Berlin – Die Schreiben waren maschinell erstellt und trugen keine Unterschrift. Ein paar dürre Worte auf zwei Seiten, das war’s. Doch für Claudia Hartmann und viele andere Menschen ließen sie eine Welt zusammenbrechen. Ihre Firma, ihre Arbeitsplätze sind bald Vergangenheit. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) teilten der Busunternehmerin aus Mariendorf mit, dass sie die jüngste Ausschreibung von Fahrleistungen verloren habe. Unten prangten die Namen Rolf Erfurts und Eva Kreienkamps, des Betriebsvorstands und der Vorstandsvorsitzenden. Nach über drei Jahrzehnten bekommt der Familienbetrieb, der im harten Preiswettbewerb der Vergabeverfahren bislang jedes Mal bestanden hat, in dieser Runde keinen Auftrag mehr von der BVG. 280 Beschäftigte verlieren ihre Arbeit, und eine Berliner Unternehmensgeschichte endet abrupt. „Ich habe keine andere Wahl als die, den Betrieb stillzulegen“, sagt Claudia Hartmann, die Chefin.
Noch stehen Busse dicht an dicht auf dem Betriebshof in der Greinerstraße, unweit vom alten Gaswerk Mariendorf im Süden Berlins. Das BVG-Gelb leuchtet in der Sonne. Noch stehen vor dem Pausenraum Busfahrer, um vor dem Dienst eine Zigarette zu rauchen, einen Kaffee zu trinken. „Einige Kollegen sind schon 20 Jahre hier“, sagt Frank Sauer und nimmt einen Schluck. Zwei Mitarbeiter werden ihr 30-jähriges Jubiläum gerade noch schaffen. „Plötzlich wirst du vor vollendete Tatsachen gestellt.“
Subunternehmer haben acht Prozent des Busverkehrs übernommen
Der frühere Glas- und Gebäudereiniger ist seit acht Jahren Fahrer bei Hartmann, und er kann nichts Schlechtes über seinen Arbeitgeber erzählen. „Stress gibt es in jedem Job. Doch am nächsten Morgen bin ich jedes Mal wieder gern aufgestanden“, so der 63-Jährige. Was er jetzt, nach seiner Kündigung, unternimmt? Das weiß der Mann mit der Wollmütze noch nicht. „Ich habe noch zweieinhalb Jahre bis zur Rente.“ Dann geht er zu dem Bus, den er gleich auf den Linien 106 und 204 durch die Stadt steuern wird. Vom Wedding zum Lindenhof, vom Südkreuz zum Zoo. Die letzten Fahrten haben begonnen.

Claudia Hartmann ist vorgefahren und lädt Pfannkuchen aus dem Kofferraum. Eine Stärkung für das Fahrpersonal. Die Frau mit der rauchigen Stimme erklärt die Situation. Seit den 1990er-Jahren betreibt die landeseigene BVG einen Teil ihres Busverkehrs nicht mehr selbst. Sie schreibt regelmäßig europaweit Verkehrsleistungen aus, wobei der Preis das wichtigste Entscheidungskriterium ist. Derzeit hat die BVG drei Subunternehmer, die acht Prozent der Leistung übernommen haben: Hartmann, der Busverkehr Berlin sowie die Innung des Taxigewerbes. Sie sind auf 38 Tages- und 23 Nachtlinien unterwegs.
„Es bricht dem Unternehmen das Genick“
Bislang habe das Familienunternehmen jede Ausschreibung gewonnen – nur die jüngste nicht, so die Chefin. Am 16. Februar teilte die BVG mit, dass es von den vier Losen, auf die es sich beworben hat, keines mehr bekommen wird. Die Aufträge für die nächsten knapp acht Jahre gehen an andere Betriebe, bestätigte ein Sprecher. Neben dem Busverkehr Berlin, der Servicegesellschaft der Taxi-Innung und der bundeseigenen DB Regio Bus Ost bekommt ein Unternehmen, das im Berliner Nahverkehr bisher nicht tätig war, drei der sieben Lose: die Firma Schröder Reisen aus Langenau bei Ulm.
