Sportgericht

Antisemitismus im Berliner Fußball: „Ich verbrenne euch, so wie die Deutschen das gemacht haben“

Nach einem A-Jugend-Spiel werden Fußballer des deutsch-jüdischen Vereins TuS Makkabi bedroht, der Hitlergruß gezeigt. Doch diesmal greift ein Schiedsrichter ein. Mit Folgen.

Spieler des TuS Makkabi Berlin e. V. (Archiv)
Spieler des TuS Makkabi Berlin e. V. (Archiv)Berliner Zeitung/Paulus Ponizak

Es ist ein Spiel in der Bezirksliga, A-Jugend, es findet auf einem Platz in Charlottenburg statt. Eins von Hunderten Fußballspielen in Berlin am Sonntag, den 13. November 2022. An Wochenenden wird in Deutschland gekickt. In allen Spiel- und Altersklassen um Plätze in Ligen gekämpft, um Aufstieg und Abstieg. Normalerweise.

Bei diesem Spiel wird es nicht nur darum gehen, wer auf dem Platz besser ist. Das steht schnell fest. Schon in der Halbzeitpause kippt die Stimmung im Stadion, nach dem Spiel eskaliert sie. Bis hin zu Hitlergrüßen. Die Spieler der Gastmannschaft verschwinden so schnell wie möglich. Sie sagen später: Sie fühlten sich verjagt. Nachdem sie als „Drecksvolk“ beschimpft wurden, ihnen zugebrüllt wurde, man wolle sie verbrennen. Gemeinsam mit ihrer „dreckigen Fahne“. So steht es in einem Bericht, den der Schiedsrichter hinterher verfasst.

Die Gastmannschaft, die bedroht und verjagt wird, ist der TuS Makkabi Berlin. Ein deutsch-jüdischer Sportverein. Seit Kurzem spielt auch ein Israeli in ihrer A-Jugend. Ein Freund und Mitschüler der Spieler hat eine israelische Fahne mit zum Platz nach Charlottenburg gebracht. Das ist die Fahne, die Verbrennungsfantasien hervorruft.

Es ist nicht das erste Mal, dass Spieler und Betreuer des Vereins antisemitischen Attacken ausgesetzt sind. Ganz im Gegenteil. Aber an diesem Nachmittag ist es wieder einmal besonders heftig. Und diesmal existiert ein schriftlicher Bericht. Das sei der große Unterschied, sagt Isaak Lat aus dem Vorstand des TuS Makkabi. Deshalb wird es zwei Wochen nach dem Spiel sogar zu einer Verhandlung vor dem Sportgericht des Berliner Fußball-Verbands kommen. Und zu einem Urteil, mit dem der Verband ein „klares Zeichen“ gegen Antisemitismus setzen will. 

Das Urteil richtet sich gegen den CFC Hertha 06, den Gastgeber des Spiels vom 13. November. CFC steht für Charlottenburger Fußball-Club, aber eigentlich sagen alle nur: Hertha 06. Es ist ein Verein mit langer Geschichte, die Zahl im Namen weist auf das Gründungsjahr hin, 1906. Vor dem Sportgericht wird der Präsident seinen Verein in der Gegenwart als „multikulturell“ beschreiben, die Spieler kämen aus vielen Nationen. 

Schläge, Tritte, verweigerte Handschläge

Die Geschichte des TuS Makkabi Berlin reicht sogar noch weiter zurück, bis ins Jahr 1898, als der jüdische Sportverein Bar Kochba Berlin gegründet wurde. Man sei stolz darauf, im kommenden Jahr 125. Jubiläum zu feiern, sagt Isaak Lat. Trotz der „schwarzen Jahre“, die mit eingerechnet sind. Jahre der Verfolgung, Vertreibung und Ermordung der Berliner Juden. 1970 wurde der TuS Makkabi Berlin neu gegründet.

Bei Makkabi trainieren nicht nur Fußballer. Die Sportarten, die der Verein anbietet, reichen von Schach über Tischtennis bis Basketball, Juden und Nichtjuden sind im Verein aktiv, auch hier stammen die Mitglieder aus vielen Ländern. 

Vor allem bei Fußballspielen, bei denen Makkabi-Teams antreten, kommt es immer wieder zu Attacken, zu antisemitischen Ausfällen. Selbst bei Heimspielen ist Makkabi vor Gewalt nicht sicher. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) hat einige Vorfälle dokumentiert: Im August 2015 ist der Verein Meteor 06 aus dem Wedding bei Makkabi zu Gast. Nach einer strittigen Spielsituation rufen die Gastspieler „Drecksjuden“, „Judenschweine“, treten und schlagen um sich, die Polizei muss kommen. Im Oktober 2015 schlägt der Kapitän des 1. FC Neukölln einen Makkabi-Spieler auf dessen eigenem Platz nieder, bekommt die Rote Karte, ruft seinen Mitspielern zu: „Jungs, holt die Messer raus.“ Das Spiel wird abgebrochen, die Makkabi-Spieler verstecken sich in der Kabine. 

