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Kleine Hilfe, aber wichtig: Der Notgroschen für die Straßenmusik

Wer in Berlin mit Bus und Bahn unterwegs ist, sollte immer Kleingeld dabei haben. Vielleicht musiziert gerade Sting auf dem Bahnhof.

Straßenmusiker mit Publikum
Straßenmusiker mit Publikumdpa

Über Musiker halten sich hartnäckige Klischees: Sie feiern jede Nacht bis in die frühen Morgenstunden und manchmal darüber hinaus, schlafen folglich am nächsten Tag bis in die Puppen und schälen sich frühestens dann zum ersten Mal aus der Wohnung, wenn das Tageslicht schon abnimmt und der Großteil der Otto-Normal-Bevölkerung den Feierabend in den Blick nimmt. Mögen diese Vorstellungen auf manche Musikanten zutreffen, sieht die Realität für andere doch ganz anders aus.

So steht an einem Morgen, an dem die wenigsten von uns freiwillig früher als nötig das Haus verlassen würden, ein Mann mit Pferdeschwanz am Rand des Übergangs von der S- zur U-Bahn. Die Gitarre über der Schulter, spielt er einen Song von Sting, den er nicht in einer eigenen Version interpretiert, sondern derart originalgetreu wiedergibt, dass man mit geschlossenen Augen fast meinen könnte, der Star höchstselbst stünde im nassgrauen Novemberdunst auf der zugigen Brücke.

Seine Gitarrentasche, die vor ihm auf dem Boden liegt, hängt mittig etwas durch, die Zahl der darin angesammelten Münzen ist recht beachtlich. Viel mehr wird wohl heute nicht hinzukommen, die Haupteinnahmezeit ist abgelaufen. Es ist kurz nach zehn, die Berufspendler sind so gut wie durch. Gleich kann er einpacken und seinen Fingern die wohlverdiente Wärme spenden.

Ein guter Bekannter aus der Obdachlosenarbeit rät immer dazu, in den öffentlichen Verkehrsmitteln stets ein paar Münzen dabei zu haben. Es gibt schließlich Menschen, denen ein bisschen Kleingeld helfen kann, einigermaßen durch den Tag zu kommen, einen Kamm oder eine Bulette kaufen zu können. Weil ich momentan ziemlich selten mit den Öffis unterwegs bin, denke ich nicht immer daran, Kleingeld einzustecken, wenn ich doch mal mit der Bahn fahre. Dafür habe ich meistens drei Euro dabei für den Fall, dass die BVG-App mal streikt und keinen Fahrschein ausspuckt. Der erste dieser Notgroschen landet noch vor dem Fahrtantritt im Pott von Stings musikalischem Wiedergänger und ist dort hervorragend angelegt.

Im Aufgang eines weniger frequentierten U-Bahnhofs singt drei Stunden später ein anderer Straßenmusiker, wenn auch nicht ganz so superstarmäßig wie sein Kollege vom Morgen. Die Gitarre spielt er sehr viel schrammeliger, und sollte er gerade ein bekannteres Musikstück covern, verbirgt er erfolgreich, um welches es sich handeln könnte. Vielleicht eine Eigenkomposition. Erfreulicherweise ist auch sein Gitarrenkoffer alles andere als leer. Als der zweite meiner drei Ticket-Euros vor ihm landet, nickt er unauffällig, während er die Performance professionell fortsetzt. Die App läuft auch vor der Rückfahrt einwandfrei.