Verkehr

Sperrungen in Sicht: So groß ist der Sanierungsstau bei der Berliner U-Bahn

Auf allen neun Linien sind Baumaßnahmen nötig, teilt der Senat mit. Was sind die nächsten Projekte? Und wie geht es weiter mit der U2 am Alexanderplatz?

Der U-Bahnhof Grenzallee an der U7 in Neukölln ist ein schwieriger Fall. Vor fünf Jahren wurden die Kacheln entfernt, für die Instandsetzung sind Abstimmungen mit dem Denkmalschutz nötig.
Der U-Bahnhof Grenzallee an der U7 in Neukölln ist ein schwieriger Fall. Vor fünf Jahren wurden die Kacheln entfernt, für die Instandsetzung sind Abstimmungen mit dem Denkmalschutz nötig.Sabine Gudath

Nicht mehr lange, dann beginnt eines der größten Sanierungsprojekte, das es jemals bei der Berliner U-Bahn gegeben hat. Montag wird die U6 zwischen Kurt-Schumacher-Platz und Alt-Tegel gesperrt – bis Frühjahr 2025. Zum 7. November wird die U2 von Theodor-Heuss-Platz bis Ruhleben ebenfalls auf Schienenersatzverkehr umgestellt – bis März 2023. Auch künftig müssen sich die Nutzer des größten deutschen U-Bahn-Systems auf Bauvorhaben einstellen. Jetzt hat die Senatsverwaltung für Mobilität beziffert, wie groß der Sanierungsbedarf ist: Bis 2035 summiert er sich auf mehr als 3,5 Milliarden Euro.

„Es muss uns nachdenklich stimmen, ob die Prioritäten in der Verkehrspolitik richtig gesetzt sind“, kommentiert Kristian Ronneburg von der Linken. Und Felix Reifschneider von der FDP fragt, ob das Geld, das Berlin für das 29-Euro-Abo und billigere Sozialtickets ausgibt, nicht besser in neue U-Bahn-Anlagen investiert werden sollte.

„Meine Anfrage an den Senat zeigt, dass der Sanierungsbedarf im U-Bahn-Netz enorm ist und in den nächsten Jahren immer weiter ansteigen wird“, so Ronneburg. Zwar sind die Anlagen betriebssicher. „Der bauliche Zustand des Berliner U-Bahnnetzes und der U-Bahnhöfe kann auf der Grundlage der regelmäßigen Bauwerksprüfung im Wesentlichen mit gut bis befriedigend bewertet werden“, teilte Staatssekretärin Meike Niedbal mit. Allerdings: „Auf allen U-Bahnlinien von der U1 bis zur U9 besteht ein gewisser baulicher Sanierungsbedarf.“

Eine Nord-Süd-Linie steht auf Platz 1, eine Strecke in den Osten auf Platz 2

Spitzenreiter ist die Linie U6. Für die Nord-Süd-Strecke werden die Kosten, die in den kommenden 13 Jahren für Sanierung und Grunderneuerung anfallen, auf fast 470 Millionen Euro geschätzt. Auf dem nächsten Rangplatz steht die U2, für die sich die Ansätze auf 334 Millionen Euro summieren. Es folgt die U7, die längste U-Bahn-Linie Berlins mit erwarteten Investitionen von 322 Millionen Euro. Die U5 schlägt mit fast 267 Millionen Euro zu Buche, die U1 mit 213 Millionen Euro. Von den neun U-Bahn-Linien, die es in Berlin gibt, sind das die Strecken mit dem größten Sanierungsbedarf.

Hinzu kommt der „Sammelansatz Netz“ von 1,46 Milliarden Euro, der sich nicht auf einzelne Strecken bezieht. So kalkuliert die BVG für den Zeitraum vom kommenden Jahr bis 2035 mit einem Bedarf von knapp 3,532 Milliarden Euro. Steht das Geld zur Verfügung? Die Finanzierung sei durch Vereinbarungen mit dem Land und Fördermöglichkeiten des Bundes „weitgehend gesichert“, so die Staatssekretärin.

Der U-Bahnhof Bismarckstraße in Charlottenburg (U2/U7) wird nach einem Entwurf des Architekturbüros der heutigen Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt erneuert. 2015 ging es los – 2023 soll es enden.
Der U-Bahnhof Bismarckstraße in Charlottenburg (U2/U7) wird nach einem Entwurf des Architekturbüros der heutigen Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt erneuert. 2015 ging es los – 2023 soll es enden.Gerd Engelsmann

Und wenn sich zusätzlicher Bedarf ergibt? Dann werde sich das Personal als Achillesferse erweisen, so Niedbal. „Aufgrund des aktuellen Fachkräftemangels können nicht alle vorhandenen Stellen wie gewünscht besetzt werden. Das Grundgeschäft der Bauwerkssanierung ist derzeit noch gesichert, eine Ausweitung der Maßnahmen jedoch nur bedingt möglich“, gestand die Senatspolitikerin ein.

