Für manche ist es ein Schildbürgerstreich, ein Akt politischer Willkür. Andere freuen sich, dass es mehr Grün gibt und der motorisierte Verkehr beruhigt wird. In der Ackerstraße in Mitte wurden zwölf Autostellplätze zu einem Aufenthaltsbereich für Menschen umgestaltet. Ähnlich ist es in Schöneberg und Charlottenburg geschehen. „Sommerstraßen“ nennen Bezirksämter und Senat, was an drei Orten in Berlin entstanden ist. Wie sieht die Bilanz aus? Wird es auch künftig Sommerstraßen geben?
Bis Mai gehörte der Platz den Autos. Dann ließ der Bezirk in der Ackerstraße im östlichen Stadtzentrum ein Stück Asphalt mit Betonteilen und einem Bastzaun abtrennen. Fünf Tische, Sitzgelegenheiten und Pflanzkübel wurden aufgestellt. Anwohner kümmern sich um die Blumen und Sträucher. Doch wie berichtet, fielen die Pflanzen in zwei Kübeln im Juni zwei Giftanschlägen zum Opfer. Manche Anwohner lehnen die temporäre Umgestaltung ab, andere begrüßen sie. Sommerstraßen erhitzen die Gemüter.
Einige Kritiker setzen ihre Hoffnung in die neue Berliner Verkehrssenatorin Manja Schreiner. Die CDU-Politikerin soll das Straßenmobiliar abräumen lassen – noch vor dem Ende der Aktion, das für Ende Oktober vorgesehen ist. Schreiner hat das Projekt Sommerstraßen von ihrer bis Ende April amtierenden Vorgängerin Bettina Jarasch, die Mitglied der Grünen ist, geerbt. Doch bisher steht man im Senat weiterhin dazu.
Senat: In New York gibt es mehr als 120 Sommerstraßen
„Sommerstraßen dienen der Steigerung der Aufenthaltsqualität und schaffen insbesondere in Hitzesommern benötigte Freiräume für die Anwohnerinnen und Anwohner“, teilte Britta Elm, Sprecherin der Senatsverwaltung, der Berliner Zeitung auf Anfrage mit. „Die Berliner Parks sind an schönen Tagen heute schon am Limit und stark überlastet. Bei steigenden Temperaturen sind zusätzliche Freiräume neben anderen Maßnahmen in einer wachsenden Stadt zwingend erforderlich.“ Andere Städte richten ebenfalls Sommerstraßen ein, zum Teil seit Jahren. In New York gebe es sie in diesem Jahr an mehr als 120 Orten, München habe neun Sommerstraßen. Allerdings gibt es auch dort heftige Kritik. Eine Anwohnerin zielte mit einer Wasserpistole auf ein Kind.
In Berlin soll ermittelt werden, wie Sommerstraßen in dieser Stadt gestaltet werden können, so Elm. Darum wurden die Standorte „bewusst unterschiedlich ausgewählt“.

„In der Ackerstraße in Mitte wurde die Straße nicht vollständig für den Kfz-Verkehr geschlossen. Hier ist auch weiterhin die Durchfahrt möglich“, erklärte die Sprecherin. „Auch wurde hier bewusst eine Stelle gewählt, die an eine kleine Grünanlage angrenzt und die zur Verfügung stehende Freifläche so erweitert. Auf der nun freien Sommerstraße können insbesondere Kinder zum Beispiel mit Inline Skates oder Rollern spielen, was in der Grünanlage nur bedingt möglich wäre.“
In der Steinmetzstraße ignorieren manche Autofahrer die Barrieren
In Schöneberg entstand im Nordteil der Steinmetzstraße ein 30 Meter langer autofreier Bereich, der begrünt wurde. Dort gebe es nun „eine kleine Oase der Stille in einem ansonsten stark lärmbelasteten Bereich“, hieß es. „Hier hat die Sommerstraße ganz klar einen verkehrsberuhigenden Charakter.“
Das dritte Projekt, das in Charlottenburg umgesetzt wurde, ist im Gegensatz zu den beiden anderen Vorhaben nicht temporär. Die Sperrung der Wilmersdorfer Straße zwischen der Bismarck- und der Schillerstraße soll endgültig sein. Der Abschnitt wurde für den motorisierten Verkehr eingezogen, er wird künftig in eine dauerhafte Fußgängerzone umgewandelt. „Hier ist die Sommerstraße die temporäre Zwischennutzung, bis eine dauerhafte Umgestaltung vollzogen werden kann“, so Elm.
