Stadtgeschichte

Was tun mit dem „Mohren-Sklaven“? Wie der Preußenkönig über ein Geschenk dachte

In Preußen herrschte Leibeigentum, eine Spielart der Sklaverei. Friedrich II. hasste die Zustände in seinem Reich – ein Präsent aus Russland stürzte ihn in Not.

Drei der sechs Skulpturen, die das Mohrenrondell in Potsdam Sanssouci bilden, das seit 2020 wieder den ursprünglichen Namen Erstes Rondell trägt (v.l.): Bildnis eines Afrikaners, Kaiser Marc Aurel, Bildnis einer Afrikanerin.
Drei der sechs Skulpturen, die das Mohrenrondell in Potsdam Sanssouci bilden, das seit 2020 wieder den ursprünglichen Namen Erstes Rondell trägt (v.l.): Bildnis eines Afrikaners, Kaiser Marc Aurel, Bildnis einer Afrikanerin.CC BY-SA 4.0

Anfang 1772 bekam König Friedrich II. einen Menschen geschenkt: Der russische General Pjotr Alexandrowitsch Rumjanzow verehrte dem Preußenkönig einen „Mohren“ – und ein „türkisches Pferd“.

Mensch und Tier gehörten zur Beute, die Feldmarschall Pjotr Rumjanzow, Oberbefehlshaber der Armee Katharinas der Großen, während der Feldzüge gegen die Osmanen gemacht hatte. Mohr, Maure, Türke meinte seinerzeit dasselbe; Soldaten des Sultans nannte man regelmäßig Mohren. Said Ali, so der Name des verschenkten Mannes, kam aus angesehener türkischer Familie und war Unteroffizier.

Das Geschenk war als Dank für den militärischen Beitrag Preußens an den Türkenfeldzügen gedacht und stürzte Friedrich in moralische Not. Die Vorstellung, Menschen seien anderer Menschen Eigentum widerte ihn an. Schon in einer Kabinettsordre von 1754 hatte er wissen lassen, dass „die Sklaverei der in Pommern noch üblichen Leibeigenschaft mir so hart und von so üblem Effect auf das ganze Land zu sein scheint, dass ich wohl wünschte, dass solche gäntzlich aufgehoben werden könnte“.

Ihm war klar, dass man mit der Abschaffung der „widerwärtigen Einrichtung“ die ganze Landwirtschaft „über den Haufen werfen“ würde. Der Alte Fritz stand zu jener Zeit mit seiner Haltung ziemlich allein auf weiter Flur.

Forschung zeigt: Fritz war ein Menschenfreund

Jürgen Luh, Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, hat aus historischen Quellen diesen bemerkenswerten Einzelfall nachvollzogen und in dem Aufsatz „Friedrich der Große und Said Ali Aga oder des Königs Verhältnis zur Sklaverei“ zusammengefasst. Er zeichnet ein Bildnis des preußischen Monarchen als mitfühlendem Menschen inmitten einer Gesellschaft, die für derlei – von Friedrich II. als wertegeleitete Politik verstandene – gehobene Gefühlsduselei kein Verständnis aufbrachte. Luh zeigt, wie sich Friedrich am Widerstand der Gesellschaft gegen die alte Ordnung abarbeitete, kleine Fortschritte erzielte und – im Rückblick betrachtet – den Weg bereitete für die gewaltigen Umbrüche, die keine 50 Jahre später die Stein-Hardenberg’schen Reformen mit der Aufhebung der Leibeigenschaft in Gang setzten.

Am 26. Februar 1772, kurz nachdem das Mohren-Geschenk eingetroffen war, schrieb der 60-jährige Friedrich aus Potsdam (original in französischer Sprache) an seinen Bruder Heinrich: „General Rumjanzow hat mir ein tatarisches Pferd und einen Neger geschickt. Der Neger war ein Tschausch (ein Feldwebel) der Janitscharen und befehligte 300 Mann. Ich schicke diesen armen Unglücklichen zurück in die Türkei, wo er Wohlstand, Arbeit, Frau und Kinder hat. Was das Pferd betrifft, so muss man sehen, wie es sein wird; ich habe keine allzu gute Meinung zu ihm.“

Voltaire, der Menschenverachter

Ganz anders redete in der Frage der Menschlichkeit der französische Philosoph Voltaire, Vordenker der Aufklärung, scharfer Kritiker der feudalen Verhältnisse. Luh zitiert aus einem Briefwechsel mit Friedrich II., was Voltaire von den Osmanen hielt: „Es ist doch klar, dass Leute, die die schönen Künste nicht achten und ihre Frauen einsperren, ausgerottet werden müssen.“ In einem Brief an einen russischen Grafen freute sich Voltaire auf türkische Gefangene, die in Russland nützliche Arbeitskräfte sein würden.

