Kolumne

Lenin, Lindner, Giffey: Wahlkampf im Schein der Schreibtischlampe

Es ist Wahlkampf in Berlin – und unser Kolumnist entdeckte mal wieder ein Werbemotiv, das ein ewiger Bestandteil der Parteienpropaganda ist.

Fotomontage von Politikerbildern: Franziska Giffey auf einem aktuellen Wahlplakat der SPD, Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, sowie Christian Lindner auf einem Wahlplakat der FDP (v.l.)
Fotomontage von Politikerbildern: Franziska Giffey auf einem aktuellen Wahlplakat der SPD, Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, sowie Christian Lindner auf einem Wahlplakat der FDP (v.l.)SPD/Imago/FDP

Es gibt Sprüche aus der Werbung, die es in den allgemeinen Sprachgebrauch geschafft haben, zum Beispiel: „Man gönnt sich ja sonst nichts“ oder „Es gibt viel zu tun. Packen wir’s an“ oder „Da werden Sie geholfen“. Aber es gibt auch Fotomotive, die es immer wieder in die Werbung schaffen. Gemeint ist in diesem Falle die aktuelle Wahlwerbung der Parteien.

Wahlkampf in Berlin: Arbeiten bei Nacht

Und auf den Wahlplakaten sitzt dieses Mal Franziska Giffey in einem ihrer vorbildlichen Arbeitsuniformen an einem Schreibtisch, blättert Seite um Seite um. Neben ihr der Werbespruch: „Arbeiten für Berlin.“ Natürlich ackert die Regierende bis spät in die Nacht, denn die Nachttischlampe brennt.

Bei der bislang letzten Bundestagswahl hatte sich FDP-Chef Christian Lindner dieses Motiv geschnappt: Das Jackett bereits abgelegt, gesenkter Blick, konzentriert, schreibend neben einem Stapel Akten. Er arbeitete natürlich ebenfalls im Licht einer Schreibtischlampe.

Für dieses Motiv gibt es sicher nicht nur ein Vorbild. Aber in Ostdeutschland ist eines besonders bekannt. Dort ging das Motiv des unermüdlich für das Volk schuftenden Politikers auf einen russischen Umstürzler zurück: Lenin. Die Bilder des Revolutionsführers am Schreibtisch waren sehr präsent.

„Im Kreml ist noch Licht“

Es gab auch den Spruch: „Im Kreml ist noch Licht.“ In der späten DDR wurde uns Kindern von den Lehrern erzählt, dass damit Lenin gemeint sei. Doch die Recherche ergibt etwas anderes. Eigentlich war der Spruch auf dessen Nachfolger gemünzt. Der Schriftsteller und Kommunist Erich Weinert schrieb im Moskauer Exil eine Hymne auf Stalin, die mit den Worten endet: „Ich schau zum Kreml. Ruhig schläft das Land. Sein Herz blieb wach. Im Kreml ist noch Licht.“

In meiner Geburtsstadt im heutigen Sachsen-Anhalt wurde der Spruch früher sogar in die DDR-Realität umgesetzt. In dem Ort saß die SED in einem roten Haus, das im Volksmund Kreml genannt wurde. Und dort brannte nachts meistens noch Licht an einem Eckfenster. Der Legende nach auf Anordnung des örtlichen Parteichefs: „Im Kreml ist noch Licht.“

Giffey und Lindner nutzen Lenin-Vorbild

Bei dem Wahlplakat von Christian Lindner hatten sich dessen Werbe-Dichter übrigens durchaus in die Nähe von Lenin begeben – freiwillig oder unfreiwillig. Denn neben dem Schreibtisch-Lindner stand der Satz: „Nie gab es mehr zu tun“, und eine der bekanntesten Lenin-Schriften heißt: „Was tun?“

Bei Franziska Giffey passt der Kreml-Vergleich auch sehr gut. Denn Lindner warb mit seinem Nachtarbeiter-Foto dafür, wieder in den Bundestag einziehen zu können. Die SPD-Politikerin will nun erreichen, dass sie auch nach der Wahlwiederholung in ihrem Amtssitz bleiben darf. Im Roten Rathaus.