Fragebogen Berlin

Max Dudler: „In Berliner Vorstadtsiedlungen krieg ich Depressionen“

Bekannte Bewohner der Stadt nehmen Berlin ins Visier. Diesmal: der Architekt Max Dudler über Schinkel, Shopping und das römische Flair des Clubs Berghain.

„Berlins Dichte muss angepasst werden an eine Großstadt“: Max Dudler in seinem Architekturbüro am Kreuzberger Oranienplatz.
„Berlins Dichte muss angepasst werden an eine Großstadt“: Max Dudler in seinem Architekturbüro am Kreuzberger Oranienplatz.Pascal Rohé

Berlin hat rund 3,7 Millionen Einwohner, und jede(r) von ihnen hat ein anderes Bild der Stadt im Kopf. Was also macht Berlin aus, wieso lebt man hier? In unserer Rubrik „Fragebogen Berlin“ berichten prominente Hauptstädter aus ihrem persönlichen Alltag. Sie verraten ihre Favoriten beim Essen, Spazieren und Einkaufen, aber auch, was sie in und an Berlin besonders nervt.

Diesmal antwortete der Architekt Max Dudler bei einem Gespräch in seinem Büro im Max-Taut-Haus am Oranienplatz. Den Berlinern ist der 73-jährige Schweizer durch seine so strenge wie elegante Grimm-Bibliothek nahe der Humboldt-Universität ein Begriff. Seit 2021 auch durch die U-Bahn-Station Museumsinsel, bei der er Karl Friedrich Schinkels „Zauberflöten“-Sternenhimmel auf LEDs umgerüstet hat. Und natürlich durch das Ambiente des In-Italieners Sale e Tabacchi in der Rudi-Dutschke-Straße.

Auch beim Sprechen ist Max Dudler ganz der Essenzialist. Er formuliert mit glasklarem Gleichmut und schnörkellos, dabei mit sympathischem Schweizer Sprechkolorit – das Wort „Büro“ betont er auf der ersten Silbe. Wäre da nicht der wilde Haarschopf, könnte Dudler mit seiner besonnenen Art und dem Signatur-Dreiteiler auch Chefarzt einer teuren Fachklinik sein. Der Architekt inspiriert Zutrauen – nicht unwichtig für einen, der auf kommunikativ hochkomplexe Großprojekte abonniert ist. Viel auf Achse und in der Luft, ist er dennoch ein echter Berliner. Man lese nur seine Antworten auf die Fragen drei und acht.

1. Herr Dudler, seit wann sind Sie schon in der Stadt?

Ich bin 1975 hierhergekommen, um bei Ludwig Leo an der HdK zu studieren. Von Leo ist dieses rosa-blaue Strömungstestgebäude im Tiergarten, die erste Poparchitektur. Danach war ich in Frankfurt bei Oswald Mathias Ungers, kam aber wieder zurück. 1992 hab ich hier im Max-Taut-Haus ein Büro eröffnet. Ich dachte: Das ist ein großstädtisches, sachlich-modernes Haus mitten in dieser Kreuzberger 19. Jahrhundert-Architektur. Das gefiel mir.

2. Was ist aktuell Ihr Lieblingsort in Berlin?

Im Glienicker Park ganz im Westen bin ich gern, da wo Schinkel das Casino und andere Sachen im klassizistischen Stil gebaut hat. Kein anderer Architekt hat Berlin so geprägt wie Schinkel, auch städtebaulich, mit seinen klaren Volumen. Und als Gegensatz das Berghain. Nicht dass ich da dauernd wäre, aber das gefällt mir, weil’s ein bissel römisch ist, diese Höhe und alles. Das macht Berlin ja aus: die Gegensätze.

3. Wo zieht es Sie hin, wenn Sie entspannen wollen?

Ins Büro. Ich geh zum Arbeiten, das entspannt mich am besten am Wochenende.

4. Welche Ecken der Stadt meiden Sie?

Da gibt es eigentlich keinen Ort. Weil, nur als Beispiel, auch die Platten in Marzahn haben ihren Reiz, durch ihre Abstraktion. Das ist ja auch das Thema unseres Büros: Dass wir versuchen, möglichst viel Dichte zu erzeugen, damit eine Zukunft entsteht für diesen Ort. Wir haben heute ja diese Vorstadtidylle, das ist das größte Problem unserer Städte: die planlose Aneinanderreihung von Einfamilienhäusern am Rand. In so einem Viertel krieg ich Depressionen.