Voltaires Aufforderungen, Preußen möge sich auch „ein paar Überbleibsel dieses fetten Schweines erhaschen“ (Mit dem „gros cochon“ meinte Voltaire den Sultan des Osmanischen Reichs.), erwidert Friedrich II. recht spitz: „Die Kaiserin von Russland mag ganz nach Gutdünken scharmützeln. Ich meinerseits, der ich die philosophischen Verdikte fürchte und der ich Angst habe, mich der Philosophenbeleidigung schuldig zu machen, und die Enzyklopädistenexkommunikation auf mein Haupt zu ziehen, ich verhalte mich still.“

Im Fall Said Ali hielt der eigensinnige Preußenkönig in keiner Weise still. Am 1. März setzte er seinen Wiener Gesandten in Bewegung, um den türkischen Gefangenen schleunigst nach Hause zu bekommen und dessen sichere Reise nach Konstantinopel vorzubereiten. Sobald der Türke in Wien ankomme, solle der Gesandte den Mann, „ein tapferer Unter-Pascha der Janitscharen“, der dreihundert Soldaten befehligt habe, mit Pässen versehen und örtlichen Rat einholen.

„Mit Vergnügen die Freiheit geschenkt“

Seinen Gesandten in Konstantinopel bereitete Friedrich wenige Tage später auf die Heimkehr des türkischen Unteroffiziers vor. Luh zitiert aus dem Brief: Der Mohr namens Said Ali stamme aus Ismid (Izmir), zwei Tagereisen von Konstantinopel entfernt, und „habe daselbst eine Frau nebst einem Sohn zurückgelassen, welche während seiner Abwesenheit einen seiner Vettern zu Bewirthschaftung seiner drei Güter und eines Marktfleckens zu sich genommen haben soll“.

Rumjanzows Sieg über die Türken den 1. August 1770 am Kahul. Der populäre Berliner Grafiker Daniel Nikolaus Chodowiecki hielt das ferne Geschehen im Bild fest.
Rumjanzows Sieg über die Türken den 1. August 1770 am Kahul. Der populäre Berliner Grafiker Daniel Nikolaus Chodowiecki hielt das ferne Geschehen im Bild fest.CC BY-SA 4.0

Friedrich hatte nun erfahren, dass Said Ali acht Monate in russischer Kriegsgefangenschaft war, bis er „endlich mir zugesandt worden ist“. Und weiter: „Da ich ihm nun mit Vergnügen seine Freiheit wiedergeschenkt habe, so will ich ihn über Wien und Belgrad wieder in sein Vaterland (…) zurückschicken. (…) Weil er aber im Felde sich sehr wohl gehalten haben soll und ein Mann von vielen Fähigkeiten zu sein scheinet, so ist mein Wille, dass Ihr den Grossvizir hiervon benachrichtigen und ihn demselben besonders empfehlen sollet.“

Schon am 18. März 1772 drängte er abermals den Gesandten ihn Wien, sich um die Heimreise Said Alis zu bemühen, denn „ich kann ihn hier nicht so glücklich machen, wie er es dort genießt“. Er regte an: „Könnte man ihn nicht nach Belgrad bringen, ihm einen Brief an den türkischen Kommandanten des Ortes geben und diesem meine Grüße und Empfehlungen ausrichten, damit man ihn nach Konstantinopel zurückschickt. Wenn das möglich ist, werde ich ihn sofort zu Ihnen schicken.“

Treibt da nicht ein einigermaßen bedeutsamer Fürst einen erstaunlichen Aufwand für einen in die Sklaverei geratenen Mohren? In seinen Briefen schwebt nicht die Spur eines verächtlichen Untertons, den zum Beispiel die Liquidatoren der Mohrenstraße den Preußen unterstellen. Die Mohrenstraße gab es damals schon seit 70 Jahren, nämlich seit Friedrichs Großvater, Friedrich I., die Berliner Friedrichstadt hatte planen und bauen lassen.

Schon im April 1772 befand sich der glücklich Freigelassene – mit Geschenken und Reisegeld versehen – auf dem Heimweg und kam in den ersten Junitagen sicher in Konstantinopel an. Wie Luh berichtet, wurde Said Ali tatsächlich vom Großsultan empfangen und erstattete Bericht über seine Erlebnisse. Der türkische Herrscher ließ im Gegenzug zwei preußische Gefangene frei.