Der Neubau des Waisentunnels unter der Spree, für den der Fluss teilweise trockengelegt werden muss, wird die Fahrgäste nicht direkt betreffen. Das Bauwerk, das die U5 mit der U8 verbindet, wird für die Überführung von Zügen zur Inspektion gebraucht. Andere Projekte werden die BVG-Kunden sehr wohl betreffen. Bereiche mit einer schlechten Zustandsklasse hätten die „höchste Priorität“, teilte Niedbal mit. Sie verwies auf die geplanten Tunnelsanierungen zwischen Karl-Marx-Straße und Hermannplatz, unter der Chausseestraße sowie zwischen Wittenberg- und Nollendorfplatz.

FDP setzt sich für den Bau der U10 nach Weißensee ein

Mittelfristig stünden Sanierungsmaßnahmen auf Abschnitten an, deren baulicher Zustand mit gut und ausreichend bewertet wird. Die Staatssekretärin nannte die Sanierung des Rampenbauwerks Kurfürstenstraße (U1) sowie der Brücke über den Park am Gleisdreieck (U1/U3). Tunnelsanierungen betreffen die Bereiche Spittelmarkt und Klosterstraße (U2), die Müllerstraße zwischen Wedding und Seestraße sowie den Tempelhofer Damm von Platz der Luftbrücke bis zum Bahnhof Tempelhof (U6) und rund um die Weinmeisterstraße auf der Linie U8.

„Rot-Grün-Rot hat in den vergangenen Jahren die Instandhaltung der U-Bahn-Tunnel und -Stationen vernachlässigt. Die BVG schiebt deshalb einen gewaltigen Sanierungs- und Modernisierungsstau vor sich her“, sagte der FDP-Politiker Felix Reifschneider. Dieser Stau müsse abgebaut werden. Daneben sollte der Ausbau des U-Bahn-Netzes eine „primäre Aufgabe der Verkehrspolitik von Berlin“ sein. „Anstatt jetzt 500 Millionen Euro in noch günstigere Tickets zu stecken, muss der Senat den Investitionsmotor hochfahren. Sie muss endlich die Verlängerungen der U3, der U8 und der U1 angehen.“ Zu untersuchen sei auch, ob komplett neue U-Bahn-Linien wie die U10 nach Weißensee sinnvoll sind, forderte der Abgeordnete.

Dagegen warnen Grüne, Linke, der Fahrgastverband IGEB und andere Akteure davor, sich mit Neubauprojekten zu verzetteln. Auch wenn nun Netzergänzungen wie die Verlängerung der U3 von Krumme Lanke zum Mexikoplatz vorbereitet werden: Die Sanierung bestehender Anlagen müsse jetzt Vorrang haben.

„Die Berliner haben ein Anrecht auf ein funktionierendes U-Bahn-Netz“

„Das stellt die BVG und den Senat vor große Herausforderungen“, betont Kristian Ronneburg. Nicht nur die Preise steigen, das Material sei knapp, und es fehlten finanzielle Mittel und Personal, um die Aktivitäten auszuweiten. Dass eine Ausweitung der Maßnahmen kaum möglich ist, stimme ihn skeptisch. „Die Berlinerinnen und Berliner haben ein Anrecht auf ein funktionierendes U-Bahn-Netz. Es darf nicht passieren, wenn neben absolut vermeidbaren Katastrophen wie beim Covivio-Bau über der U2 am Alexanderplatz künftig auch noch Streckensperrungen aufgrund unterlassener Leistungen im Bestandsnetz hinzukämen.“

Im U-Bahnhof Klosterstraße fährt ein Pendelzug ein. Weil im U-Bahnhof Alexanderplatz ein Gleis gesperrt werden musste, kann der Abschnitt bis Senefelderplatz nur alle 15 Minuten befahren werden.
Im U-Bahnhof Klosterstraße fährt ein Pendelzug ein. Weil im U-Bahnhof Alexanderplatz ein Gleis gesperrt werden musste, kann der Abschnitt bis Senefelderplatz nur alle 15 Minuten befahren werden.Berliner Zeitung/Peter Neumann

Wie berichtet, hat die BVG das Gleis nach Pankow gesperrt. Seitdem müssen Fahrgäste zwischen Senefelderplatz und Klosterstraße auf einen Pendelverkehr umsteigen, der nur alle 15 Minuten verkehrt. Das Bahnhofsbauwerk hatte sich um 3,1 bis 3,6 Zentimeter gesetzt – also nach unten bewegt. Das Immobilienunternehmen Covivio, das nebenan eine Grube für den Bau von Zwillingstürmen ausgehoben hat, stellte die Arbeiten ein.

Noch immer kein Zeitplan für die U2 unter dem Alexanderplatz

BVG und Covivio beraten, wie der U-Bahnhof stabilisiert und eventuell wieder angehoben werden könnte. Im Gespräch ist, von der Seite Beton unter das Bauwerk zu injizieren. Außerdem sind im Bahnhof weitere Arbeiten erforderlich. Risse zeigen, dass das Bauwerk geschädigt ist. Zusätzliche Stützen wurden aufgestellt.

Wann die U2 wieder beide Gleise nutzen kann, lasse sich weiterhin nicht abschätzen, sagte BVG-Sprecher Jannes Schwentu. An diesem Mittwoch mussten die Nutzer der U2 mit weiteren Problemen zurechtkommen. Von 8.15 Uhr an fuhren zwischen Stadtmitte und Klosterstraße mehr als drei Stunden lang gar keine U-Bahnen. Anlass: eine Stellwerkstörung am Spittelmarkt.