„Letzte Generation“

Wie Berliner Polizisten die Klima-Kleber von den Straßen holen

Die Berliner Zeitung begleitete einen Einsatz der Polizei bei den Sitzblockaden.

Berliner Polizisten lösen Mitglieder der „Letzten Generation“ von der Fahrbahn ab, die sich zuvor dort angeklebt hatten.
Berliner Polizisten lösen Mitglieder der „Letzten Generation“ von der Fahrbahn ab, die sich zuvor dort angeklebt hatten.Andreas Kopietz

Die Stimmung unter den Polizisten ist wie das Wetter: frostig. Fast jeden Tag das gleiche Katz-und-Maus-Spiel. Fast jeden Tag kleben irgendwo in Berlin Menschen, die zu der Gruppe „Letzte Generation“ gehören, auf der Straße. So wie am Freitagmorgen wieder, als Zehntausende zur Arbeit wollten.

Um 8.20 Uhr zeigt die Ampel an der Konstanzer Straße, wo die Autos von der A100 kommen, Grün für Fußgänger. Mehrere Frauen und Männer in roten Warnwesten setzen sich vor die haltenden Autos. Es ist klar: Es sind wieder die, die in vielen Medien „Klimaaktivisten“ genannt werden.

Wegen der Kälte haben sie Unterlagen dabei, damit ihnen der Po nicht friert. Sechs von ihnen kleben ihre Hand mit Alleskleber auf den Asphalt, einer sogar mit beiden Händen. Ihre Forderungen kann man überall nachlesen. Zurzeit verlangen sie von der Regierung die Einführung eines 9-Euro-Tickets.

„Ich hoffe, euch frieren die Finger ab!“, brüllt eine wütende Autofahrerin. „Geht arbeiten!“, ruft ein anderer. Schnell gibt es einen Rückstau bis auf den Stadtring. Die Polizei ist nach einigen Minuten da.

Einer der Teilnehmer wird zu einem Gefangenentransporter gebracht.
Einer der Teilnehmer wird zu einem Gefangenentransporter gebracht.Andreas Kopietz

Einer der Beamten kniet sich auf eine zusammengefaltete Wolldecke und schiebt einen flachen Holzspatel unter die Hand einer jungen Frau, die auf dem linken Fahrstreifen sitzt. Er gießt etwas Speiseöl hinzu, das den Kleber von der Haut löst und schrubbt nun geduldig mit dem Holzspatel hin und her. Das gleiche Bild auch bei den „Aktivisten“, die auf der rechten Spur sitzen.

Azeton, Sonnenblumenöl, Holzspatel und Bindfaden

„Gehen Sie bitte ein Stück weg!“ Der Polizist, der das sagt, klingt nicht nett. Immer wieder sprechen die Beamten umstehende Personen an, die mit Handys und Kameras das Geschehen filmen. Die „Letzte Generation“ versteht es gut, ihre Aktionen öffentlichkeitswirksam werden zu lassen. Sie hat eigene Leute, die die Filme auf Twitter veröffentlichen und Journalisten der ihnen gewogenen Medien in die geplanten Aktionen frühzeitig einweihen.

Hier an der Ausfahrt Konstanzer Straße sind jetzt 20 Beamte der Bereitschaftspolizei und dem dazugehörigen Technischen Dienst, der die Methoden zum Ablösen verfeinert hat. Im Januar noch benutzten sie Azeton zum Lösen des Klebers. Dann schwenkte man auf Sonnenblumenöl um. Manche Polizisten benutzen einen Holzspatel zum Ablösen, andere hingegen eine Schnur.

Ein Polizist lässt schon mal die ersten Fahrzeuge durch.
Ein Polizist lässt schon mal die ersten Fahrzeuge durch.Andreas Kopietz

„Wir sind so aufgestellt, dass wir mehrere Orte in der Stadt gleichzeitig bedienen können“, sagt Einsatzleiter Burkhard Sonntag. Am Mittwoch zum Beispiel lösten sie Blockierer am Hauptbahnhof, im Regierungsviertel und wie so oft, von der Autobahn A100 ab. Etwa 90 Polizeibeamte stehen für den Tag bereit, in einer BAO, die die Behörde für diese Zwecke eingerichtet hat, einer „Besonderen Aufbauorganisation“.

Seit Januar kamen 50 Personen in Anschlussgewahrsam

Knapp 200.000 Einsatzstunden sind nach Angaben der Berliner Innenverwaltung inzwischen wegen der Klima-Kleber bei der Polizei angefallen. Das betrifft nur die Bereitschaftspolizei, die mit dem Auflösen der Blockaden befasst sind. In Kürze dürften die Zahlen deutlich nach oben korrigiert werden. Denn ab jetzt werden auch alle Stunden mitgezählt von Beamten, die ebenfalls damit zu tun haben.

