Wer am Dienstagmorgen der Berliner Fashion Week die Bolle-Festsäle in Moabit betrat, konnte problemlos den gesamten Tag dort bleiben, ohne noch einmal den Fuß wieder raus ins nassgraue Berlin setzen zu müssen. Außer vielleicht, um etwas Anständiges zu essen: In der großen Vorhalle gab es zwar nahrhafte Himbeer-Smoothies, ihnen war allerdings reichlich Baileys zugemischt. Gegenüber dem Stand mit den Alk-Smoothies war eine große, weiße Fotowand aufgebaut. Darauf vier Namen: Rebekka Ruétz, Marcel Ostertag, Kilian Kerner, Danny Reinke – das Designerquartett, das in den Bolle-Sälen seine Modenschauen ausrichtete.
Es ist die erste Berliner Modewoche, die ohne die Mercedes-Benz Fashion Week auskommt – einen bisher größeren Teil der Veranstaltungsreihe, der vom Autokonzern gesponsert wurde. Mercedes-Benz aber hat dieses Engagement mit der vergangenen Saison eingestellt, der Konzern ist fortan mit kleineren Modeveranstaltungen in Berlin, so auch am heutigen Mittwochabend als Partner einer Modenschau des Labels Marc Cain. Die geänderte Lage hat auf der Fashion Week einiges durcheinander gebracht und die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe auf den Plan gerufen.
Diese ist nun größte Unterstützerin der Modewoche und stellt Fördergelder in Millionenhöhe bereit. Sie gehen an Konzepte, die von einer Fachjury ausgewählt wurden. Darunter: Rebekka Ruétz, Marcel Ostertag, Kilian Kerner und Danny Reinke, die sich für eine Art eigene kleine Fashion Week in Moabit zusammengetan haben. Ihr Format fällt in die durch den Fashion Council Germany festgelegte Kategorie „BFW Multiplikatoren“; Veranstaltungskonzepte also, von denen man sich eine hohe Reichweite verspricht und die vom Senat mit bis zu 189.000 Euro bezuschusst werden.
Ruétz, Reinke, Ostertag und Kerner schlossen sich zusammen, um im Rahmen des Schirmevents „W.E4.Fashion“ ihre Kollektionen in den Bolle-Festsälen gemeinsam und doch in eigenen Schauen zu präsentieren. „Als Quartett haben wir eine gute Förderung vom Senat bekommen. Auch der Fashion Council sowie die Berliner Fashion Week selbst haben uns diese Saison ebenfalls sehr unterstützt“, sagt Marcel Ostertag, den wir gleich nach seiner Show backstage treffen. Ostertag ist noch voller Adrenalin. „Vor der Show bin ich immer relativ relaxed, aber sobald die Musik losgeht, fängt mein Herz an zu pochen“, sagt er. Mit seiner Show „Discoteca“ wolle er das „Leben zelebrieren“: Die expressiven Looks reichten vom schwarzen, hautengen Kleid in Lackoptik bis hin zu großen Fellmänteln in Pink und Beige sowie einem immer wiederkehrenden roten Tigerprint.

Mehr Power zusammen
Die Symbiose der vier Labels sei ursprünglich Kilian Kerners Idee gewesen, so Ostertag. Auch wenn der Designer, der immer seine eigene Location hatte, sich den Backstage nun teilen muss, sagt er nun: „Wir hätten das schon viel früher machen müssen.“ Für ihn zeigt dies, dass die vier zusammen „mehr Strahlkraft und Power“ bündeln könnten. Mit Kilian Kerner sei er schon lange befreundet, auch Rebekka Ruétz kenne er bereits viele Jahre.
Danny Reinke stand zunächst gar nicht mit auf dem Plan. Laut dem jungen Designer, den wir kurz vor seiner Show sprechen, riefen die anderen drei vorerst einen „We Three Day“ ins Leben. Eine Woche später sei der jedoch wieder umgeworfen worden und Reinke habe von Kerner einen Anruf bekommen. „Wir haben Danny zu uns eingeladen, weil wir seine Kollektion so spannend finden“, sagt Ostertag.
„Grief Serenity“ heißt die neue Kollektion, die Danny Reinke dann am Dienstag zeigte. Der Designer arbeitet mit der Tierschutzorganisation Bärenwalt Müritz zusammen, die Bären retten will, die in osteuropäischen Privathaltungen oder Zirkussen gehalten werden. Reinke war selbst vor Ort und versucht, sein „Herzensprojekt“ in seiner Mode zu thematisieren.
Eine Kollektion mit wichtigem Inhalt also – und trotzdem zweifelte Reinke zunächst, ob er die Kollektion bis zu einer Show im Januar fertig bekommen könne. Denn im vergangenen Jahr gab es noch im September eine Berliner Modewoche, durch eine veränderte Terminlage blieb den teilnehmenden Marken in dieser Saison als nicht ein halbes Jahr, sondern lediglich vier Monate Zeit, um ihre Entwürfe bis zur jetzigen Fashion Week bühnenreif fertig zu kriegen.
Meine Finger werden bluten, ich werde nicht schlafen, aber ich bin dabei.
Reinke sagte nach einigem Überlegen trotzdem zu: „Meine Finger werden bluten, ich werde nicht schlafen, aber ich bin dabei“, habe er am Telefon zu Kilian Kerner gesagt. „Wir sehen uns im Januar.“ Am Ende hat es Danny Reinke geschafft. Sein Motto der Tanzbären ist klar in der Kollektion zu erkennen – ob durch üppige, plüschig anmutende Ärmel oder Stiefel aus Tüllrüschen oder Jackendesigns, die an Dompteursuniformen erinnern. „Ich versuche immer durch Mode meine Gefühle zu transportieren und meine Meinung zu vertreten“, sagt Reinke.

Gedränge und ein gerissenes Kleid: Sonst klappte alles
Auch mit ihrer Zusammenarbeit würden die vier Marken ein Signal setzen. „Früher hatte man das Gefühl, dass viele Designer gegeneinander arbeiten“, sagt Reinke mit Blick auf die Berliner Szene. Jetzt stehe der gegenseitige Support im Vordergrund, was er als jüngster der Gruppe enorm zu schätzen wisse. Was die vier verbinde, sei auch ihre Liebe zum Standort: „Wir bleiben unserer Heimat treu“, so Reinke.
„Wir haben alle unser eigenes Publikum und eine eigene Fanbase“, sagt indes Marcel Ostertag; Rebekka Ruétz beispielsweise habe mit ihrer dynamischen Kombination aus Couture und Sportswear eher ein jugendliches Klientel, er selbst versuche einen Spagat zwischen Jung und Alt: „Meine jüngste Kundin ist zwölf und meine älteste 88“ – wenn das mal nicht nach einer Reichweite durch sämtliche Generationen klingt.

Tatsächlich könnte das Konzept des „Multiplikatoren“-Formats aufgehen: Zwar waren im Publikum der Bolle-Festsäle kaum Journalistinnen und Journalisten der Fachpresse zu sehen – dafür waren die Reihen gefüllt mit Influencerinnen und Influencern, die ihre Eindrücke auf den sozialen Medien weitergeben. Der Tag in den Bolle-Festsälen ist somit auch ein organisatorisches Experiment: Es ist sehr voll, am Einlass staut es sich regelmäßig, Leute drängen sich rein und wieder raus, weil sie von einer Show kommen, zur nächsten gehen, oder den gesamten Tag dableiben, um in der Empfangshalle Baileys zu trinken. Obwohl sich jede Show dadurch um mindestens eine gute halbe Stunde verspätet, gab es keine größeren Ausfälle oder Patzer.