Im November 2015 sagt der Kapitän einer Jugendmannschaft, die gegen Makkabi antreten soll: „Ich schüttle Juden nicht die Hand.“ Er spielt für Hertha 06, die Mannschaft, mit der es jetzt, sieben Jahre später, wieder Probleme gibt.

Auch am 13. November spielen Jugendmannschaften beider Vereine gegeneinander, auf dem Platz von Hertha 06 in Charlottenburg. Die A-Junioren. Spieler dieser Altersklasse sind 17 bis 19 Jahre alt, an der Grenze zum Erwachsensein. Den Verlauf der Partie kann man im Internet nachlesen: Die Junioren von Makkabi sind von Anfang an klar überlegen. Schon zur Pause führen sie 4:0. Es ist ein torreiches Spiel, am Ende steht es sogar 7:4 für die Gäste. Es ist kein Überraschungssieg, TuS Makkabi steht auch in der Tabelle auf einem der vorderen Plätze, Hertha 06 auf dem vorletzten.

„Du bist doch von den Juden gekauft“

Was nach dem Spiel passiert, ist in einem „Sonderbericht“ des Schiedsrichters Ender Apaydin dokumentiert. Der Bericht liegt der Berliner Zeitung vor.

Der Schiedsrichter beschreibt darin, wie ihm kurz nach dem Abpfiff ein Jugendlicher auffällt, der keine Sportkleidung trägt, er steht etwa drei Meter von ihm entfernt und ist „sichtlich aufgebracht“. Die Spieler des TuS Makkabi wollen ein Mannschaftsfoto machen. Vor einer israelischen Fahne. Der Jugendliche brüllt den Makkabi-Spielern entgegen: „Ich ficke euer Land und eure Fahne, ihr Hurensöhne. Nehmt die Fahne weg oder ich verbrenne euch und eure dreckige Fahne, ihr Bastarde, so wie die Deutschen das mit euch gemacht haben.“ So steht es im Bericht des Schiedsrichters. Und auch: „Ich ging sofort lautstark dazwischen.“

Er habe den Jugendlichen ermahnt und nach seinem Namen gefragt, schreibt der Schiedsrichter. Dabei habe sich herausgestellt, dass es sich um einen Fußballer der A-Junioren von Hertha 06 handelte, der an diesem Tag nicht mitgespielt hatte. Der Schiedsrichter zeigt ihm die Rote Karte. Der Spieler habe ihn daraufhin beleidigt und unter anderem zu ihm gesagt: „Du bist doch von den Juden gekauft.“

Kurz darauf sei es zu einem zweiten Vorfall gekommen, bei dem ein Spieler von Hertha 06, diesmal einer, der mitgespielt hatte, mehrfach den Hitlergruß gezeigt habe. In Richtung der Spieler und Fans von Makkabi. Als er versuchte, dem Spieler in die Kabine zu folgen, um ihm ebenfalls die Rote Karte zu zeigen, sei er zwischen einige aufgebrachte Zuschauer geraten, schreibt der Schiedsrichter. Dabei sei es zu einem dritten Vorfall gekommen. Eine Frau habe in Richtung der Makkabi-Spieler gerufen: „Verpisst euch doch einfach, ihr Drecksvolk. Immer gibt es Stress mit euch. Immer provoziert ihr.“

Eine erlaubte Fahne – oder eine „Provokation“?

Die Verhandlung vor dem Sportgericht des Berliner Fußballverbands findet knapp zwei Wochen später statt. Ausgerechnet am Freitagabend, nach Beginn des Schabbat, des jüdischen Ruhetags. Vor dem Verbandsgebäude in Grunewald steht trotzdem etwa ein Dutzend Vereinsmitglieder von TuS Makkabi Berlin im Nieselregen, um dabei zu sein. 

Als Beschuldigte sind die beiden Spieler der A-Junioren von Hertha 06 geladen, die im Bericht des Schiedsrichters erwähnt werden. Außerdem werden als Zeugen die Trainer beider Mannschaften, zwei Spieler des TuS Makkabi und der Schiedsrichter des Spiels gehört. Vertreter beider Vereine dürfen sich äußern. Fast zwei Stunden dauert es, bis alle angehört sind.

Das Spiel an sich sei recht friedlich und fair abgelaufen, sagen fast alle. Dann aber ist von einer „Provokation“ die Rede. So nennen es die Vertreter von Hertha 06 immer wieder. Die Vertreter von TuS Makkabi sprechen von dem Moment, in dem die Stimmung plötzlich kippte, die Drohungen gegen ihr Team begannen. Der Schiedsrichter sagt, es sei Unruhe aufgekommen, er sei von Hertha 06 um ein Wort gebeten worden. Um ein Eingreifen.

Es ist der Moment, in dem der Freund der Makkabi-Spieler am Spielfeldrand auftaucht, gegen Ende der ersten Halbzeit, mit seiner Fahne. Der Israel-Fahne. Es ist, das muss man wissen, nicht verboten, Fahnen von Nationalstaaten mit auf Fußballplätze zu bringen, sie auszurollen, zu schwenken. Auch nicht bei Spielen der A-Jugend in Berlin.