5. Ihr ultimativer Gastro-Geheimtipp?

Ich wohne in Charlottenburg und bei mir um die Ecke gibt es einen kleinen Italiener in der Leibnizstraße, der heißt Tavola Calda oder so, zwischen Mommsen- und Niebuhrstraße. Der ist gut, ein Familienbetrieb mit weißen Tischtüchern und richtigem italienischen Essen. Gute Weine haben sie auch. Aber das beste Ragù für die Tagliatelle machen sie bei Sale e Tabacchi, weil der macht es mit Lamm.

6. Und Ihr Geheimtipp zum Einkaufen?

Der Feinkostladen Rogacki, da geh ich hin zum Fischkaufen. Super. Und ich mag die ganze Situation um den Savignyplatz. Da sind ja auch der Bücherbogen und die Autorenbuchhandlung. Das Problem beim Einkaufen in Berlin ist, dass die kleineren Geschäfte nicht überleben können. Weil Berlin eine arme Stadt ist? Ein Gegenbeispiel wäre Wien: Das ist auch keine reiche Stadt wie Zürich oder Paris. Und trotzdem ist das eine fantastische Stadt zum Einkaufen. Die Leute geben dort viel mehr Geld aus in den Läden als hier. Warum ist das so?

Zur Person
Max Dudler wurde im November 1949 in Altenrhein in der Schweiz geboren und studierte Architektur in Frankfurt am Main und an der HdK in Berlin. 1992 gründete er in Kreuzberg das Büro Max Dudler, das heute rund 140 Mitarbeitende beschäftigt und Niederlassungen in Berlin, Zürich, Frankfurt und München unterhält. Er lehrte an der Kunstakademie Düsseldorf, an den Universitäten Venedig und Bologna, dem Politecnico di Milano, der TU Dortmund und der TU München.

Das Büro Max Dudler beschäftigt sich mit den Stadtraum prägenden Großprojekten in ganz Europa, darunter öffentliche Bibliotheken („Wir planen gerade unsere 16., in Augsburg“) wie das Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum in Berlin-Mitte sowie Konversionen mit hohem denkmalpflegerischen Anspruch. Laufende Projekte in Berlin sind u. a. Sanierung und Neubau des Bernhard-Lichtenberg-Hauses hinter der Sankt-Hedwigs-Kathedrale am Bebelplatz für das Erzbistum Berlin, der Anbau des Bundesrats und die Projektentwicklung Kalle Neukölln in der Karl-Marx-Straße. Im Herbst 2023 ehrt ihn die Bayerische Staatsbibliothek in München mit einer Werkausstellung.

7. Der beste Stadtteil Berlins ist ...

Ich würde sage: rund um den Oranienplatz. Weil ich dort am meisten erlebt habe, früher vor allem. Als Student habe ich auch mal da gewohnt, gleich beim SO36. Und jetzt ist eben das Büro hier.

8. Das nervt mich am meisten an der Stadt:

Fast alles. Aber nicht nur in Berlin. Genervtsein ist meine Grundeinstellung. Weil: Man kann nicht nur glücklich durch die Welt gehen. Es gibt so viele Sachen, die einen stören müssen. Immer.

9. Was muss sich dringend ändern, damit Berlin lebenswert bleibt?

Der öffentliche Raum und Berlins Dichte müssen angepasst werden an eine Großstadt.

10. Ihr Rat für Unentschlossene: Nach Berlin ziehen oder es lieber bleiben lassen?

Früher, als es noch eine Mauer gab, kamen viele Künstler, Musiker und Schriftsteller, einfach viele super Menschen nach Berlin. Weil’s kompakt war. Alle wollten das interessante Gefühl dieser Insellage genießen. Nach der Wende ist da ein bissel eine Verflachung gekommen. Aber jetzt beginnt es wieder interessant zu werden. Also: Die sollen jetzt alle kommen, alle interessanten Menschen. Die Frage ist bloß, wer das dann entscheiden soll: Wer interessant ist.

11. Cooler als Berlin sind nur noch ...

Die schroffen Berge. Die Schweizer Berge.


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