Alba Berlin

„Sport vernetzt“: Wie eine Idee aus Berlin sozialen Brennpunkten helfen soll

Sport an Kitas und Schulen kann benachteiligten Kindern den Start ins Leben erleichtern. Albas Basketballer haben das längt erkannt – und werden zum Vorbild.

Der Berliner Basketballer Maodo Lo im EM-Viertelfinale gegen Montenegro. Profisport kann mehr bewirken als Punkte und Siege.
Der Berliner Basketballer Maodo Lo im EM-Viertelfinale gegen Montenegro. Profisport kann mehr bewirken als Punkte und Siege.imago/Wiedensohler

Knapp 15 Kilometer liegen zwischen der Gropiusstadt in Neukölln und der Arena am Ostbahnhof. Keine große Entfernung, und doch scheinen Welten beide Berliner Kieze zu trennen: das Hochhausviertel, sozialer Brennpunkt, auf der einen Seite der Spree, auf der anderen die Multifunktionshalle für glamouröse Großevents wie derzeit zum Beispiel die Basketball-Europameisterschaft.

Vielleicht ist die EM deshalb ein guter Ausgangspunkt für diese Geschichte. Sie handelt von einem Projekt, das in der Gropiusstadt begann: „Sport vernetzt“. Es hat inzwischen 50 andere Städte in Deutschland erreicht. Die Geschichte dreht sich um eine Kraft des Profisports, die weit über Ergebnisse in Spielen oder Klubbilanzen hinausreicht. Im Mittelpunkt: der Basketball-Verein Alba Berlin.

Maodo Lo steht dort unter Vertrag. Er hat am Samstag im EM-Achtelfinale gegen Montenegro die entscheidenden Punkte für Deutschland erzielt. Henning Harnisch wiederum ist Albas Vizepräsident, leitet die Jugendsparte, ist so etwas wie der Kopf von „Sport vernetzt“. Harnisch sagt: „Unsere Idee, wie man Sport in schwierigen Nachbarschaften von unten aufbaut, exportieren wir jetzt.“

In Berlin ist Alba mit 150 Schulen und 50 Kitas eine Partnerschaft eingegangen. „Rund drei Viertel liegen in sozial benachteiligten Gebieten“, sagt Harnisch. In der Gropiusstadt zum Beispiel. 37.000 Menschen wohnen in der Hochhaussiedlung, die in diesem November 60 Jahre alt wird. 38 Prozent der Menschen haben einen Migrationshintergrund. Fast die Hälfte der Kinder lebt in Armut.

Alba gründet eigenen Verein in der Gropiusstadt

Das Freizeitangebot, Sport, Kultur, war lange dürftig, was sich inzwischen ändert. Auch dank Alba. Seit 2014 sind die Basketballer in dem Viertel aktiv. 2018 gründeten sie dort ein eigenes Vereinsteam, Alba Gropiusstadt. „Wir wollen einen Übergang schaffen vom Sport in der Kita zur Schule in den Verein“, sagt Harnisch. Das ist immer das Prinzip.

Auridis hat das interessiert, eine Stiftung von Aldi Süd, die Projekte für sozial benachteiligte Kinder zwischen drei und zehn Jahren fördert. Irgendwann während der Pandemie kam Auridis auf Alba zu mit dem Ansinnen, das Konzept der Gropiusstadt bundesweit in anderen Brennpunkten zu kopieren. Rund 1000 solcher Quartiere gibt es in hierzulande. 20 Städte haben im Laufe der zurückliegenden anderthalb Jahre bei „Sport vernetzt“ einen Vertrag unterschrieben. Mit 30 weiteren Kommunen steht Alba im Austausch. 

Die Strategie ist stets gleich. „Wir suchen vor Ort einen Sportverein, einen Treiber, der ähnlich denkt wie wir“, sagt Harnisch. Das Medium muss nicht Basketball sein. „Jede Sportart ist möglich.“ In Bremen zum Beispiel ist Fußball-Bundesligist SV Werder bei „Sport vernetzt“ eingestiegen. „Der Sportverein vor Ort“, fährt Harnisch fort, „definiert mit uns einen Sozialraum, in dem das Projekt umgesetzt werden soll – und dann beginnt die Arbeit.“

Die jeweilige Kommune liefert Daten zur sozialen Situation, zu Kitas und Schulen, in die später die Trainerteams entsandt werden. Sie arbeiten mit den Kindern, unterstützen das pädagogische Personal. Alba selbst beschäftigt mittlerweile 120 Coaches, 80 davon hauptamtlich. Hinzu kommen 40 Mitarbeiter in der Organisation des Vereins. Allein für „Sport vernetzt“ sind derzeit fünf Leute abgestellt.