Es gibt also eigentlich keinen Grund für den Schiedsrichter, einzugreifen. Keinen Grund, das von ihm zu verlangen. Bevor er etwas unternehmen kann, rollt der Junge die Fahne ohnehin von selbst ein. Erst nach Ende des Spiel rollt sie jemand wieder aus, jetzt soll das Foto gemacht werden. Nun können sich die beiden Hertha-06-Spieler, die vor dem Sportgericht erscheinen mussten, nicht mehr beherrschen.

Der eine gibt zu, dass er „auf 180“ gewesen sei. Er könne sich aber nicht mehr daran erinnern, was er gesagt habe, als die Wut ihn überkam. Es gebe auch Palästinenser in seiner Mannschaft, das müsse man wissen. Der andere Spieler gibt an, die Fragen des Gerichts nicht zu verstehen, sein Deutsch sei zu schlecht, er spreche nur Arabisch. Niemand im Saal kann übersetzen, der Jugendliche wird den Rest des Abends schweigen. Auch wenn der Schiedsrichter sich erinnert, zwölf Tage zuvor noch auf dem Platz mit ihm gesprochen zu haben, auf Deutsch.

Das Stadion verlassen, bevor es eskaliert

Die Spieler des TuS Makkabi sagen, dass mehrfach mit „Verbrennen“ gedroht worden sei. Der Fahne und ihnen, den Menschen. Einer beschreibt den Hitlergruß. Ihr Trainer sagt, er habe die Jungs angetrieben, das Stadion von Hertha 06 so schnell wie möglich zu verlassen, bevor die Lage eskaliere, „die Hälfte war noch ungeduscht“. Der Platzwart von Hertha 06 habe ihnen beigestanden, ein Hertha-06-Spieler sich für das Verhalten seiner Mannschaftskameraden entschuldigt.

Ergün Cakir, Präsident von Hertha 06, spricht vor dem Sportgericht von der „Provokation“ durch die Flagge. Von „Politik“, die nicht auf den Platz gehöre. Er wirkt aufgebracht, emotional, will den Raum verlassen, bleibt dann doch.

Eine israelische Fahne nicht ertragen zu können – bei ihm klingt es, als sei das auf einem Berliner Fußballplatz eine erwartbare, fast schon normale Reaktion. Zumindest: irgendwie verständlich. Inklusive der antisemitischen Ausfälle, die darauf folgen. Das Wort Antisemitismus fällt am Abend im Gericht nicht. Die Verantwortlichen von Hertha 06 sagen aber, dass sie „so was“ nicht dulden. Die Spieler seien suspendiert. Einer der beschuldigten Spieler ist der Sohn des Präsidenten. Der Präsident entschuldigt sich, auch sein Sohn entschuldigt sich. 

Isaak Lat spricht für den Vorstand von TuS Makkabi. Er nutzt seine Redezeit vor allem, um dem Schiedsrichter für seinen „Sonderbericht“ von diesem Spiel zu danken. Nicht jeder Schiedsrichter habe den Mut, aufzuschreiben, was er auf dem Platz hört und sieht, wenn die Teams aus Berlins jüdischem Sportverein zu Fußballspielen antreten.

Das Urteil ergeht einen Tag später, es wird den Vereinen schriftlich zugesendet. Es besteht aus drei Teilen. Auch das Urteil liegt der Berliner Zeitung vor. Die beiden Junioren-Spieler von Hertha 06 werden für jeweils zwei Jahre gesperrt, wegen Diskriminierung, Beleidigung, Schiedsrichterbeleidigung und Bedrohung. Der CFC Hertha 06 erhält zusätzlich eine Geldstrafe von 1500 Euro, drei Punkte werden dem Team abgezogen.

Zeichen gegen „Antisemitismus auf Berliner Fußballfeldern“

Es falle „sehr schwer ins Gewicht, dass hier eine jüdische Mannschaft mit ‚Verbrennen‘ bedroht wurde, wobei auch noch ausdrücklich Bezug zu den Naziverbrechen genommen wurde, die als richtig angesehen wurden“, heißt es in der Begründung. Der Verein Hertha 06 hätte sich nach dem Streit um die Fahne in der ersten Halbzeit um die Gäste kümmern, sie vor Angriffen bewahren müssen. Stattdessen sei die „Mannschaft von Makkabi nahezu vom Gelände gejagt“ worden. Die spürbare Geldstrafe solle ein Zeichen setzen, „dass Antisemitismus auf den Berliner Fußballfeldern nicht geduldet wird“.

Er begrüße die verhängten Sanktionen, sagt Benjamin Steinitz von RIAS, der Dokumentationsstelle für antisemitische Angriffe in Berlin. Er hat schon viele Prozesse vor dem Sportgericht verfolgt. „In der Vergangenheit wurden die antisemitischen Handlungen und Äußerungen von Hertha-06-Spielern gegenüber TuS Makkabi Berlin mehrfach durch das Sportgericht bagatellisiert.“ Diesmal ist das nicht passiert. Auch dank der Sensibilität eines Schiedsrichters.

Die Vereine haben 14 Tage Zeit, Berufung einzulegen.