Tragisches Ende einer Suchaktion

Zum Tode der vermissten María: Berlin trauert um mexikanische Studentin

Vor zwei Wochen verschwand die 24-jährige María in Berlin. Freunde, Bekannte und Polizei suchten nach ihr. Bis ein Spaziergänger ihre Leiche fand.

Die Teilnehmer einer Kundgebung vor der mexikanischen Botschaft trugen am Sonnabend zum Zeichen der Hoffnung Weiß und zündeten Kerzen an. Zu dieser Zeit galt die 24-jährige María S. noch als vermisst.
Die Teilnehmer einer Kundgebung vor der mexikanischen Botschaft trugen am Sonnabend zum Zeichen der Hoffnung Weiß und zündeten Kerzen an. Zu dieser Zeit galt die 24-jährige María S. noch als vermisst.Carsten Koall/dpa

Die Altglienicker Behelfsbrücke überspannt den Teltowkanal in Treptow. Zwei enge Fahrzeugspuren führen von Adlershof nach Altglienicke, für Fußgänger gibt es auf beiden Seiten schmale Gehwege. Eine einzige Kerze, die der Regen an diesem wolkenverhangenen Sonntagmorgen bereits gelöscht hat, deutet darauf hin, dass hier etwas geschehen ist.

Am Sonnabend alarmierte ein Spaziergänger gegen 15.50 Uhr Polizei und Feuerwehr. Er hatte einen leblosen Menschen in der Nähe der Brücke auf dem Wasser des Kanals treiben sehen. Wenig später wurde aus der Befürchtung Gewissheit: Bei der Toten handelt es sich um María S., die Studentin aus Mexiko, die seit zwei Wochen vermisst wurde.

Damit endet eine der größten Suchaktionen nach einer Vermissten, die es wohl je in Berlin gegeben haben dürfte, auf tragische Weise. „Wir haben wirklich gehofft, sie noch lebend zu finden“, sagt eine junge Frau am Sonntag in der Nähe des Wohnheimes in Adlershof, in dem die 24-jährige María gelebt hatte. Das Gebäude mit seiner strahlend weißen Fassade und den Studentenapartments im Büchnerweg liegt zu dieser Zeit noch ruhig da.

Gegenüber, an der Wand eines Supermarktes und an einer Packstation, kleben noch die Suchplakate, mit denen nach der extrovertierten und fröhlichen Frau nicht nur in Treptow-Köpenick gefahndet wurde. Die Flyer hingen stadtweit an Bahnhofswänden und in Bushaltestellen, an Stromkästen und Laternenmasten. Auch in anderen Städten. María liebte das Reisen, sie meditierte, machte Yoga, war Musikerin.

Am 22. Juli verschwand María, die von ihren Freunden Maffy genannt wurde, spurlos aus ihrem Apartment, das im Erdgeschoss des Wohnheims liegt. Die Tür zum Innenhof stand offen, das Handy lag auf dem Bett, auch ihren Laptop hatte die Studentin zurückgelassen. Das neue Fahrrad stand noch im Hof.

Eine Bekannte der jungen Frau erzählte noch an diesem Sonnabendmittag bei einer stillen Zusammenkunft der lateinamerikanischen Community und der freiwilligen Suchhelfer vor der mexikanischen Botschaft in Mitte, dass María am Tag ihres Verschwindens gemeinsam mit einer Freundin eigentlich zum Christopher Street Day gehen wollte. Sie sei jedoch müde gewesen, habe das Treffen abgesagt.

Auch Carolina C. und Javier S., die Eltern der zu dieser Zeit noch als vermisst geltenden Studentin, hatten an dem Treffen vor der Botschaft teilgenommen, um sich für die große Anteilnahme zu bedanken. „Aufgrund ihres großen Kummers“ – wie es ein Sprecher der Familie vor den versammelten rund 250 Menschen formulierte – sahen sie von einer Rede ab. Sie liefen jedoch am Ende der Veranstaltung, als rund 200 brennende Kerzen als Zeichen der Hoffnung auf ein gutes Ende auf den Stufen der Botschaft standen, durch die Menge. Immer wieder sagten sie dabei leise „gracias, gracias“.

Mexikos Botschafter Francisco Quiroga dankte ebenfalls den freiwilligen Helfern. Man werde erst mit der Suche aufhören, wenn man María gefunden habe, sagte der 50-jährige Diplomat.

Eltern flogen von Mexiko nach Berlin

Marías Eltern waren drei Tage nach dem Verschwinden ihres Kindes von Mexiko nach Berlin geflogen, um nach ihrer Tochter zu suchen. Sie seien „in völliger Ungewissheit“ angekommen, wie es am Sonnabend vor der mexikanischen Botschaft hieß. In einem Gespräch mit der Berliner Zeitung hatten sie vor zehn Tagen erzählt, dass sie ihre Tochter erst im März dieses Jahres zum Studium nach Berlin gebracht hätten. Es sei die Stadt gewesen, in der María leben wollte. Sie hatte einen Studienplatz an der University of Europe for Applied Sciences. Ihre Eltern wähnten sie hier in Sicherheit; junge Frauen seien in Mexiko hingegen vielen Gefahren ausgesetzt.

