Romy Lausecker läuft die Ahrensfelder Berge an der Berliner Stadtgrenze in Marzahn hoch. Auf dem steilen Trampelpfad geht es vorbei an Büschen und Bäumen, kein Schnaufen, kein Stehenbleiben, das Ziel, den Berggipfel, hat sie stets im Blick. Die 114,5 Meter führen geradewegs hoch. Sie sind kein Problem für sie. Nicht mehr. „Ich habe lange dafür gebraucht, wieder körperlich fit zu werden. Aber jetzt geht es mir gut“, erzählt sie während des Aufstiegs.
Vor zweieinhalb Jahren erkrankte sie an Covid. Das haute sie völlig um, sie war ohne jede Kraft. Die Mutter von drei Kindern verlor sogar ihre Arbeit als Pflegehelferin. Damals berichtete die Berliner Zeitung über ihr Schicksal. Heute hat die 34-Jährige aus Berlin-Marzahn nach hartem langen Kampf ihr Leben zu großen Teilen wieder. Sie nimmt zwar weiterhin Medikamente. Aber ihre sportliche Leistungsfähigkeit hat sie fast uneingeschränkt wiederhergestellt. Erreicht hat sie es durch Aufbautraining und einen eisernen Willen.
Wieder so fit wie früher
Inzwischen kann sie wieder 19 Kilometer weit joggen, ein Kilometer fehlt ihr noch. Dann ist sie wieder da, wo sie vor der Erkrankung war. „Wenn alles gut geht, bin ich Weihnachten wieder so fit wie früher.“ Die Ahrensfelder Berge waren ihr auf dem Weg dahin Gradmesser für den Fitnessstatus.
Stolz steht Romy Lausecker oben auf dem Bergplateau. Normal ruhig atmend erklärt sie die beeindruckende Aussicht, „da links ist Eiche im Brandenburger Landkreis Barnim und da rechts der Marzahner Kienberg mit der Aussichtsplattform obendrauf, ganz hinten der Fernsehturm“. Unten an den Bergen wohnt sie seit ihrer Geburt in einem der Hochhäuser, die dem Neubaustadtteil sein typisches Gesicht geben. Ihre drei Kinder sind im Teenageralter. „Ich bin hier nie rausgekommen“, sagt sie und sieht dabei glücklich aus.
Viele Jahre lang schon führte sie ihre Joggingstrecke auf und um die Ahrensfelder Berge. Unerschütterlich liegen diese da am Rande der modernen Häuser. Einfach da sein, das, was passiert, so annehmen – wie die Berge es ihr vormachen, nimmt auch Romy Lausecker die Dinge, die geschehen, inzwischen an. „Das musste ich erst lernen“, sagt sie.
Monate nach der Covid-19-Infektion, die ohne Symptome verlief, gab es körperliche Probleme, die immer schlimmer wurden: Herzanfälle, Stürze durch plötzliche Kraftlosigkeit, andauernde Erschöpfung, Magenprobleme, Depressionen. „Das Schlimmste war im Juni 2021 die Lähmung meines Kiefers.“ Sie konnte nicht sprechen, „das war der Schrecken überhaupt“. Ein Schlaganfall, dachte sie, ihr geschockter Sohn rief sofort den Notarzt.

Im Krankenhaus normalisierte sich das Geschehen innerhalb von Stunden. Aber die Ärzte fanden bei einer Lumbalpunktion Coronaviren, „sie hatten die Blut-Hirn-Schranke überwunden, das hat mich sehr verängstigt“. Aber trotzdem hat sie zwei Wochen später ihr Sporttraining wiederaufgenommen. Weil Sport ihr immer Kraft gegeben hat, im Beruf, privat als Mutter und Pflegerin ihrer Eltern. „Sport gehört einfach zu meinem Leben. Er macht mich stark und widerstandsfähig“, das weiß sie heute mehr denn je.
Dabei verlangte die Behandlungsleitlinie für Patienten damals, als das Coronavirus das Weltgeschehen prägte, innezuhalten. Die Bewegung einzustellen und erst lange nach dem Geschehen sehr langsam und vorsichtig wieder mit Sport anzufangen, war die Therapieempfehlung.
Sport hat ihr immer Kraft gegeben
Gerade stellten Fachärzte verschiedener Richtungen die neuen Leitlinien Long/Post-Covid zusammen. Darin wird Bewegung in früheren Stadien der Erkrankung als bisher empfohlen. Denn Bewegung sei für viele Betroffene ein wichtiger Therapiefaktor.
