Krieg

Viele Menschen aus der Ukraine werden lange in Berlin bleiben

Berlin muss sich darauf einstellen, dass die Flüchtlinge aus der Ukraine hier integriert werden müssen. Welche Folgen hat das?

Flüchtlinge aus der Ukraine warten am Ankunftszentrum Reinickendorf.
Flüchtlinge aus der Ukraine warten am Ankunftszentrum Reinickendorf.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Im Moment steht noch die schnelle Hilfe, die Unterbringung und Versorgung der Tausenden von Flüchtlingen, im Vordergrund. In Berlin sorgen vor allem unglaublich viele engagierte ehrenamtliche Helfer und eine große Spendenbereitschaft dafür, dass bislang allen ankommenden Flüchtlingen aus der Ukraine schnell geholfen werden konnte. Auch der Senat und die Verwaltungen sortieren sich langsam. Doch wie geht es dann weiter? Angesichts der Bilder aus der Ukraine muss man davon ausgehen, dass die Menschen länger bleiben.

Das erwartet auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. „Unsere Gesellschaft, unser Land muss in diesen Zeiten großherzig bleiben“, sagte der SPD-Politiker vor ein paar Tagen. Die ankommenden Menschen müssten unmittelbar versorgt werden. „Aber es wird länger dauern, und deshalb wird es auch um Integration in diesem Land gehen“, sagte Heil. „Es wird darum gehen, einen guten Zugang zum Arbeitsmarkt zu öffnen.“ Er setze sich dafür ein, „dass die Menschen, die zu uns kommen, auch die Chance haben, wo immer es geht, Arbeit aufzunehmen und eine ordentliche Krankenversorgung zu bekommen“, so Heil weiter.

Durch die Entscheidung der Europäischen Union, die Menschen aus der Ukraine als Kriegsflüchtlinge anzuerkennen - ihnen bleibt dadurch das Asylverfahren mit seinen Auflagen wie das Arbeitsverbot erspart -,  haben sie europaweit Zugang zu Arbeit, Bildung, Sozialleistungen und medizinischer Versorgung. Die Regelung ist zwar beschlossen, aber noch nicht in ein Gesetz gegossen. Doch sie wird kommen.

Für den  Arbeitsmarkt stellen die Flüchtlinge nach den Worten von Herbert Brücker kein Problem dar. Er ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Humboldt-Universität und Leiter der Abteilung Integration, Migration und Arbeitsmarktforschung am Internationalen Institut für Arbeitsmarktforschung in Nürnberg. Sollte sich erweisen, dass die Geflüchteten länger oder gar langfristig in Deutschland bleiben, erwartet Brücker keine großen Auswirkungen der Massenflucht für den Arbeitsmarkt. Die Zahl der Geflüchteten sei bisher dafür zu gering. Selbst wenn die Anzahl noch deutlich ansteige, würde dies den robusten deutschen Arbeitsmarkt kaum positiv oder negativ tangieren, ist er sich sicher. „Ich glaube auch nicht, dass die Ukrainer etwas am Fachkräftemangel ändern werden“, sagt Brücker. Er rät dennoch dazu, schon jetzt Vorbereitungen für eine möglichst gelungene Integration zu treffen. Sollte die Lage in der Ukraine auch noch in einem halben Jahr von Krieg und Flucht geprägt sein, rät er dazu, den Menschen für einen längeren Zeitraum Rechtssicherheit zu geben. „Ein vorläufiges Aufenthaltsrecht sollte dann auf drei Jahre verlängert werden“, meint der Experte.

Angebote zur Kinderbetreuung erleichtern es, einen Job zu finden

Zurzeit fliehen vor allem Mütter mit ihren Kindern aus der Ukraine. Bei der Integration der Angekommenen seien die besonderen Herausforderungen für alleinerziehende Mütter zu bedenken. Sie hätten es bei der Jobsuche ohnehin schwer. „Angebote zur Kinderbetreuung können helfen“, sagt Brücker. In Deutschland ist die Anerkennung ausländischer Abschlüsse zwar möglich, allerdings immer noch mit Hürden verknüpft, erklärt der Experte. Er schlägt bei fehlenden Qualifikationen Weiterbildungen vor, die es Fachkräften erlauben, in ihren Berufen auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Frederic Seebohm vom Bundesverband für häusliche Betreuung und Pflege mit Sitz in Berlin warnt vor einer möglichen Ausbeutung von Ukrainerinnen. Sie könnten statt der bisher beschäftigen Betreuerinnen aus Polen und Rumänien nun zu Dumpinglöhnen beschäftigt werden, fürchtet er. Auch Seebohm plädiert für Rechtssicherheit, wie sie im Koalitionsvertrag der Ampel versprochen wurde. Er schlägt ein Gesetz vor, das nach französischem oder noch besser österreichischem Vorbild einen legalen Rahmen für freie Mitarbeit in der häuslichen Pflege schafft. „Sie könnten dann als Arbeitnehmerähnliche sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden“, meint Seebohm.