Sie touren durch ganz Deutschland. Da sie nicht überall gleichzeitig sein können, nutzt Alba ein digitales Werkzeug: die Albathek. Was im ersten Lockdown der Corona-Pandemie spontan als Sportstunde via YouTube startete, ist mittlerweile ein digitaler Lernort, gefördert vom Bundesinnenministerium. Er steht Trainern und Lehrern zur Verfügung, aber auch Erziehern. Harnisch sagt: „Erzieherinnen werden beim Thema Schulsport meist vernachlässigt. Dabei sind sie ganztags bei den Kindern und können Aufgaben im Schulsport übernehmen, können auch den Weg Richtung Verein ebnen.“ 

Anspruch auf ganztägige Betreuung an Schulen ab 2026

Alba konzentriert sich auf Ganztagsschulen, weil von 2026 an ein Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung besteht. Vor allem aber, weil sie in sozialen Brennpunkten eine wichtige Funktion übernehmen. Sie geben dem Leben der Kinder eine Struktur, die deren Familien oft nicht geben können. „Ein alltäglicher Kampf“, so nennt Harnisch das: „Der Umstand, dass wir an einer Schule sind, bedeutet nicht, dass die Eltern wissen, wer wir sind, was wir wollen.“ 

Beispiel Gutzmann-Grundschule in Gesundbrunnen, Wedding. „Wir haben dort einen eigenen Verein gegründet“, erzählt Harnisch. „Am Wochenende finden Spiele statt. Es kann passieren, dass zum verabredeten Treffpunkt vor der Schule nur drei Kinder erscheinen.“ Der Trainer schickt sie los, die anderen zu holen. Drei, vier weitere Mitspieler stoßen dazu, der Rest taucht nicht auf. „Obwohl alle total begeistert sind, ist dieser Schritt nicht drin.“

An der Gutzmann-Schule hat Alba sogar die Trägerschaft übernommen, ist vom Dienstleister zu einem gleichberechtigten Teil der Schule aufgestiegen, fest verankert im Tagesablauf. Alba besteht damit aus drei tragenden Säulen: einer Profi-GmbH als Kern, dem eingetragenen Verein und einer gemeinnützigen GmbH für die Hortarbeit. Alle drei Säulen funktionieren unabhängig voneinander und stehen doch in Beziehung zueinander.

„Selbst Schulträger zu sein, ist ein wichtiger Schritt. Diesen Bereich wollen wir ausbauen“, sagt Harnisch. „Wenn alles normal läuft, haben wir im nächsten Schuljahr an vier Schulen die Trägerschaft.“ Und auch „Sport vernetzt“ soll in Berlin größer werden.

Mittelfristig kann sich der Senat vorstellen, in weiteren Kiezen vergleichbare Projekte wie in Neukölln finanziell zu fördern. „Berlin ist für so etwas schon eine gute Stadt“, sagt Harnisch und führt als Beleg ein Bonusprogramm an. Es gestattet den 274 Brennpunktschulen, pro Jahr 100.000 Euro auszugeben. Nicht nur im Sport.

Palermo statt Pisa: Wenn Sport und Kultur zusammenarbeiten

Im Sport sieht dann auch Harnisch einen Platzhalter für Kunst und Musik, zwei weitere Fächer, die beim europaweiten Vergleich schulischer Leistungen nicht berücksichtigt werden, beim „Programme for International Student Assessment“, kurz Pisa. Albas Vize hält das für einen Fehler, denn auch diese Kinder machten fit für die Zukunft, sagt er. „Sport und Kultur haben im Miteinander viel Kraft.“ Mit der Staatsoper, dem Deutschen Theater und den Staatlichen Museen Berlin gehen die Basketballer das jetzt in einem weiteren Projekt an. Sein Name: Palermo – wegen Pisa, ein Wortspiel.

Noch so ein Kapitel in dieser Geschichte des Sports, der weit über Spielergebnisse und Wirtschaftsbilanzen hinauswirkt. Ein Foto beschreibt diese Strahlkraft eindrücklich. Es hängt in Albas Geschäftsstelle und zeigt eine voll besetzte Tribüne der Arena am Ostbahnhof. Fans verfolgen gebannt eine Partie der Profis. Sie sitzen. Ein Junge in gelbem Trikot ist aufgestanden, reckt einen Arm zur Hallendecke. Daumen und Zeigefinger formen ein O. Wie okay.