Amtsgericht Tiergarten

Ungebremst in Parkbank gefahren: 84-Jährige wegen fahrlässiger Tötung verurteilt

Ute H. verlor vor einem Jahr in Berlin die Kontrolle über ihr Auto. Auf die Idee zu bremsen kam die Seniorin nicht. Bei dem Unfall starb eine 73-jährige Frau.

Ute H. musste sich am Montag wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht verantworten.
Ute H. musste sich am Montag wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht verantworten.Katrin Bischoff/Berliner Zeitung

Der 8. Juli vorigen Jahres war ein schöner Tag. Wie schon so oft fuhr Ute H. mit ihrem Kleinwagen zum Einkaufen in die Nähe des S-Bahnhofs Hermsdorf. Nach dem Besuch einer Apotheke, eines Supermarktes und einer Drogerie stieg die damals 83-Jährige in ihr Auto, schnallte sich an, drehte den Zündschlüsssel. Dann, so schildert es Ute H. am Montag vor Gericht, sei der Wagen davongerast. Er krachte frontal und ungebremst in eine Parkbank, auf der ahnungslos zwei Frauen auf den Bus warteten. Die 73-jährige Renate K. wurde tödlich verletzt, eine damals 17-jährige Frau überlebte.

Am Montag muss sich Ute H. wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung verantworten. Sie ist jetzt 84 Jahre alt, die weißen Haare sind kurz geschnitten. Sie läuft auf einem Stock gestützt in den Gerichtssaal. Ihre Tochter und ihr Ehemann begleiten sie zu der Verhandlung. Es ist Ute H. anzumerken, wie schwer ihr der Gang fällt.

Seit jenem Unglückstag ist sie nie wieder mit einem Auto gefahren. Den Führerschein will sie nicht mehr zurück. Das unterschreibt sie noch im Gerichtssaal. Sie hat versucht, Kontakt zu den Betroffenen oder Hinterbliebenen aufzunehmen, um um Verzeihung zu bitten, hat Briefe geschrieben. 

Der Oberstaatsanwalt wirft ihr vor, am Tattag mit ihrem Auto grob fahrlässig auf den Gehweg vor dem S-Bahnhof Hermsdorf und dann in die Parkbank gefahren zu sein. Die rasante Fahrt der alten Dame ging über 70 Meter und dauerte zwischen acht und neun Sekunden.

Ute H. glaubt man die Fassungslosigkeit über den Vorfall. Sie weint immer wieder, als sie ihre Erklärung verliest, ihre Erinnerungen, die sie wenige Tage nach dem Unfall aufgeschrieben hatte – „um nichts zu vergessen“, wie sie sagt. Sie bete jeden Tag für die Menschen, denen sie das angetan habe. Aber sie könne nichts ungeschehen machen.

Damals habe sie alles wie üblich gemacht, geht aus ihren Worten hervor. Sie sei ins Auto gestiegen, ein Automatikwagen, den sie vor wenigen Monaten gebraucht erworben habe und mit dem nur sie zum Einkaufen gefahren sei. Sie habe den Schlüssel ins Zündschloss gesteckt. Dann sei sie ganz leicht auf das Gaspedal getreten, habe den Fuß aber sofort wieder vom Gas genommen. „Der Wagen ist gleich losgeschossen“, sagt die alte Dame.

Das Fahrzeug fuhr über eine Straße, laut Gutachten, das im Prozess thematisiert wird, beschleunigte es auf Tempo 40. Sie habe die vielen Wartenden an der Bushaltestelle vor dem Bahnhof gesehen und gedacht: Bloß nicht in die Menschen fahren. „Es hörte einfach nicht auf, der Wagen wurde nicht langsamer“, erklärt sie. Auf die Idee, die Bremse zu treten, sei sie nicht gekommen. „Nur das Lenkrad festhalten“, sei ihr Gedanke gewesen. Sie wisse nicht mehr, wo sie hingefahren sei. Nur an die Worte, dass sie wohl besoffen sein müsse, könne sie sich erinnern.

Renate K., die der Kleinwagen von Ute H. offenbar voll getroffen hatte, starb wenig später in einem Krankenhaus. Als Todesursache wurde ein Multiorganversagen aufgrund des Unfalls angegeben. Die Abiturientin, die neben der 73-Jährigen saß, erlitt eine Rippenfraktur und mehrere Hämatome. Sie sei damals auf dem Weg nach Hause gewesen, habe auf der Bank auf den Bus gewartet und ein Buch gelesen. Renate K. habe sich später zu ihr auf die Bank gesetzt. Sie habe ihr Platz gemacht, sagt die 19-Jährige vor Gericht.

Ihre Wunden seien heute verheilt, sagt die junge Frau, auch psychisch habe sie den Unfall gut verarbeitet. Sie erzählt, dass ihr Ute H. einen Brief geschrieben und sich entschuldigt habe. Auch die Angeklagte wurde bei dem Crash schwer verletzt, erlitt Knochenbrüche.

Insgesamt werden sieben Zeugen gehört. Ein Busfahrer ist darunter, der den Unfall gesehen hat und danach seinen Dienst beenden musste. Ein Erzieher, der mit seinem Sohn in unmittelbarer Nähe der Bank gestanden hatte. Er sagt, dass er seinen Sohn mit einem „Lauf weg“ in Richtung des Bahnhofs geschoben habe – weil er zunächst davon ausgegangen sei, dass jemand mutwillig in die wartende Menschenmenge fahren wollte.

Sechs Stunden Verhandlung ohne Pause

Nach sechs Stunden Verhandlungsdauer, in der der Richter kaum Pausen einlegt, fällt das Urteil: Ute H. wird wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 20 Euro verurteilt. Damit geht der Richter noch über das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß: eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15 Euro. Der Verteidiger hatte für eine noch geringere Geldstrafe plädiert. 

Nach dem Gutachten des Unfall-Sachverständigen gebe es keine Anhaltspunkte für einen technischen Defekt am Fahrzeug, so der Richter. Ute H. habe nicht einmal versucht, das Auto durch Bremsen zum Stehen zu bringen. Wäre sie auf die Bremse getreten, so hatte es der Gutachter in dem Verfahren erklärt, wäre das Fahrzeug noch vor der Parkbank zum Stehen gekommen. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig.