sanktionen rechnen. 200 bis 300 Euro Strafe seien möglich.
1000 Euro Aufwandsentschädigung für Interviewer
Während die Gebäude- und Wohnungsdaten vor allem online erfasst werden sollen, werden die Personendaten fast ausschließlich in persönlicher Befragung ermittelt. Wer das tun wird, ist jedoch noch unklar. Der Bedarf ist jedenfalls groß. „Wir brauchen in Berlin etwa 2000 Interviewer, 3000 in Brandenburg“, sagt Mark Hoferichter, zuständiger Projektleiter im Statistikamt. Im Schnitt müsse jeder Interviewer rund 150 Befragungen durchführen, wofür Hoferichter eine Aufwandsentschädigung von etwa 1000 Euro verspricht. Sollten nicht genug Freiwillige gefunden werden, müssten Mitarbeiter aus den Verwaltungen „zwangsverpflichtet“ werden, sagt er.
Laut Zensus-Chefin Kersten Klemm würden die Interviewer in Gesprächen sorgfältig ausgewählt, auf Eignung geprüft und schließlich zur Geheimhaltung verpflichtet. Allerdings räumt das Amt auch ein, dass man vor der Rekrutierung der Freiwilligen nur begrenzte Möglichkeiten der Bewertung habe. So könne beispielsweise nicht verlangt werden, dass der Bewerber geimpft ist. Ebenso sei es nicht auszuschließen, dass ein Interviewer vorbestraft ist, weil das Amt nach eigenen Angaben nicht befugt sei, bei Behörden Auskünfte etwa zum polizeilichen Führungszeugnis eines Bewerbers einzuholen.
Zensus kostet Berlin 31 Millionen Euro
Läuft alles nach Plan, werden die Befragungen in der Region im August größtenteils abgeschlossen sein. Bis Oktober sollen dann noch Mahnverfahren laufen. Das endgültige Ergebnis wird für Ende 2023 angekündigt. Dann wird man genauer wissen, wie viele Menschen in der Region leben, welche Staatsbürgerschaft sie haben und wie viel Miete sie zahlen.
