Berlin - Berlins Doppeldeckerflotte ist auf einen kläglichen Rest zusammengeschmolzen. Von den einst 416 Bussen sind nur noch 113 einsatzfähig, berichtete Torsten Mareck, Bus-Chef der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Doch nun kommt endlich Ersatz. Am Mittwoch präsentierte das Landesunternehmen eines der ersten beiden Serienfahrzeuge der neuen Doppeldeckergeneration für Berlin. Bis zum Frühjahr 2023 soll die Flotte auf 200 Busse wachsen. „Das werden die letzten Dieselbusse sein, die wir bekommen“, sagte Rolf Erfurt, Betriebsvorstand und Inhaber eines Busführerscheins. Danach setzte er sich ans Steuer des sonnengelben Briten – für eine Probefahrt über den Kurfürstendamm zum Rathenauplatz.
„Die bisherigen Doppeldecker haben die Aerodynamik einer Schrankwand“, sagte Mareck, als Bus 3552 durch die City West rollte. Die Dreiachser vom Typ Enviro 500, die der britische Hersteller Alexander Dennis (ADL) für rund 600.000 Euro pro Stück plus Mehrwertsteuer nach Berlin liefert, wirken mit ihren Rundungen windschnittiger. Pro hundert Kilometer brauchen sie allerdings immer noch rund 60 Liter Diesel. Warum hat die BVG nicht stattdessen Elektrobusse gekauft? „Weil es noch keine E-Doppeldecker gibt, die unseren Ansprüchen gerecht werden“, erklärte Rolf Erfurt. „Sie sind einfach noch zu klein, die Kapazität entspricht einem kleinen Bus.“ Erst die Doppelstockbusse, deren Beschaffung Mitte der 2020er-Jahre ansteht, werden Batteriefahrzeuge sein.
USB-Buchsen senken Vandalismuskosten
Was haben die neuen Berliner Doppeldecker zu bieten? Neu ist ein Bildschirm, der den Fahrgästen unten anzeigt, wie voll es im Oberdeck ist. Wlan ist ebenso Teil der Ausstattung wie eine große Zahl von USB-Buchsen. In anderen Bussen haben die Lade-Anschlüsse die Vandalismuskosten gesenkt. „Die Jugendlichen sind so mit ihren Handys beschäftigt, dass sie kaum noch auf andere Ideen kommen“, sagte Mareck.
Dass Fahrerplatz und Fahrgastraum klimatisiert sind, gehört bei BVG-Bussen inzwischen zur Grundausstattung. Ein Mehrzweckbereich mit Platz für einen Rollstuhl und Kinderwagen ebenfalls. Das gilt leider auch für die mal wieder spartanisch, nämlich fast gar nicht gepolsterten Sitze. Auch eine Videoüberwachung ist selbstverständlich vorhanden: Vier Kameras nehmen das Unterdeck ins Visier, zwei Kameras schauen in das Oberdeck, das über zwei beleuchtete Treppen erreichbar ist. Ein Abbiegeassistent erkennt, wenn der Bus einem Radfahrer oder jemand anders zu nahe kommt. Dann vibriert es im Fahrersitz und neben einem Bildschirm leuchtet ein rotes Dreieck auf.

Besonders wichtig für viele Fahrgäste: Auch die neuen Doppeldecker haben viel mehr Sitzplätze als Gelenkbusse oder gar die kleinen Zwölf-Meter-Fahrzeuge – gut für Pendler, die in Berlin oft lange Strecken zurücklegen. Im Oberdeck können 55 Fahrgäste Platz nehmen, im Unterdeck gibt es 25 feste Sitzplätze und drei Klappsitze. Insgesamt fasst so ein Doppeldecker 112 Fahrgäste – fast genauso viele wie ihre Vorgänger.
Unten können bis zu 1,90 Meter große Fahrgäste bequem stehen, ohne anzuecken. Oben beträgt die Stehhöhe rund 1,70 Meter. „Mehr als in den älteren Fahrzeugen“, sagte David Szijártó. Er leitet die Doppeldeckerbeschaffung – ein Großprojekt, das lange auf sich warten ließ. Die bisherige Doppeldeckerflotte vom Typ MAN A39 schrumpft bereits seit Jahren. Rost, Mängel und hohe Betriebskosten summieren sich zu einer Negativbilanz, die manch einen bei der BVG darüber nachdenken ließ, ob Doppeldecker überhaupt noch sinnvoll sind. Auch der von der grün geleiteten Verkehrsverwaltung verordnete Trend zu Elektrobussen ließ die Verantwortlichen zögern.
Fahrzeuge werden nun doch nicht in der Türkei produziert
Dann aber schrieb die BVG doch noch den Kauf von 200 Doppeldeckern aus. Den Auftrag bekam der weltweite Marktführer auf diesem Gebiet, ADL in Schottland. Im Herbst 2020 kamen zwei Prototypen nach Berlin, die Alexandra und Dennis getauft wurden – und sich bis heute bewähren. Zwei weitere Vorserienfahrzeuge blieben auf der Insel. Eines dreht auf einem Test-Oval, das auch Kopfsteinpflaster umfasst, täglich viele Stunden lang seine Runden, erzählt Szijártó. Während des Probebetriebs wurden 137 Änderungswünsche notiert, von denen 127 als sinnvoll erachtet wurden. Bei der Serienfertigung, die im April dieses Jahres begann, werden sie berücksichtigt.
Ursprünglich erwog ADL noch, die Busse in der Türkei fertigen zu lassen. Doch die BVG forderte schließlich die Zusage, dass sie in Großbritannien entstehen. Soll die Produktion außerhalb der EU verlagert werden, muss sie dies genehmigen.
Wie oft war der Projektleiter bei der Serienfertigung in Großbritannien? „Kein einziges Mal“, sagte David Szijártó am Mittwoch. Corona-Auflagen und der Brexit, nach dem jeder Arbeitsbesuch eine Arbeitserlaubnis erfordert, erschweren das Reisen. Alle Gespräche über das neue Produkt fanden im Rahmen von stundenlangen Videokonferenzen statt, so der BVG-Verantwortliche. Sechs ADL-Mitarbeiter waren seine Ansprechpartner, ihre Kopfkameras lieferten aktuelle Aufnahmen von Großbritannien nach Berlin.
Von Scarborough über Cuxhaven nach Wilmersdorf und Wedding
Vor rund zwei Wochen reisten dann die Wagen 3552 und 3553 nach ihrer Endfertigung im ADL-Reisebuswerk im englischen Seebad Scarborough per Schiff nach Cuxhaven. Von dort aus rollten die ersten Serienfahrzeuge nach Berlin. Weil die Busse sechs Zentimeter höher sind als die in Deutschland erlaubten vier Meter, waren Sondergenehmigungen erforderlich – „für jedes Bundesland eine eigene“, sagte Szijártó.



