Mobilität

Radwegprojekte gestoppt: So kontert die neue Staatssekretärin die Kritik

Weil Berlins Senat den Geldhahn zugedreht hat, wollen Fans der Mobilitätswende jede Woche demonstrieren. Jetzt äußert sich Claudia Stutz erstmals öffentlich.

Ein geschützter Radfahrstreifen in Berlin. Neue Projekte dieser Art stehen jetzt auf dem Prüfstand.
Ein geschützter Radfahrstreifen in Berlin. Neue Projekte dieser Art stehen jetzt auf dem Prüfstand.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Es war absehbar, dass es Ärger gibt. Doch dass er so heftig ausfällt, hat auch die Verkehrssenatorin Manja Schreiner und ihre Staatssekretärin Claudia Elif Stutz überrascht. Die beiden CDU-Politikerinnen lassen alle Radverkehrsprojekte überprüfen, mit der möglichen Folge, dass sie gestrichen oder geändert werden, wenn der Autoverkehr betroffen ist. Nun hat Stutz versucht, die Wogen zu glätten. Was gerade passiere, sei ein „ganz normales Verfahren“, sagte sie am Donnerstagabend.

Es ist einer der ersten öffentlichen Auftritte, die Stutz absolviert. Die Juristin aus dem Rheinland, die bislang im Bundesverkehrsministerium tätig war, ist in die Technische Universität (TU) gekommen. Im Seminarraum 3007 leitet Professor Thomas Richter namens der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft eine Podiumsdiskussion über die Mobilität in der Stadt. Es gibt Brezeln, Selters und Bier.

Natürlich geht es um die Bestandaufnahme, die dazu führt, dass alle Radverkehrsprojekte in Berlin erst einmal angehalten sind und der Geldhahn einstweilen zugedreht bleibt. „Dass sich eine neue Regierung das, was davor geschehen ist, anschaut und eine Bestandsanalyse macht, ist für mich etwas ganz Natürliches“, sagt die Staatssekretärin. Auch dass die Projekte nun nach Priorität sortiert werden, wäre nichts Ungewöhnliches. „Wir machen nichts mehr als das“, so die Politikerin.

Die Vorgängerregierung, der rot-grün-rote Senat, habe „auch Gutes“ gemacht. „Aber es gibt Planungen, die umstritten sind“, gibt Stutz zu bedenken. „Ein Beispiel ist die Sonnenallee.“ Die Hauptverkehrsstraße in Neukölln, für Radfahrer heute ein einziger Gefahrenbereich, soll Radfahrstreifen bekommen. Doch so, wie es bislang geplant sei, wäre es gefährlich.

Nicht jeder neue Radweg muss mindestens 2,50 Meter breit sein

Denn die BVG hätte künftig Mühe, an die Haltestellen heranzukommen, um Fahrgäste ein- und aussteigen zu lassen. Zuvor war die Senatorin auf den Fahrgastverband IGEB eingegangen, der befürchtete, dass nach dem Umbau Busse und Autos im Stau steckenbleiben. „Wenn wir es ernst mit unserem Ziel meinen, dass der Nahverkehr in Berlin Vorrang haben soll, brauchen wir leistungsfähige Magistralen“, so Schreiner. In der Sonnenallee gebe es weiterhin zwei Fahrstreifen pro Richtung.

Zurück in die TU: Auch dass die Senatsverwaltung die Priorität der einzelnen Projekte überprüft, sei kein ungewöhnlicher Vorgang, sagt Stutz. „Sie brauchen keine Sorge zu haben, dass das monatelang andauert.“ Gerade einmal fünf Wochen habe die Verwaltung gebraucht, um den Entwurf zur Ergänzung des Mobilitätsgesetzes zu ändern. Die neue Vorlage werde am Dienstag in den Senat eingebracht.

Die Verkehrssicherheit sei ein wichtiges Thema für die schwarz-rote Koalition und den neuen Senat, sagte die Staatssekretärin. „Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass wir sichere Radwege bauen.“ Doch Stutz sieht es wie Schreiner, die „ohne Schablonen“ entscheiden will. „Wenn ein paar Meter Radweg fehlen, um sicher zum U-Bahnhof kommen zu können, sage ich ganz pragmatisch: Dann baue ich lieber einen Radweg, der nicht so breit ist, bevor ich ihn gar nicht baue.“ Wenn er angelegt werden kann, aber eben nicht wie im Mobilitätsgesetz 2,50 Meter breit, wäre das kein Hindernis.

Doch die Fahrradlobby, die Grünen und andere Verfechter der Mobilitätswende sehen das anders. Auf der einen Seite möchte das neue Leitungsteam den Autoverkehr zurückdrängen, sagte Heiner von Marschall, Landesvorsitzender des Verkehrsclubs Deutschland. „Weniger Autos – das ist ein Thema für uns“, bestätigte Stutz. Doch der drohende Stopp von Radverkehrsprojekten passe nicht dazu, so von Marschall.

Changing Cities will jede Woche demonstrieren

Christian Böttger, der sich als Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin mit verkehrsökonomischen Fragen befasst, kritisierte die bisherige, von den Grünen bestimmte Verkehrspolitik des Senats. Er sprach von einem „Kulturkampf“. „Man hat mit großem Engagement das Fahrrad gefördert – zu Lasten aller anderen. Radfahrer wurden priorisiert“, so Böttger. Dem öffentlichen Verkehr sei dagegen nicht genug Aufmerksamkeit gewährt worden. So gebe es immer noch viele Ampelanlagen, bei denen Vorrangschaltungen für Busse und Straßenbahnen ausgeschaltet worden seien.

Das Bündnis Changing Cities ruft nun regelmäßig zu Demos auf – bis die guten Radwege da sind. Der Auftakt findet am Montag ab 8.15 Uhr in der Schönhauser Allee statt. Ein Demo-Sommer steht bevor.