Serie: Wohn-Wahnsinn Berlin

Wohnung gegen Sex: Wie Vermieter versuchen, Frauen auf Wohnungssuche auszunutzen

Viele Frauen in Berlin kennen es: Ein Mitbewohner oder Vermieter will Sex als Gegenleistung für eine reduzierte Miete. Eine Betroffene erzählt ihre Geschichte.

Bei der Suche nach einem WG-Zimmer wurde Laura eine günstigere Miete für sexuelle Gegenleistung angeboten: eine gar nicht so seltene Geschichte für Frauen in Berlin.
Bei der Suche nach einem WG-Zimmer wurde Laura eine günstigere Miete für sexuelle Gegenleistung angeboten: eine gar nicht so seltene Geschichte für Frauen in Berlin.Maurice Weiss/Ostkreuz

Wenn Laura über ihre Wohnungssuche spricht, wirkt es, als weiche die Lebensenergie aus ihr. Ihre Schultern zucken, ihr Blick und ihre Stimme sind etwas distanziert, manchmal lacht sie sarkastisch auf. Laura wohnt erst seit knapp einem Jahr in Berlin und musste in dieser Zeit in drei verschiedene Wohnungen ziehen.

Die Erfahrung, die sie im August gemacht hat, habe sie „wütend gemacht“, sagt sie bei einem Treffen. „Aber schließlich habe ich solche Erfahrungen mehrmals gemacht, seitdem ich 16 war.“ Meist dachte sie: Na, da haben wir es schon wieder. Was sie meint: Sie wurde gerade einmal wieder sexuell belästigt – diesmal auf der Wohnungssuche.

Es ist eine Erfahrung, die nicht wenige Frauen in Berlin machen. Man hört oft in Gesprächen mit Freundinnen oder liest in Facebook-Gruppen über Berlinerinnen, denen eine Wohnung unter einer Bedingung angeboten wird: dass sie dem Vermieter sexuelle Gefälligkeiten erweisen. Es gibt Berichte über Frauen, die sich nicht mehr sicher fühlen, allein zu einer Wohnungsbesichtigung zu gehen, oder auch auf den größten Plattformen für Wohnungsanzeigen nur Angebote für „Wohnung gegen Sex“ finden.

Mitten in Berlin fand Laura ein günstiges Mietangebot. Aber es gab einen gruseligen Trend dahinter.
Mitten in Berlin fand Laura ein günstiges Mietangebot. Aber es gab einen gruseligen Trend dahinter.Berliner Zeitung. Foto: Maurice Weiss/Ostkreuz

Laura ist der Meinung, dass solche Praktiken gerade eher zunehmen, immer häufiger nutzen skrupellose Vermieter und Hauptmieter die Berliner Wohnungskrise für ihre sexuellen Zwecke aus. Laura ist 31 Jahre alt, studiert Linguistik an der Universität Potsdam und stammt ursprünglich aus Thailand. Laura ist auch nicht ihr richtiger Name. Sie möchte unter Pseudonym über ihre Geschichte sprechen, denn sie will nicht, dass sich dieser Text negativ auf ihre Chancen auswirkt, wenn sie sich wieder auf Wohnungssuche befindet. „Eigentlich komplett schräg, oder?“, sagt sie. „Ich habe nichts Falsches getan, aber ich bin diejenige, die ihr Gesicht verstecken muss.“

390 Euro warm für ein Zimmer in Berlin Mitte – aber es gibt einen Haken

Im August hatte Laura angefangen, erneut nach einem WG-Zimmer zu suchen. In ihrer damaligen WG kam sie nicht gut mit ihren Mitbewohnern zurecht – sie beschloss also, sich vor Beginn des zweiten Jahres ihres Masterstudiums nach einer Alternative umzusehen. Bei ihrer Suche stieß sie auf der Plattform wg-gesucht.de auf ein Angebot, das fast zu gut schien, um wahr zu sein: ein 15 Quadratmeter großes möbliertes Zimmer in einer frisch sanierten Drei-Zimmer-WG in der Nähe des Rosa-Luxemburg-Platzes. Die Miete: nur 390 Euro warm.