Das sind zum Beispiel Polizisten, die im Rahmen der BAO von den örtlichen Polizeiabschnitten hinzugeholt werden. Und es gibt die, die die Fälle bearbeiten und dafür eigens in Bereitschaft sind: Beamte des gehobenen Dienstes der Polizeiabschnitte fassen die Erkenntnisse über die einzelnen Klima-Demonstranten zusammen und schreiben dann die Berichte für die Richter, denen erkannte Wiederholungstäter vorgeführt werden. Der Richter muss dann über einen Anschlussgewahrsam entscheiden. In Berlin sind maximal 48 Stunden erlaubt, spätestens bis zum Ablauf des nachfolgenden Tages. Mit Stand 20. November geschah das seit Anfang des Jahres in Berlin bei 50 Personen.

Mit Speiseöl und Holzspatel wird die Hand vom Asphalt gelöst.
Mit Speiseöl und Holzspatel wird die Hand vom Asphalt gelöst.Andreas Kopietz

An der Konstanzer Straße läuft die Datenabfrage zu den aufgegriffenen Blockierern bereits. Die Polizisten wollen wissen, ob sie es mit alten Bekannten zu tun haben, die schon einmal durch solche Blockaden aufgefallen sind. „Wenn ein Wiederholer dabei ist, wird er mitgenommen“, sagt Burkhard Sonntag.

Jammern gehört zum Geschäft

Die Hände des Mannes auf der rechten Fahrspur sind inzwischen von der Fahrbahn gelöst. Er weigert sich aufzustehen. Ein Polizist beugt sich zu ihm herunter und sagt: „Dann werden wir sie jetzt mit den Mitteln einfacher körperlicher Gewalt von der Straße entfernen.“ Er und seine Kollegin greifen dem Mann nun unter die Arme und ziehen ihn Richtung Bürgersteig. Der Polizist bei der Frau auf der linken Fahrspur schrubbt derweil weiter mit dem Spatel.

Die bereits abgelösten Blockierer sitzen abseits auf dem Boden und werden bewacht. Sie drängen darauf, wieder auf die Fahrbahn zu gelangen. Immer wieder springt einer auf und wird von Beamten zurückgehalten. Jetzt ist auch die Frau auf dem linken Fahrstreifen endlich abgelöst. Weil sie sich weigert aufzustehen, packen zwei Polizisten sie an den Armen und ziehen sie weg. Sie jammert und sagt „Aua!“. Jammern gehört zum Geschäft, um deutlich zu machen, wie brutal die Polizei ist.

Ein Beamter kippt Bindemittel auf die Ölpfützen.
Ein Beamter kippt Bindemittel auf die Ölpfützen.Andreas Kopietz

Auf dem Asphalt sind Speiseöl-Pfützen. Ein Beamter schüttet Bindemittel aus, das das Öl aufnimmt. Die Frau, deren Ablösung so lange gedauert hat, wird noch zweimal versuchen, wieder auf die Fahrbahn zu gelangen. Jedes Mal fangen Polizisten sie ein. Während die Blockierer von den Polizisten bewacht werden, geht ein Mann vorbei und ruft: „Euch sollte man alle einsperren! In ungeheizte Baracken!“

Die Protestler wissen den Rechtsstaat auf ihrer Seite. Ob sie sich auf dem Asphalt festkleben oder an der Wand des Wirtschaftsministeriums. Warum sie also nicht einfach kleben lassen und den Verkehr umleiten? „Diese Leute setzen sich einer Gesundheitsgefahr aus. Wir sind verpflichtet, sie vor sich selbst zu schützen“, sagt einer der Beamten. „So, wie wir auch versuchen, jemanden vor Suizid zu bewahren.“ Das ist auch der Grund, warum niemand vom Asphalt abgerissen wird. Denn das Recht auf körperliche Unversehrtheit steht über dem Recht auf freie Fahrt.

Aus der Gefangenensammelstelle entlassen

Von der ersten Meldung bis zum Ablösen des letzten Klima-Klebers haben die Polizisten eine Stunde und zwanzig Minuten gebraucht. Um 10.02 Uhr trifft ein alter grüner Mercedes-Transporter ein. Der Gefangenentransporter. Die sechs Personen, die sich angeklebt hatten, werden zur Gefangenensammelstelle mitgenommen. Die drei anderen Blockierer, die sich nicht angeklebt hatten, werden vor Ort durch die Polizei entlassen. 

Die Polizisten des gehobenen Dienstes haben inzwischen recherchiert: Die sechs Festgenommenen sind keine Wiederholungstäter, sondern zum ersten Mal dabei. Sie dürfen die Gefangenensammelstelle verlassen. Gegen sie wird nun wegen Nötigung und Wiederstandes gegen Vollstreckungsbeamte ermittelt.

Es wird die einzige Blockadeaktion der „Letzten Generation“ an diesem Tag bleiben. Die Polizisten haben die Erfahrung gemacht, dass die „Letzte Generation“ am Wochenende in der Regel nicht arbeitet. Ganz sicher sind sich die Beamten allerdings nicht.