Am Ende wussten wir auch, dass es keine gute Idee war. Wir hatten uns im Herzen Friedrichshains mit dem Chef eines Autohauses verabredet und uns standesgemäß für die Anreise mit dem Auto entschieden. Doch mit der gefühlt aussichtslosen und entnervenden Parkplatzsuche war die Verspätung garantiert. Christoph Golbeck empfing uns jedoch mit großer Nachsicht und überraschte mit einer für einen Autohaus-Chef ungewöhnlichen Begrüßung: „Mit dem Rad oder der U-Bahn wäre es einfacher gewesen.“
Das Autohaus Golbeck liegt im pulsierenden Eck zwischen Niederbarnimstraße und südlicher Frankfurter Allee. Gerade feierte die Geschäftsführung mit Mitarbeitern und Freunden den 40. Firmengeburtstag. Christoph Golbeck führt das Unternehmen in zweiter Generation. Seine Eltern hatten es Anfang der 80er-Jahre als Trabi-Werkstatt gegründet. Nach der Wende standen dann Golfs und Polos im kleinen Showroom an der Frankfurter Allee.
Dahinter an der Kreutziger Straße befand sich schon damals die Werkstatt samt Hebebühnen, unter denen nach wie vor an Autos geschraubt wird. Im Schaufenster zur Allee parken indes keine polierten Karossen mehr. Vor einem Jahr hat sich das Autohaus vom Neuwagenverkauf verabschiedet. Ende September wurde der letzte Schlüssel an einen Kunden übergeben. Für Christoph Golbeck ist das lange her. Heute will er sich nicht einmal mehr genau an das Fabrikat erinnern. „VW Up oder Skoda Citigo. So was“, sagt er.
Golbeck junior – Sneaker, Weste, Schiebermütze – ist zwar mit Autos aufgewachsen, sagt aber von sich selbst, dass er nicht einmal Spuren von Benzin im Blut habe. Statt einer Schrauberlehre machte er das Abitur, studierte an vier Universitäten und kam als Politikwissenschaftler mit Promotion auf dem Gebiet der Zivilgesellschaftsforschung in das Familienunternehmen zurück. Damals war er Anfang 30. Etwa zehn Jahre ist das her.
Wir diskriminieren Autofahrer nicht.
Vor etwa fünf Jahren begann der Juniorchef über die langfristige Zukunft des Unternehmens und somit über die Frage nachzudenken, ob sich Autohaus und Verkehrswende ausschließen. „Nicht zwangsläufig“, lautet sein Befund. Golbeck weiß, dass von den etwa 100.000 Autohäusern im Land wohl nur jedes zweite überleben wird. Zugleich ist er aber davon überzeugt, dass Verkehrswende ohne Autohäuser nicht funktionieren wird. Dort seien die Leute, auf die es ankomme, sagt er. Autohaus-Kunden sollen für die Verkehrswende begeistert werden.
Tatsächlich hat Golbeck nicht nur auf den Neuwagenverkauf verzichtet, sondern zusammen mit dem Biotechnologieingenieur und Umweltberater Sebastian Olényi das Konzept für ein Mobilitätshaus entwickelt. Alte Muster sollen aufgebrochen werden, nach denen Fahrradhändler nur Fahrradfahrer bedienen und Autohäuser nur Autofahrer. Golbeck will den Familienbetrieb zu einem Zentrum für individuelle Mobilität jenseits des Autos entwickeln und den Autofahrer für Alternativen gewinnen. Dabei gehe es um Begegnung auf Augenhöhe. „Wir diskriminieren Autofahrer nicht.“

So werden in Golbecks Mobilitätshaus neben dem Werkstattbetrieb für die Stammkundschaft nun auch Lastenräder angeboten. E-Mopeds und E-Motorräder sollen folgen. Es gibt Kooperationen mit entsprechenden Herstellern. In der Werkstatt sollen Servicekapazitäten für die neue Mobilität aufgebaut werden. Demnächst will man auch Monatskarten der BVG verkaufen. Doch noch läuft das neue Geschäft zäh. „Es gibt viele Fragen, aber noch zu wenig Verkäufe“, sagt Geschäftspartner Olényi.
Bei der Berliner Kfz-Innung haben sich die Autohaus-Rebellen in jedem Fall Anerkennung verschafft. Angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Autos abnehmen wird, „sollte sich jeder, der am Markt bleiben will, Gedanken darüber machen, wie er am Markt bleiben kann“, sagte Innungschef und Obermeister Thomas Lundt anlässlich des Starts des Mobilitätshauses. Und: Wenn man es so mache wie die Golbecks, habe man mit Sicherheit gute Chancen.
Diese Chance hat allerdings auch einen sehr hohen Preis. Denn mit dem Verkaufsstopp für Neuwagen fiel auch ein Drittel des Firmenumsatzes weg. Für Verkäufer gab es nichts mehr zu verkaufen, Jobs gingen verloren. Laut Golbeck sind einige freiwillig gegangen, weil sie mit der neuen Firmenphilosophie nichts anfangen konnten. Andere mussten gehen. Hatte das Unternehmen vor einem Jahr noch 50 Mitarbeiter, sind es heute nur noch 35. Golbeck sagt, dass ihm das nicht leicht gefallen sei. Inzwischen habe es aber auch schon wieder eine Neueinstellung gegeben. Eine Kollege mit mehrjähriger Erfahrung im Lastenradbereich gehöre jetzt zum Team.
Golbeck bezeichnet sich selbst als verrückt, sagt aber, dass er milder geworden sei. Hätte er sich vor einem Jahr noch widerspruchslos einen Autogegner nennen lassen, räumt er heute ein, dass es ganz ohne Auto oft doch nicht geht. Er selbst fahre einen elektrischen BMW i3, gebraucht gekauft und mit einer kleinen 20-Kilowatt-Batterie, weil er keinen Neuwagen brauche und ihm 150 Kilometer Reichweite genügten. „So viel Auto wie nötig und so wenig wie möglich“, lautet sein Grundsatz.