Der Grund wurde im Kleingedruckten deutlich. „Wir wollen in einer kinkfreundlichen, offenen Umgebung leben“, hieß es. Wer nicht damit einverstanden sei, solle sich nicht melden. Laura ließ sich davon zunächst nicht abschrecken; schließlich beschreibt sie ihr Sexualleben als „offen und aktiv“. Sie antwortete auf die Anzeige, die von einem Mann erstellt wurde, der sich einfach James nannte. Er fragte nach Lauras Handynummer, sie nahmen über WhatsApp Kontakt auf und telefonierten zu dem Angebot.

Serie Wohn-Wahnsinn in Berlin
Die Lage auf dem Wohnungsmarkt der Stadt ist mehr als angespannt. Politiker aller Parteien sprechen vom größten Problem, das Berlin zu lösen hat. Doch wie ergeht es denen, die mittendrin stecken, weil sie umziehen müssen oder nach Berlin kommen wollen? Wir treffen Menschen, die mit oder ohne WBS suchen, die ins Umland fliehen, weil sie in Berlin nichts finden, oder die mit der Familie in zu kleinen Wohnungen ausharren. Und lassen die Glücklichen erzählen, die eine neue Wohnung aufgetan haben: Welche Tipps und Tricks haben wirklich geholfen?
Wenn auch Sie uns Ihre Wohnungssuche schildern wollen, können Sie uns gerne schreiben.
Kontakt: leser-blz@berlinerverlag.com

Erst dann wurde alles richtig eindeutig. „Er erzählte mir immer wieder, worauf er steht und was er von mir erwarten würde, wenn ich einziehen würde“, sagt Laura. James stand offenbar auf sexuelle Dominanz und wollte eine Mitbewohnerin, die seine Wünsche erfüllt, wann immer er möchte: Zum Beispiel, dass Laura mitmachen müsste, sollte er eine andere Frau in die Wohnung zum Sex einladen. Sie legt den Screenshot einer seiner SMS vor. Er schreibt: „Ich erwarte von Dir, dass Du mich jeden Tag mit Oralsex begrüßt, wenn ich von der Arbeit nach Hause komme.“

Im Normalfall hätte die Miete für das Zimmer 500 Euro gekostet – aber es gab keine Möglichkeit, die volle Miete zu zahlen und den Sex zu vermeiden. Es gab nur die reduzierte Miete und die Vereinbarung, auf der James bestand – oder gar nichts.

Laura sagt, langsam wurde ihr diese Vereinbarung „eklig“. Aber sie war immer noch nicht dagegen, die Wohnung zu besichtigen: Auf mehr als 60 Anfragen zu Wohnungsanzeigen hatte sie nur sechs Antworten bekommen – und eine davon war von James. Doch dann legte er seine Bedingungen für die Besichtigung vor. „Er meinte, wir sollten bei dem Termin ein paar Dinge im Schlafzimmer ausprobieren“, sagt Laura, „damit er feststellen könne, ob ich nur verzweifelt nach einer billigen Wohnung suche. Wie bei einem Casting.“ Kondome wären dabei auch nicht infrage gekommen, sagt Laura; das hatte James schon diktiert.

WG-Suchen in Berlin: „Superunsicher und gefährlich“

Das ging ihr zu weit, sie sagte den Termin ab. James versuchte immer noch, sie zu überreden, die Wohnung trotzdem zu besuchen – um zu sehen, was passiert. Letztendlich antwortete sie nicht mehr auf seine Nachrichten. „Das ist wirklich ein Ausnutzen von anderen Menschen – gerade jetzt, wo so viele eine Wohnung suchen“, sagt Laura. „Stell dir vor – ich gehe dorthin, wir versuchen es mit Sex, und dann heißt es einfach: Nein, du kriegst das Zimmer nicht. Aber du kannst dich dann kaum beschweren, denn du hast ja offensichtlich zugestimmt.“

