Braucht Berlin mehr Autobahnen? Diese Frage spaltet die Stadt. Während Umweltgruppen für diesen Freitag zur Fahrraddemo gegen den „Wahnsinn“ aufrufen, trommelt die Opposition für den Weiterbau der A100 nach Friedrichshain und Lichtenberg. Doch auch in der SPD, die im Senat mitregiert, gibt es Befürworter. Einer von ihnen ist Oliver Igel, Bezirksbürgermeister in Treptow-Köpenick. „Ich war da immer transparent: Die Verlängerung der A100 in den Osten von Berlin ist sinnvoll und notwendig“, sagt der Sozialdemokrat im Gespräch mit der Berliner Zeitung. „Diese Einschätzung hat sich über die Jahre nicht verändert. Im Gegenteil: Sie hat sich sogar noch verstärkt.“ Igel erklärt, warum die Autobahn wichtig ist – und er kritisiert die Spitze der grün geleiteten Senatsverkehrsverwaltung für ihre „Fehlplanung“.
Der Köpenicker ist sich bewusst, dass Menschen wie er die ebenfalls mitregierenden Grünen und Linken gegen sich aufbringen. „Ich weiß, das ist eine Haltung, die mit dem jetzigen Mainstream in dieser Stadt nicht konform ist. Aber ich stehe dazu, im Interesse der Bürgerinnen und Bürger“, sagt Igel, der 2011 ins historische Rathaus seines Heimat-Ortsteils einzog und damit einer der dienstältesten Bezirksbürgermeister in Berlin ist. Der SPD-Politiker ist eine gewichtige Stimme in den Außenbezirken, in denen die Mobilitätswende skeptischer gesehen und mehr Auto gefahren wird als im Zentrum.
Ab Ende 2024 führt die Stadtautobahn bis Treptow
Wie berichtet hat der Bund für den knapp vier Kilometer langen Bauabschnitt der A100, der von der Straße Am Treptower Park zur Frankfurter Allee und zur Storkower Straße führen soll, die Planung ausgeschrieben. Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) lehnt das Projekt als unzeitgemäß ab und kündigte an, alle Hebel in Gang zu setzen, um es zu verhindern. „Der Stadtring muss über Treptow hinaus nach Friedrichshain und Lichtenberg fortgeführt werden“, sagt dagegen Oliver Igel.
„Wenn sich an den 16. Bauabschnitt, der Ende 2024 fertiggestellt werden soll, nicht der 17. Bauabschnitt anschließt, wird Chaos die Folge sein. Rund um den Treptower Park, an dem der Stadtring dann endet, wird sich der Verkehr von der Autobahn in die umliegenden Wohngebiete ergießen“, warnt der Sozialdemokrat. Davon wäre nicht nur Alt-Treptow, ein dicht besiedelter Stadtteil, betroffen. Die zusätzliche Belastung wäre auch in den Nachbarbezirken Friedrichshain-Kreuzberg und Lichtenberg spürbar.

„Schon seit Jahren heißt es, dass man mit dem Bund darüber sprechen will, wie die Folgen für die Umgebung abgemildert werden könnten. Doch nach meinem Informationsstand ist keine Lösung des Problems, das im wahrsten Sinne des Wortes in zwei Jahren auf uns zurollt, absehbar“, so Igel. Der 43-Jährige kommt zu einem ersten Fazit: „Wer die Autobahn mitten in der Stadt am Treptower Park enden lässt, der wird den Bürgerinnen und Bürger der umliegenden Wohnviertel erklären müssen, warum das so bleiben soll.“
Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten: Das ist ein Argument, das Autobahngegner häufig anführen. Neue Infrastruktur schaffe bestenfalls kurzfristig Entlastung, geben sie zu bedenken. Weil Fahrten erleichtert und Wege verkürzt werden, ist es attraktiver, Auto zu fahren. Folge ist, dass auch zusätzliche Straßen schon bald zugestaut seien. Der Bezirksbürgermeister von Treptow-Köpenick hält diese These für „Unsinn“.
„Natürlich geht es darum, Verkehr, den es längst gibt, zu ernten – in der Form, ihn auf einer übergeordneten Straße zu konzentrieren“, sagt Igel. „Auf absehbare Zeit wird es Lieferverkehr und privaten Verkehr geben. Wenn das so ist, dann müssen wir uns ehrlich machen und die Frage beantworten: Wollen wir den Verkehr lieber auf der Autobahn – oder in Wohnvierteln?“ Erderhitzung und Klimadebatte ersparten es den Planern nicht, sich mit diesem Problem zu befassen. „Auch in Zeiten notwendiger Klimadiskussion müssen wir realistisch bleiben. Auf absehbare Zeit werden sich Menschen und Güter durch unsere Stadt, durch unser Land, durch Europa bewegen. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass dieser Verkehr auf übergeordneten Straßen konzentriert wird.“
Berliner Wohngebiete nicht abriegeln – aber schützen
Sicher wäre es möglich, Wohnviertel wie Alt-Treptow vor Durchgangsverkehr zu bewahren. „Ich bin kein Fan der neuerdings geforderten Kiezblocks, weil sie dazu führen, Wohnbereiche mehr oder weniger abzuriegeln. Doch natürlich werden wir im Umkreis der A100 Maßnahmen brauchen, die sicherstellen, dass die Anwohner tatsächlich entlastet und vor überregionalem Straßenverkehr geschützt werden“, so der Köpenicker. „Die Kraftfahrer werden das verstehen. Autofahrer sind eine intelligente Spezies. Sie finden schnell heraus, wo sie gut und zügig vorankommen – und wo nicht.“
Unstrittig ist, dass das mittlerweile auf mindestens eine Milliarde Euro geschätzte Autobahnprojekt das Wohnviertel am Ostkreuz auf Jahre in Großbaustellen verwandeln wird. Zwar sind unter dem Bahnhof bereits einige Teile für den Rohbau des geplanten Doppelstocktunnels betoniert worden. Doch unter der Neuen Bahnhof- und dem Südteil der Gürtelstraße müsste der Boden für den 17. Bauabschnitt tief ausgehoben werden.
„Natürlich wird es so oder so für längere Zeit baubedingte Verkehrseinschränkungen in diesem Bereich geben“, pflichtet Oliver Igel bei. „Doch Politik muss langfristig denken. Ich sage: Lieber für ein paar Jahre Einschränkungen in Kauf nehmen, als auf absehbare Zeit unter einem gravierenden Verkehrsproblem leiden zu müssen.“
Planungswirrwarr ist seit Jahren bekannt
Und was ist mit der Spreequerung zwischen Treptow und Friedrichshain? Wie berichtet wäre die östliche Hälfte der Elsenbrücke, die der Senat für mittlerweile fast 100 Millionen Euro bauen lässt, der Autobahnbrücke im Weg. „Ich habe schon vor Jahren davor gewarnt, dass die Planung des Senats für den Neubau der Elsenbrücke mit den Plänen für den 17. Bauabschnitt der A100 nicht kompatibel sind. Meine Forderung war und ist, die Brückenplanung mit dem Vorhaben des Bundes abzustimmen“, bekräftigte Oliver Igel. „Dass die östliche Hälfte der nun entstehenden neuen Brücke der Autobahn im Weg sein wird, muss im Senat schon seit Jahren bekannt sein. Die Elsenbrücke in ihrer jetzt vorgesehenen Form ist eine krasse Fehlplanung, für die sich irgendwann jemand verantworten muss.“