Wie haben sich die Sommerstraßen bislang ausgewirkt? Fünf Stichpunktkontrollen im Juni hätten ergeben, dass die Umgestaltung der Ackerstraße dort zur Verkehrsberuhigung beigetragen habe, berichtete die Senatsverwaltung. „Die Anwohnenden haben die Maßnahme gut angenommen“, sagte Christian Zielke, Sprecher des Bezirksamts Mitte. Bürger engagieren sich, sie sorgen für den Bereich. „Die Maßnahme hat wertvolle Erkenntnisse für zukünftige Projekte generiert“, so Zielke.
In der Steinmetzstraße zählt eine Anlage tagsüber die Kraftfahrzeuge, Lkw, Zweiräder sowie Fußgänger. Sie hat zum Beispiel am 13. April, also vor Einrichtung der Sommerstraße, 815 Pkw und 209 Lkw ermittelt. Seitdem sei der Kraftfahrzeugverkehr „stark gesunken, jedoch trotz Sperrung immer noch vorhanden“, so der Senat.
Fußgänger bleiben lieber auf den Bürgersteigen
So habe die Anlage am 25. Mai 118 Autos und 29 Lkw gezählt. Das bedeute, dass die Sommerstraße zum Teil missachtet werde. Gefahren werde vor allem dann, wenn kaum Gefahr besteht, vom Ordnungsamt sanktioniert zu werden – etwa am frühen Morgen oder abends. „Auch zeigt sich, dass wenn die Plastikbake erst mal beiseitegeschoben ist, Kfz-Fahrende die Hemmung verlieren und die Sommerstraße passieren“, hieß es. Etwa am 25. Mai seien zwischen 19 und 20 Uhr nicht weniger als 49 Autos festgestellt worden.
Schöne Grüße aus den neuen 75m #Fußyzone #WilmersdorferStraße, die von den Fußys gemieden werden wie der Teufel das Weihwasser. Alles quetscht sich weiterhin auf den engen Gehwegen rum😳🤨🤦♂️ Nur die Radlys, de fahren da in Ermanglung einer legalen Option ordnungwidrig durch...🤨 pic.twitter.com/SqzX1eY5Zd
— berlin_radler 😷🐘 (@berlin_radler) August 11, 2023
Aus der Sommerstraße in Charlottenburg wird berichtet, dass sich die Fußgänger weiterhin größtenteils auf den Gehwegen aufhalten. Sie würden die freigeräumte Fahrbahn meiden wie „der Teufel das Weihwasser“, hieß es bei X (ehemals Twitter).
Wie geht es nun weiter? Die Sperrung in der Wilmersdorfer Straße wird bleiben, das steht bereits fest. Absehbar ist, dass es auch im kommenden Jahr wieder Sommerstraßen in Berlin geben wird, teilte die Senatsverwaltung mit. „Ein erstes Fazit fällt positiv aus, die gewählten Sommerstraßenausführungen bieten jedoch noch Potenzial für Verbesserungen“, erklärte Britta Elm. „Eine Einrichtung von Sommerstraßen im nächsten Jahr ist vorgesehen. Umfang und Ausgestaltung können aber erst nach Abschluss des diesjährigen Sommerstraßen-Versuchs festgelegt werden.“
„Während der kurzen Laufzeit können nicht alle Potenziale in der Ackerstraße gehoben werden“, so Bezirksamtssprecher Christian Zielke. „Bei zukünftigen Maßnahmen sollten bereits ab Herbst intensiv mit Anwohnenden Vorbereitungen getroffen werden.“ Eine Vollsperrung der Fahrbahn würde eine besser nutzbare Fläche schaffen, „die mehr Nutzungsmöglichkeiten und weniger Gefahr- und Konfliktpotenzial bietet“. Allerdings müsste es auch Wendemöglichkeiten für Autos geben.
CDU Mitte kritisiert Steuerverschwendung in der Ackerstraße
Unterdessen dauert der Streit an. Vor allem in der CDU Mitte gibt es Kritik. „Die mit einer hohen Summe Steuergelder extra angefertigten Bänke und Straßenmöbel sind stets leer, weil die Anwohner in den danebenliegenden Park oder ins benachbarte Café Ribo gehen“, sagt Wolfram Wickert, der in der Senioren-Union aktiv ist. „Das Geld wäre besser für Schulen und Kitas ausgegeben worden.“