Lauras Geschichte ist nicht ungewöhnlich, wie ein Blick in die Facebook-Gruppen für Frauen zeigt, die Unterstützung bei der Wohnungssuche suchen. Dort sind Geschichten von Frauen zu lesen, die bei einer Besichtigung feststellen mussten, dass sie heimlich gefilmt oder fotografiert wurden; viele People of Colour und Transfrauen sprechen von Fetischen, die ihnen von Mitmietern ungefragt aufgedrängt wurden. Die Frauen haben sich abgewertet gefühlt, manche Treffen haben sie traumatisiert. Eine Frau schreibt, sie habe die Suche aufgegeben, „weil die Leute immer etwas Sexuelles wollten oder supergruselig waren“. Sie rate anderen Frauen ab, in Berlin eine WG zu suchen. „Es ist superunsicher und gefährlich.“

Nach der unangenehmen Unterhaltung über WhatsApp hat Laura James’ Anzeige bei wg-gesucht gemeldet. Auf Anfrage der Berliner Zeitung antwortete eine Sprecherin von wg-gesucht, jede Nutzerin und jeder Nutzer könne jederzeit belästigende oder betrügerische Unterhaltungen über die Webseite selbst oder per E-Mail melden. In der Netiquette der Plattform sind „beleidigende, rassistische, sexistische und diskriminierende Formulierungen und Inhalte“ nicht erlaubt. In den AGB wird auch festgestellt, dass eine anderweitige Nutzung der Plattform als für die Suche nach einer Wohnung bzw. nach Mietern nicht gestattet ist. Bei einem ersten Verstoß werde der betreffende Account in der Regel für bis zu eine Woche pausiert; bei mehrfachen Verstößen oder einer „extremen“ Nachricht werde der Account gelöscht und gesperrt.

Bei externen Unterhaltungen können Plattformen schwer handeln

Die Sprecherin fügt allerdings hinzu: Die Plattform empfehlt ihren Nutzern, keine persönlichen Daten wie die Handynummer oder Social-Media-Accounts zu teilen, sondern nur über die Chatfunktion bei wg-gesucht mit Mietinteressenten oder Vermietern zu kommunizieren. „Nur über die Plattform ist es uns möglich, Accounts zu identifizieren und die Nutzer von unserem Service auszuschließen“, sagt die Sprecherin. „Wenn die Unterhaltung anderweitig stattgefunden hat, ist dies immer etwas schwieriger.“ Laura sagt, sie bekam nie eine Antwort von wg-gesucht auf ihre Meldung, um zu bestätigen, dass die Plattform in ihrem Fall gehandelt hat. 

Lauras Geschichte endet allerdings mit einem Erfolg. Seit Anfang Oktober wohnt sie in einer neuen WG mit zwei anderen Studenten, bezahlt 290 Euro im Monat und fühlt sich da wohl. Der Haken: Die Wohnung befindet sich nicht in Berlin, sondern in Potsdam. Da sie in Potsdam studiert, hat das seine Vorteile: „Aber ich mag Berlin sehr, die Mehrheit meiner Freunde ist auch hier“, sagt Laura. Es war trotzdem eine große Erleichterung für sie, das Zimmer überhaupt bekommen zu haben: „Ich musste in der Straße tanzen, nachdem ich die Zusage bekommen habe.“ Allerdings kann sie nur sieben Monate da bleiben – dann muss sie wieder suchen.

Ihr graut davor. Auf der Suche für ihre aktuelle Wohnung saß sie 14 Stunden am Tag am Laptop, aktualisierte wg-gesucht ständig und schrieb sofort auf jede neue Anzeige, die ihr interessant erschien. Aufgrund ihres Alters hat sie keinen Anspruch auf eine Unterkunft im Potsdamer Studentenwerk, wo eine Altersgrenze von 30 Jahren gilt. Aber die Herausforderung, eine Wohnung zu finden, vergleicht sie mit der, mit Belästigungen zu leben. „Natürlich ist es ärgerlich und enttäuschend, wenn es immer wieder passiert“, sagt sie. Aber sie erinnert sich daran, was sie alles schon durchgestanden hat. „Ich rede mir immer ein, es wird irgendwie alles gut.“ Die Anzeige von James verschwand schließlich von der Seite – nicht, weil die Betreiber reagierten; offenbar hat er eine Mieterin gefunden.