Touristen, Kinderwagen, Teenager mit Softeis in der Hand ziehen an Tatjana Sterneberg vorbei. Die 70 Jahre alte Frau steht am Rand des Tiergartens, neben dem Reichstag. Kaum jemand will stehen bleiben, obwohl Massen von Menschen am Freitag hier unterwegs sind. Sterneberg verteilt Flyer an die wenigen Gäste, die stehen geblieben sind. An den Gedenkkreuzen der Berliner Mauertoten, die in Schulterhöhe neben ihr am Zaun hängen.
Am Sonnabend ist es 61 Jahre her, dass der Bau der Berliner Mauer begann. Am Freitag wird vor den Gedenkkreuzen der Menschen gedacht, die beim Versuch, die Mauer zu überwinden, ihr Leben verloren. Zwei Kränze werden vor dem Kreuz für Peter Fechter niedergelegt: einer trägt Schleifen in schwarz, der andere in gelb und blau aus Solidarität mit der Ukraine. Fechter ist einer der bekanntesten Mauertoten. Der damals 18-jährige Ostberliner versuchte am 17. August 1962 in der Zimmerstraße unweit des Checkpoint Charlie über die Mauer zu klettern. Die Grenzsoldaten schossen ihm mehrmals in Bauch und Rücken, er wurde das 27. Todesopfer der Mauer.
Carl Wolfgang Holzapfel ist der Vorsitzende der Vereinigung „17. Juni 1953“. Seit acht Jahren organisiert er zusammen mit seiner Frau Tatjana Sterneberg diese Gedenkveranstaltung. „Peter Fechters tragisches Sterben dauerte 50 Minuten und spielte sich vor aller Augen ab“, sagt der 78-Jährige. Auf Videoaufnahme könne man sehen, dass niemand ihm zu Hilfe gekommen sei. Holzapfel war lange politisch aktiv, teils in der CDU, teils im völkisch-rechtsextremen Witikobund.
Ein paar Touristen bleiben stehen, betrachteten die Männer in Anzügen: Paul Fresdorf (FDP) und Burkhard Dregger (CDU), sowie drei Vertreter der AfD. Vorab luden die Veranstalter Mitglieder aller Parteien ein. Diesmal erschienen vergleichsweise wenige, noch im letzten Jahr sprachen auch die Grünen vor den neu installierten Kreuzen. In diesem Jahr gab es terminliche Gründe, heißt es, warum sie nicht kommen konnten. Martin Trefzer von der AfD wirkt trotzdem positiv überrascht. Er selbst sagt, er sei langjähriger Freund von Carl Wolfgang Holzapfel und und setze sich mit ihm dafür ein, dass die jetzige Zimmerstraße in „Peter-Fechter-Straße“ umbenannt und ein Ehrengrab errichtet wird.
Tatjana Sterneberg nimmt sich Zeit und berichtet von ihren Erfahrungen mit Mauer und Diktatur. Ihr erster Mann, ein Italiener, sei gestorben, nachdem er zweieinhalb Jahre Stasi-Haft nie ganz verwunden habe. Auch sie selbst habe zweieinhalb Jahre im berüchtigten Gefängnis in Hoheneck verbracht. Sie erzählt von Zwangsjacken und Psychopharmaka. „Wir haben überlebt, die Menschen, deren Namen hier auf den Kreuzen stehen, hatten keine Chance“, sagt sie.
Auch Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat am Freitag an den Bau der Berliner Mauer vor 61 Jahren und an die Opfer des DDR-Grenzregimes erinnert. „Die Berliner Mauer war ein Bauwerk der Unfreiheit, des Unrechts und der Diktatur“, teilte Giffey am Freitag mit. Am 61. Jahrestag am Samstag wird in Berlin mit mehreren Veranstaltungen an den Mauerbau erinnert.




