„Creifelds und Lell waren Nazis, die in der Berliner Justizverwaltung gearbeitet haben und sich gegenseitig deckten“, sagt der Rechtswissenschaftler Ignacio Czeguhn am Mittwoch bei der Vorstellung einer neuen Website zur NS-Vergangenheit von Beschäftigten der Berliner Justiz nach 1945. Lange blieb verborgen, dass Carl Creifelds, einst Herausgeber und Autor des Standard-Nachschlagewerks „Der Creifelds“ für Juristen, und auch Heinz-Günther Lell, laut Website „ehemaliger Blutrichter Hitlers“ am Volksgerichtshof, unter den Nazis Karriere gemacht haben. Nun stehen die Biografien beider Männer neben vielen anderen Lebensläufen auf der neuen Internetseite des Forschungsprojekts „Die Berliner Justizverwaltung nach 1945 – sachliche und personelle Kontinuitäten zur NS-Justiz“.
Seit Ende 2018 forscht ein vierköpfiges Studenten-Team um die Berliner Professoren Czeguhn von der Freien Universität und Jan Thiessen von der Humboldt-Universität an dem Projekt. Nachdem die sogenannte Rosenburg-Kommission von 2012 bis 2016 die NS-Vergangenheit von einstigen Mitarbeitern des Bundesjustizministeriums in Bonn unter die Lupe genommen hatte, sollte nun geklärt werden: Wie sah es nach dem Zweiten Weltkrieg in der Berliner Justizverwaltung aus?
Der völlig verstaubte Dachboden des Nordsternhauses, in dem die Justizverwaltung seit den 1950er-Jahren ihren Sitz hat, sei offenbar schon seit Jahrzehnten nicht mehr betreten worden, erzählt Martin Groß, der Präsident des Justizprüfungsamtes und in der Senatsverwaltung für das Projekt zuständig. Dort habe man zu Beginn der Forschungsarbeit zahlreiche alte Dokumente gefunden. Es handelte sich um den fast vollständigen Korpus der Personalakten der Justizverwaltung. Dann wurden Archive durchstöbert. Fest stehe, so Groß, dass man nach dem Krieg mit alten Nazis gearbeitet habe.
Die Studie, von der Senatsverwaltung mit 160.000 Euro gefördert, brachte erstaunliche Ergebnisse ans Licht. Ignacio Czeguhn schildert, dass das Projekt mit der Frage befasst gewesen sei: War Berlin aufgrund der geografischen und auch politischen Lage anders als Bonn? Der Wissenschaftler bejaht die Frage. Es sei für die Senatsverwaltung damals wegen der Lage außerordentlich wichtig gewesen zu prüfen, ob es bei ihren Mitarbeitern Verbindungen zur Sowjetunion, zur DDR gegeben habe oder nicht. Man habe sich auch angesehen, was der jeweilige Mitarbeiter in der NS-Zeit gemacht habe. „Die NS-Vergangenheit spielte aber schon Mitte der 1950er-Jahre keine große Rolle mehr“, sagt Czeguhn.
Überraschendstes Ergebnis der Studie: In der Berliner Behörde gab es im Gegensatz zum Bundesjustizministerium in Bonn eine geringere NS-Belastung bei den Mitarbeitern. Mehr als 50 Prozent der in Bonn arbeitenden Personen seien einst NSDAP-Mitglieder gewesen, berichtet Thiessen. In Berlin dagegen zwischen zehn und 15 Prozent.
Thiessen hat dafür auch eine Erklärung: Unmittelbar nach dem Krieg sei die Betroffenheit über diese Verbrechen der NS-Diktatur groß gewesen. „In den ersten fünf Jahren nach dem Krieg wurde sehr intensiv geschaut, wo die Leute herkommen und was sie gemacht haben.“ 1950 habe es wahrscheinlich in jeder Personalakte der Behörden der Bundesrepublik und West-Berlins einen Vermerk gegeben, ob jemand einer radikalen Strömung angehört habe oder nicht. „Von da an hat sich das Blatt gewendet“, sagt Thiessen.
Aus den Personalakten gehe hervor, dass sich diejenigen, die wirklich schwer belastet gewesen seien, frühzeitig aus Berlin in die westlichen Besatzungszonen aufgemacht hätten. Dagegen seien Juristen aus der Sowjetischen Besatzungszone nach West-Berlin gekommen, die, so sie in der Justizverwaltung arbeiten wollten, argwöhnisch beäugt worden seien. Thiessen sagt, als Frontstadt habe Berlin viele Menschen aus der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR angezogen, die dann der Spionage verdächtigt worden seien.
Anhand der Personalakten konnten die Namen von 451 einstigen Mitarbeitern ermittelt werden, die von 1949 bis Anfang der 70er-Jahre in der Justizverwaltung Berlins tätig waren. „Ich sage Mitarbeiter, weil es fast ausschließlich männliche Referenten und Referatsleiter waren“, sagt Rechtswissenschaftler Thiessen. 34 dieser Personen wurden erforscht, ihre Biografien sind auf der Website zu finden. Es sind Menschen mit NS-Vergangenheit – aber auch Opfer des Hitlerregimes, denen nahelegt wurde, die Behörde zu verlassen.
Nach Thiessens Worten ist die Website den jungen Studierenden zu verdanken, die mit geforscht haben. Ziel sei es gewesen, die staubigen Akten lebendig zu machen, ergänzt die 25-jährige Studentin Anna Lanzrath. Dadurch sollen Informationen übersichtlich und interaktiv weitergegeben werden: mit virtuellen Karussells und auch Kurzfilmen.