Rund 500 Freiwillige – Kommilitonen, Freunde, Bekannte von María und auch Menschen, die die junge Frau nicht kannten – hatten sich an den Suchaktionen beteiligt, die in den sozialen Medien koordiniert wurden. Täglich versammelten sich die Helfer im Berliner Südosten, um Flyer zu verteilen, Wälder und Parks zu durchkämmen. 125 verschiedene Suchtrupps habe es gegeben, die durchschnittlich dreieinhalb Stunden die Stadt auf der Suche nach María durchstreift hätten, hieß es. Sie legten dabei mehr als tausend Kilometer zurück, hoffend, die junge Frau lebend zu finden.

Auch bei der Polizei hatte die Vermisstensache María Priorität. Es gebe Hinweise darauf, dass sich die 24-Jährige in einer psychischen Ausnahmesituation befinde, hatte es in der Vermisstenmeldung geheißen. Seen wurden abgesucht, Spürhunde kamen zum Einsatz, in Krankenhäusern wurde nachgefragt. Rund 120 Hinweise seien bei den Ermittlern insgesamt eingegangen, sagte eine Sprecherin.

Es meldete sich auch ein sogenannter Seher bei der Polizei. Der Hinweisgeber nannte als Fundort der Gesuchten Koordinaten, die in ein abgelegenes Waldstück in der Nähe des Müggelheimer Damms in Köpenick führten. Man prüfe jeden Hinweis, hieß es dazu bei der Polizei.

Das Verschwinden von María sorgte auch international für Aufmerksamkeit. Die Suchmeldung wurde in den sozialen Medien tausendfach geteilt. Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador sprach noch vorige Woche von „Fortschritten bei den Ermittlungen“. Die internationale Polizeibehörde Interpol setzte den Fall auf die Liste der Yellow Notices. Damit wird in den 195 Mitgliedsländern von Interpol nach vermissten Personen gefahndet. Dort sind derzeit 9225 Fälle registriert, 3472 der Gesuchten sind Frauen, 86 davon mit 24 Jahren so alt wie María.

Freunde und Kommilitonen suchten nach María.
Freunde und Kommilitonen suchten nach María.Volkmar Otto

Doch es half nichts. Am Sonnabend kurz nach 20 Uhr informierte die Polizei die Öffentlichkeit über den Tod der Studentin. Von einem Fremdverschulden sei nach derzeitigen Erkenntnissen nicht auszugehen. Die Ermittlungen der Kriminalpolizei dauerten an.

Wenig später meldete sich auch die Familie der Studentin zu Wort. „In tiefer Trauer teilen wir mit, (…) dass unsere Tochter María (...) tot aufgefunden wurde. Wir danken Ihnen für Ihre Unterstützung und Solidarität. Wir bitten Sie, das Andenken an unsere Tochter, unsere Trauer und unsere Privatsphäre zu respektieren.“

Mexikos Außenministerin Alicia Bárcena sprach der Familie „unser tiefstes Beileid“ aus. Auf Twitter schrieb sie zum Tod der jungen Frau: „Wir begleiten ihre Familie in diesem schwierigen und schmerzlichen Moment mit Respekt und Solidarität. Wir bleiben an ihrer Seite.“ Man werde die Ermittlungen weiter verfolgen.

Noch am Sonnabend hatte eine Bekannte von María vor der mexikanischen Botschaft erklärt: „Lo último que se pierde es la esperanza.“ Das Letzte, was man verliert, ist die Hoffnung. Es war 13 Uhr. Drei Stunden später gab es keine Hoffnung mehr.

Hilfe-Nummern
Ihre Gedanken hören nicht auf zu kreisen? Sie befinden sich in einer scheinbar ausweglosen Situation und spielen mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen? Wenn Sie sich nicht im Familien- oder Freundeskreis Hilfe suchen können oder möchten – hier finden Sie anonyme Beratungs- und Seelsorgeangebote:

Telefonseelsorge: Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichen Sie rund um die Uhr Mitarbeiter, mit denen Sie Ihre Sorgen und Ängste teilen können. Auch ein Gespräch via Chat ist möglich. telefonseelsorge.de

Kinder- und Jugendtelefon: Das Angebot des Vereins „Nummer gegen Kummer“ richtet sich vor allem an Kinder und Jugendliche, die in einer schwierigen Situation stecken. Erreichbar montags bis sonnabends von 14 bis 20 Uhr unter 11 6 111 oder 0800 – 111 0 333. Am Sonnabend nehmen die jungen Berater des Teams „Jugendliche beraten Jugendliche“ die Gespräche an. nummergegenkummer.de.

Muslimisches Seelsorge-Telefon: Die Mitarbeiter von MuTeS sind 24 Stunden unter 030 – 44 35 09 821 zu erreichen. Ein Teil von ihnen spricht auch türkisch. mutes.de

Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention: Eine Übersicht aller telefonischer, regionaler, Online- und Mail-Beratungsangebote in Deutschland gibt es unter suizidprophylaxe.de