Auch im Bereich Bildung versucht der Berliner Senat für die ankommenden Flüchtlingskinder aus der Ukraine schnell Lösungen zu schaffen. Laut Senatsverwaltung für Bildung gibt es in Berlin derzeit noch 540 Willkommensklassen für aktuell 6000 Schülerinnen und Schüler. „Diese Klassen sind allerdings schon recht gut ausgelastet, so dass wir in Abstimmung mit den bezirklichen Schulträgern derzeit die Einrichtung weiterer Willkommensklassen vorbereiten“, sagte Sprecher Martin Klesmann. Entsprechende Ausschreibungen für das Personal gebe es bereits. Gleichwohl würden nicht wenige Geflüchtete direkt in Regelklassen integriert werden können. Auch sei es das Ziel, Schüler aus Willkommensklassen möglichst schnell, zumindest teilweise,  in Regelklassen zu integrieren, angefangen mit Fächern wie Sport, Kunst oder Musik.

„Das Berliner Willkommensklassenkonzept hat sich seit 2015 bewährt, müsste allerdings angepasst werden, auch um zum Beispiel  den muttersprachlichen Herkunftsunterricht einzubeziehen“, so Klesmann weiter. Eine Herausforderung insgesamt blieben die Schulplatzkapazitäten in einer Stadt, die zuletzt stark gewachsen sei.

Bezirke prüfen Unterkünfte unter 100 Plätzen

Auch die langfristige Unterbringung der Flüchtlinge wird in Berlin und Brandenburg eine Herausforderung. „Seitens der Bezirke ist die Bereitschaft groß, auch bei der Unterbringung  zu unterstützen, auch soziale Bindungen mittelfristig zu erhalten“, sagt Stefan Strauß, Sprecher von Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke). Mit den Bezirken sei ein Verfahren zur Akquise von Unterkünften angesprochen, wonach Bezirke intern Angebote unter 100 Plätze prüfen und das Ergebnis dann dem Krisenstab mitteilen. Das habe nicht nur die Entlastung des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) zum Vorteil. Die sozialen Wohnhilfen würden Standorte, Eigentümer und Betreiber kennen und könnten diese besser als das LAF einschätzen, so Strauß.

Nach Auskunft des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) gibt es im Land Brandenburg bereits eine „gut funktionierende Zusammenarbeit“ zwischen den Kommunen sowie den kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen.

Wohnungsunternehmen fehlt ein Ansprechpartner

In Berlin sei die Lage aber anders, sagt BBU-Sprecher David Eberhart. So erreichten den BBU von den Mitgliedsunternehmen Anfragen, wie sie helfen könnten – verbunden mit dem Angebot, möblierte Gästewohnungen zur Verfügung zu stellen, oder Wohnungen, die aufgrund von geplanten Modernisierungsarbeiten leer stünden, aber noch bewohnbar seien. „Derzeit haben wir aber seitens des Landes keine Ansprechpersonen für solche Angebote beziehungsweise seitens des Landes die Auskunft, dass es nur an der Anmietung großer, betreuter Objekte mit mehr als 80 Plätzen interessiert sei“, so der BBU-Sprecher. Solche Objekte hätten die BBU-Mitgliedsunternehmen aber nicht in ihren Beständen.

Der Berliner Wohnungsmarkt sei weiter angespannt, sagt der BBU-Sprecher – „bei aller Hilfsbereitschaft wird es daher schwierig sein, für die vielen Menschen kurzfristig freie Wohnungen in ausreichender Zahl bereitzustellen“. Eine Möglichkeit wäre – sofern das angesichts der mit dem Status als Kriegsflüchtlinge gewährten Freizügigkeit vereinbar sei – „für eine Ansiedlung beispielsweise in Brandenburg zu werben, wo es viele bewohnbare, leer stehende Wohnungen“ gebe. „Hier könnte zumindest kurz- und mittelfristig eine Unterbringung deutlich einfacher erfolgen“, so Eberhart.