Für Hartmann ist nach 30 Jahren Tätigkeit als BVG-Subunternehmer Schluss. Aus, Ende, nach einer ziemlich kurzfristigen Absage. In so kurzer Zeit ließen sich nicht genug neue Aufträge gewinnen, hieß es. „Am 3. April um 7.55 Uhr endet die letzte Fahrt auf unserem Betriebshof“, kündigt die Chefin an. Gibt es eine Trauerfeier? „Vielleicht.“
Neben Frank Sauer steht ein weiterer Busfahrer in der Morgensonne. Bevor er vor sieben Jahren zu Hartmann kam, war er Schichtleiter in einer großen Druckerei in Spandau – bis dort eine dreistellige Zahl von Mitarbeitern gehen musste. Auch er ist zufrieden mit seinem Arbeitgeber. Zum Teil seien die Konditionen besser als bei der BVG, die Sommerfeste waren legendär. „Ich hätte nie gedacht, dass es hier Probleme geben wird“, sagt der 40 Jahre alte Tempelhofer. Die Nachricht von der BVG war „ein Schlag ins Gesicht“. „Von einem Tag auf den anderen war alles anders, und schon bald war klar: Etwas anderes als eine Stilllegung gibt es nicht. Es bricht dem Unternehmen das Genick.“
Mit Reisebussen von Westberlin in die DDR
Claudia Hartmann ist in ihrem Büro angekommen. Ein blaues Bobbycar, das einen Hartmann-Bus darstellt, parkt vor ihrem Schreibtisch. An den Wänden hängen Erinnerungsstücke dicht and dicht: Zeitungsausschnitte, Familienfotos, Bilder von Fahrzeugen. „Das hier war 1972 unser erster Bus“, sagt die Unternehmerin. Ein Mercedes-Benz, der während der Olympischen Spiele in München der chilenischen Nationalmannschaft diente. Ihr Vater Wolfgang Hartmann holte das Fahrzeug nach Steglitz, und das Reisebusunternehmen Der Südender nahm den Betrieb auf. „Als Fünfjährige habe ich Gummibärchen im Bus an die Fahrgäste verteilt“, so die Chefin.
Die Firmengeschichte hatte in der Steglitzer Stephanstraße begonnen. In der dortigen Familienwohnung machte der Vater ein Reisebüro auf, vorn befand sich das Schreibwarengeschäft der Mutter. „Meine Eltern hatten immer ein gutes Händchen“, sagt die Tochter. Zu DDR-Zeiten waren Reisen in den anderen deutschen Staat ein Schwerpunkt. Als die Semperoper in Dresden 1985 wiedereröffnet wurde, war der Südender der erste Busbetreiber aus dem Westen Berlins, der Touristen dorthin brachte. Nach der Wende war die Firma mit einem Reisebüro im Centrum-Warenhaus in Friedrichshain zur Stelle. Hartmann war immer für Innovationen zu haben. Früh ließ der Busunternehmer Mikrowellen installieren, damit die Fahrgäste „rollende Rouladen“ und andere warme Speisen bekamen. Schon 1995 war GPS an Bord.
Nach der Wiedervereinigung gingen die Erlöse im Reisebusgeschäft jedoch immer weiter zurück. Auch der Charterverkehr nahm ab. Seit einigen Jahren ist das Familienunternehmen, das nach der Grenzöffnung 1989 die BVG damals noch mit Reisebussen zur Glienicker Brücke unterstützte, fast nur noch mit der BVG im Geschäft. Seit 2009 betreibt es für sie 63 Dieselbusse, davon 22 mit Euro 6.
Preis ist mit 80 Prozent das wichtigste Kriterium
Vom 3. April an sind die Hartmanns nun keine Subunternehmer für die BVG mehr. „Das Unternehmen hat für keines der sieben Lose das wirtschaftlichste Angebot abgegeben“, sagt BVG-Sprecher Nils Kremmin. Der Angebotspreis sei mit 80 Prozent gewertet worden, 20 Prozent entfielen auf qualitative Anforderungen, darunter vor allem Umweltaspekte. Für die Zukunft wurde eine flexiblere Linienzuweisung als bisher vereinbart, um auf die Elektrifizierung des Busnetzes reagieren zu können.
Claudia Hartmann äußerte sich nicht dazu, wie das jüngste Vergabeverfahren abgelaufen ist. Doch es gibt Einschätzungen, dass es verspätet und dann ziemlich kurzfristig anberaumt wurde, dass es zwischendurch stockte, dass es immer wieder Fragen und Unstimmigkeiten gab. Bald sei klar geworden, dass bei der BVG neues Personal am Ruder ist, das offensichtlich andere, neue Partner wollte – was auch gelang. Schröder ist neu bei der BVG, DB Regio war dem Vernehmen nach 2002 letztmals für das Landesunternehmen tätig. „Wir werden sehen, wie die Neuen zurechtkommen und ob sie den Fahrgästen einen zuverlässigen Betrieb bieten“, sagt ein Fahrer von Hartmann.