Wie kommt es zu der Trendwende? Gerhard Huber, Präsident des Deutschen Verbands für Gesundheitssport und Sporttherapie e.V. (DVGS), erläutert die Entwicklung: „Anfangs gab es eine große Verunsicherung, weil man bei der Covid-19-Viruserkrankung nicht wusste, worum es da geht. Dann tauchten 2020/21 auch noch Herzmuskelentzündungen bei den Corona-Erkrankten auf und daraufhin hieß es zunächst ,Stopp: Bewegungsverbot!‘“
2021 und 2022 gab es mehr Erfahrungen und Studien, „wir erfuhren ausführlicher über die Rolle der Bewegung. Sie ist ein wichtiges therapeutisches Werkzeug“, sagte Huber. Bei der Corona-Infektion kommt es zu Entzündungen im Körper. „Die Muskulatur ist in der Lage, anti-entzündlich zu wirken. Bei Bewegung werden Substanzen, Myokine, ausgeschüttet, die Entzündungen reduzieren. Bereits Trainierte und auch Patienten, die – mit und ohne Symptome – sich während der Erkrankung bewegen, sind besser vor Ansteckung und schweren Verläufen geschützt.“
Von Romy Lauseckers Fitness war zwei Wochen nach der Infektion nichts, aber auch gar nichts mehr übrig gewesen. „Ich kam keine zwei Treppenstufen hoch, ohne Schnappatmung zu bekommen.“ Im Herbst 2020 erst bekam sie einen Termin zur Computertomografie beim Lungenfacharzt. „Es zeigten sich milchige Flecken in der Lunge. Das waren Nachwirkungen einer Entzündung.“ Drei Monate später bei der Kontrolle die Entwarnung, „die Flecken waren weg, die Lunge wieder voll funktionsfähig. Das war für mich der Startschuss, mein Trainingsprogramm nach sechs Monaten Pause wieder zu starten.“
Dabei hätte sie nach den heutigen Empfehlungen bereits vorher eventuell dosiert Sport treiben können. Gerhard Huber: „Obwohl vielfach Ärzte noch falsche Ratschläge geben: Auch im Verlauf der Erkrankung spielt Bewegung bereits eine wichtige Rolle!“ Jetzt gerade am 22. August 2022 hat eine spanische Arbeitsgruppe eine weltweite Metaanalyse mit 1,8 Millionen erwachsenen Teilnehmern vorgestellt, sie bestätigt seine Ratschläge. „Diese Studie belegt, dass sich das Risiko eines schweren Verlaufs bei Trainierten und während der Infektion Trainierenden um fast 40 Prozent reduziert.“
Fünfmal in der Woche dreißig Minuten aktiv sein
Als Romy Lausecker ihr Training im Herbst 2020 wieder aufnahm, ging sie im schnelleren Schritttempo, Meter für Meter, zu und an den Ahrensfelder Bergen. „In den ersten Tagen hatte ich mächtig Muskelkater in den Beinen bis zu den Hüften.“ Sie habe sich etwas geärgert, so kraftlos zu sein, „aber eigentlich war es ein gutes Gefühl zu spüren, dass der Körper wieder arbeitet.“ Aufmerksam hörte sie in sich hinein, bewegt sich bis heute nur, bis sie ihre Grenzen spürt. Dann ist es für dieses Mal genug.
Damit folgt sie dem Rat des deutschen Verbandes für Gesundheitssport und Sporttherapie (DVGS), mit dem Energiemangelzustand sehr behutsam umzugehen. „Pacing“ heißt diese Strategie, mit der man individuell die eigenen Kräfte einteilt und so schrittweise Stück für Stück wieder in Bewegung kommt. Die Ratschläge der DVGS reichen für Menschen, die Symptome haben vom regelmäßigen Wechseln der Körperhaltung über öfters mal Aufzustehen bis zu leichten körperlichen Aktivitäten. Sieben Tage nach Abklingen der Symptome kann man nach und nach wieder mit regelmäßiger Bewegung und sportlicher Aktivität starten. Long-Covid-Patienten, die dauerhaft völlig erschöpft sind, sollten sich mit ihrem Hausarzt beraten.
Auf 1000 Meter kam sie in der ersten Woche, danach ging es voran, „auch nach den Ausfällen setzte ich immer beim bisherigen Trainingsstand ein und es funktionierte“. Im Dezember 2021 war sie dank ihrer Disziplin wieder bei 15 Kilometern Joggingstrecke.
So wie Romy Lausecker es erreicht hat, empfiehlt es Gerhard Huber jedem Kranken. „In dem Moment, in dem man sich in der Lage fühlt, etwas zu tun, sollte man fünfmal in der Woche dreißig Minuten aktiv sein. Mit einer Belastung, die einem forcierten Spazierengehen, Treppensteigen oder auch angestrengterer Gartenarbeit entspricht. Walking mit Armeinsatz ist die Zielgröße.“ Sobald es Erkrankten etwas besser gehe, sollten sie deshalb auch mit einem Muskeltraining beginnen. Zweimal die Woche je zehn Minuten reichten schon. Denn wenn der Körper ruhiggestellt werde, bildeten sich ganz schnell Muskeln zurück.
„Beim Treppensteigen gleich je zwei Stufen zu nehmen, ist ideal und unaufwändig.“ Selbst Long-Covid-Patienten, die, was extrem selten ist, dauerhaft völlig erschöpft sind, sollten unbedingt bei spezialisierten Therapeuten mit kleinen Bewegungsübungen beginnen.