Zeitgenössisches Porträt Friedrichs II. von Preußen – das einzige Porträt zu dem Friedrich II. während seiner Regierungszeit, also ab 1740, Modell gesessen hat. Es zeigt einen heiteren Mann, einen Menschenfreund.
Zeitgenössisches Porträt Friedrichs II. von Preußen – das einzige Porträt zu dem Friedrich II. während seiner Regierungszeit, also ab 1740, Modell gesessen hat. Es zeigt einen heiteren Mann, einen Menschenfreund.CC BY-SA 4.0

Fünf Jahre später schrieb Friedrich II. angesichts der starren Verhältnisse in der nach wie vor von der Leibeigenschaft getragenen Gesellschaft: „Von allen Lagen ist dies die unglücklichste und muss das menschliche Gefühl am tiefsten empören. Sicherlich ist kein Mensch dazu geboren, der Sklave von seinesgleichen zu sein.“ Er verwendet, wie seinerzeit üblich, die Begriffe Sklaverei und Leibeigenschaft synonym.

1780 hatte es Friedrich wieder mit einem einschlägigen Fall zu tun: Vor dem Berliner Kammergericht lief ein Musterprozess, über dessen Inhalt wir aus dem überlieferten Schreiben eines Gerichtsbediensteten an das Justizministerium wissen: Ein vom „Kämmerer von Arnim in Koppenhagen erkaufter und in hiesige Lande eingebrachter Mohr“ hatte es gewagt, sich an die Majestät zu wenden mit der Bitte „dass er vom Joche der Knechtschaft befreyet“ und von Arnim der Weiterverkauf seiner Person „untersaget werde“. Diesmal handelte es sich tatsächlich um einen schwarzen Mann; sein Name ist nicht überliefert.

Der Fall „Mohr gegen Arnim“

Majestät ordnete am 24. April 1780 eine genaue Untersuchung an. Das Kammergericht befasste sich ausführlich. Ein Gerichtsgutachter diskutierte den Fall öffentlich. Von Arnim musste Stellung nehmen, bestritt aber, er habe dem für 200 Reichstaler Gekauften nach gewisser Zeit die Freiheit geben wollen.

Für solche Rechtsfragen hatte Preußen kein Gesetz. Im Fall Mohr gegen Arnim schlug der Gerichtsgutachter dem König mehrere Urteilsvarianten vor. Friedrich lehnte die Petition des schwarzen Mannes ab. Er konnte es sich nicht leisten, den Adel zu verprellen, dessen Söhne die Offiziere seiner Armee stellten.

Andere, in seiner Macht stehende Maßnahmen hatte er eingeführt. So galt für die Domänen Friedrich des Großen ein von sechs auf drei Tage reduzierter Frondienst. „Er hatte dies in der leider vergeblichen Hoffnung getan, damit ein Beispiel zu geben; seinem Vorbild eiferte der Adel jedoch nicht nach, und er selbst unternahm nichts, um die Verhältnisse insgesamt zu ändern. Sein Denken in Hierarchien, sein Standesbewusstsein verhinderten dies“, schreibt Luh.

„Sklaverey soll nicht geduldet werden“

Wie man zu Friedrichs Zeiten Sklaverei und Leibeigenschaft im Prinzip gleichsetzte, geht aus dem ersten Zwischenschritt zu beider Abschaffung hervor. Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten vom 5. Februar 1794 spricht davon, dass „die hemelige Leibeigenschaft, als eine Art der persönlichen Sklaverei, auch in Ansehung der unterthänigen Bewohner des platten Landes nicht mehr stattfindet“. Die Arbeit an dem Gesetzeswerk hatte 1780 begonnen, dem Jahr des Prozesses Mohr gegen Arnim. Friedrich der Große starb 1786 und erlebte das Inkrafttreten des von ihm wesentlich vorbereiteten Gesetzeswerkes nicht mehr.

Das Gesetz setzte unmissverständliche Normen fest, blieb aber in einigen Punkten ambivalent. Es besagte: „Sklaverey soll in den Königlichen Staaten nicht geduldet werden.“ Aber es bestimmte auch: „Fremde, die sich nur eine Zeitlang in Königlichen Landen befinden, behalten ihre Rechte über mitgebrachte Sklaven“ und präzisierte umgehend: „Wenn dergleichen Fremde sich in Königlichen Landen niederlassen; oder auch, wenn Königliche Unterthanen auswärts erkaufte Sklaven in hiesige Lande bringen: so hört die Sklaverey auf.“

Das endgültige Ende aller Arten der Sklaverei, Erbuntertänigkeit und Leibeigenschaft in Preußen brachte ein Erlass von König Friedrich Wilhelm III., der am 11. November 1810 in Kraft trat. Er gehörte zu den Stein-Hardenberg’schen Reformen, die Preußen fit für die neue Zeit der Industrie und der Städte machte. Die Landwirtschaft brach nicht zusammen, Hunderttausende Arbeitskräfte wurden „frei“, um in den Städten zum Heer der Lohnarbeiter zu stoßen.

Der Artikel „Friedrich der Große und Said Ali Aga oder des Königs Verhältnis zur Sklaverei“ von Jürgen Luh, Leiter des Research Center Sanssouci (RECS), ist erschienen in: Texte des RECS #55, 06/03/2023. Der Wortlaut online finden Sie hier.