Die deutschen Medien sind schonungslos, und sie werden immer schonungsloser. Man kann gar nicht anders, als zu glauben, die deutsche Gesellschaft stecke im Covid-Trauma und müsse sich so oft Luft machen, wie es nur geht. Nach zwei Jahren Pandemie und dann auch noch in Anbetracht eines russischen Angriffskriegs in Europa scheint die Nation die Nerven zu verlieren. Anstatt sich in Solidarität zu üben, dem Gegenüber ein wenig Geduld entgegenzubringen, ist es zum Volkssport geworden, Meinungsdifferenzen – gerne auf Twitter – brutal, ja aggressiv auszutragen.
Jan Böhmermann hat mit seiner aktuellen „ZDF Magazin Royale“-Sendung ein Beispiel geliefert, wie dünnhäutig die Gesellschaft ist. Springer-Journalisten und FDP-Politiker auf Fahndungsplakate zu drucken, wie es Böhmermann getan hat, erschüttert die Betroffenen. Konservative rufen zum GEZ-Boykott auf und kritisieren die satirischen Böhmermann-Vergleiche von Christian Lindner oder Stefan Aust mit RAF-Terroristen als eine illegitime Diffamierung. Dabei sagen die Betroffenen natürlich nicht, dass sie mit ihren nicht-satirischen, journalistischen Vergleichen von Klimaaktivisten mit der RAF ebenso an der rhetorischen Radikalisierungsspirale drehen. Und es dabei sogar ernst meinen.
Zugegeben: Böhmermann hat in seiner Sendung den Tod einer verunglückten Berliner Radfahrerin ausgeblendet, die von Rettungskräften wegen Klimaprotesten und eines Staus nicht so schnell hatte versorgt werden können, wie es ohne die Proteste vermutlich geschehen wäre. Die Umstände sind, wie gesagt, noch nicht vollständig geklärt. Dennoch wird über die Risiken bei Klimaaktionen im Straßenverkehr breit diskutiert.
Sich mit Schmutz bewerfen: Lösungsorientiert ist das nicht
Böhmermann macht nun mal Satire, er muss nicht in jedes Detail der Debatte einsteigen und darf überzeichnen. Dass er eine der verhasstesten und geliebtesten Figuren in der Medienlandschaft ist, dürfte kein Geheimnis sein. Gewissermaßen zieht er als politischer Kopf seine Lehren aus vier Jahren Trump und blickt auf eine Radikalisierung der deutschen Rechten. Man sieht: Er will die Nationalisten und rechten Populisten da draußen mit ihren eigenen Waffen schlagen. Durch Überzeichnung, linken Populismus und satirischer Übertreibung. Denn wenn nur die überspitzte Botschaft die Masse erreicht, dann muss auch die Linke dementsprechend nachziehen. Sehr schön konnte man diese Logik übrigens auf dem real-politischen Feld in Brasilien beobachten, wo der jetzige linke Präsident Lula sich gegen Bolsonaro durchsetzen konnte – eben mit dem Einsatz von Übertreibungen und Desinformationen. Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Jan Böhmermann betreibt aktivistischen Journalismus im Kontext der Satire. Die Springer-Kollegen wie Ulf Poschardt übertreiben nicht minder, sind aber keine Satiriker, sondern Journalisten. Das ist der Unterschied. Sie sind trotzdem die perfekten Kontrahenten, weil sie mit ähnlichem Überzeugungswillen wie Böhmermann kämpfen, also mit Übertreibungen, ohne Satiriker zu sein. Daher könnte man sich als Nichtbeteiligter gemütlich auf die Couch setzen, das Popcorn herausholen und zugucken, wie die beiden Fraktionen sich in den Mixer stecken – wenn dabei nicht so viel kaputt gehen und auf dem Spiel stehen würde.
Batman bedingt Joker, Böhmermann die FDP
Böhmermanns Sendung war ein Beispiel für genau diese Dialektik, wie populistische Logiken funktionieren. Sie war aus der linken Logik heraus gut gemacht und zeigte: Böhmermann hat einen Nerv getroffen. Was negativ auffiel, war etwas Anderes. Und zwar das Franca-Lehfeldt-Bashing. Ja, sie ist eine Liberalkonservative, ja, sie ist die Ehefrau von Finanzminister Christian Lindner. Ja, sie ist politische Berichterstatterin und vermutlich wird sie mit ihrem Ehemann auch über Politik reden. Gibt es Compliance-Probleme? Kann man diskutieren.
Aber sollte das nicht ein Problem des Springer-Konzerns sein? Müssten die Verantwortlichen der Redaktion Die Welt sich nicht fragen, in welchem Arbeitsumfeld die Journalistin am besten eingesetzt ist? Sie medial an den Pranger zu stellen, so wie es Böhmermann und andere Medien immer wieder tun, grenzt an Sexismus. Nur weil sie die Frau eines Politikers ist, wird sie mit besonders aggressiven Methoden kritisiert und einer besonderen Aufmerksamkeit bedacht. Damit zeigen sich auch die Risiken linker populistischer Satire: Im Kampf für mehr Gerechtigkeit ist man manchmal blind dafür, wenn man anderswo Ungerechtigkeiten schafft. Das ist übrigens echte Dialektik. Überspitzt könnte man sagen: Batman bedingt Joker – und Böhmermann die FDP.
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