Vor Gericht

Nach Mord an Berliner Taxifahrer: Beschuldigter soll in Zelle Waffen hergestellt haben

Ein JVA-Beamter beschreibt das gewaltsame Verhalten des Angeklagten Hassem B. Kurz vor dem Urteil lautet die Diagnose der Psychiater: Schizophrenie.

Der Angeklagte am 28. August am Landgericht Berlin
Der Angeklagte am 28. August am Landgericht BerlinPressefoto Wagner

Über der Lehne des Zeugenstuhls im Saal 501 im Landgericht Berlin ist der Schriftzug „JVA-Moabit Sportabteilung“ zu sehen. Der Zeuge trägt ein schwarzes Trikot und eine kurze Hose – Sportkleidung, ungewöhnlich für diesen Ort. Der Beamte der Vollzugsanstalt hatte am Dienstagmorgen zwischen zwei Sportstunden für eine Zeugenaussage den kurzen Weg zum Gericht auf sich genommen. Er sollte einen Angriff des Angeklagten auf ihn beschreiben.

Eigentlich ist der 24-Jährige angeklagt, am 6. April dieses Jahres einen 49-jährigen Taxifahrer ermordet und zehn Euro aus dem Taxi gestohlen zu haben. Am frühen Morgen des Gründonnerstags war der Familienvater schwer verletzt von einem Passanten in Grunewald gefunden worden. Er leistete Erste Hilfe, doch der Taxifahrer starb noch am Vormittag im Krankenhaus.

Während seiner Zeit in Untersuchungshaft in der JVA habe der mit 13 aus Tunesien geflohene Hassem B. immer wieder in seiner Zelle versucht, Waffen herzustellen. Das zumindest sagt der Vollzugsbedienstete im Zeugenstand. Er habe Teller zerbrochen, „um etwas zu bauen“, habe Holzteile des Mobiliars angespitzt, um Lanzen zu fertigen und einen Spiegel zu Boden geworfen, um an große Scherben zu gelangen. Sich selbst habe er mit diesen Gegenständen nicht verletzt.

Außerdem habe der Angeklagte den Stuhl gegen das Panzerglas seiner Zellentür geworfen und dieses zerstört, während die Beamten auf der anderen Seite standen. Auch Beleidigungen seien oft vorgekommen, „wenn er etwas nicht sofort bekommen hat“. Dabei soll der Angeklagte auch gedroht haben, Beamte umzubringen.

Nach einem Zwischenverfahren war der Angeklagte, dem auch ein Mord an einer Frau in Belgien vorgeworfen wird, im Sommer aus der JVA Moabit in ein Krankenhaus verlegt worden, in dem er seitdem untergebracht ist. Grund war die hohe Wahrscheinlichkeit einer psychischen Erkrankung.

Vor der Verlegung, so berichtet der JVA-Bedienstete, sei ihm am Morgen des 9. Mai der Angeklagte auf dem Weg zur Dusche in Begleitung von vier Beamten auf dem Gang entgegengekommen und habe ihn attackiert. Zuerst sei er am Hals gepackt worden, dann habe der Angeklagte seine Beine hochgehoben und ihn zu Boden gebracht. Nach einem Gerangel auf dem Boden hätten seine Kollegen den Angeklagten mit Handfesseln gesichert. Zu der Verlegung des Angeklagten in ein Krankenhaus und einer dortigen Behandlung sagt der JVA-Bedienstete wörtlich: „Ich denke nicht, dass er irgendwie eine Macke hat. Er weiß ganz genau, was er macht.“

Der Angeklagte und seine Mutter berichteten einander von Stimmen, die sie hörten

Der behandelnde Arzt ist am Dienstag auch als Zeuge geladen. Der Angeklagte sei vor seiner Ankunft „als aggressiv angekündigt gewesen“. Dem Arzt gegenüber habe er berichtet, „seit vier Jahren kritisierende, aufdringliche, unangenehme Stimmen zu hören“. Nach der Verdachtsdiagnose Schizophrenie werde der Angeklagte mit der Maximaldosis mehrerer hochpotenter Neuroleptika behandelt. Nach dem Verdacht, dass er diese zwar vorerst in den Mund nehme, später jedoch ausspucke, verabreiche man ihm die Medikamente nun per Depot, intramuskuläre Injektionen, die er in Intervallen von mehreren Wochen erhalte. Darauf habe er sich eingelassen, um rauchen zu können.

Auch in Chat-Verläufen auf dem von der Polizei beschlagnahmten Handy waren Gespräche zwischen dem Angeklagten und seiner Mutter vom frühen Morgen der Tat gefunden worden, in der beide von Stimmen, die sie hören, berichten. Die Kontakte der Mutter und der Schwester waren die einzigen zwei Kontakte auf dem Telefon, das der mutmaßliche Täter bei sich trug.

Ob Symptome nur vorgetäuscht werden, sei schwer einzuschätzen

Um herauszufinden, ob die Möglichkeit bestehe, dass der Angeklagte eine Krankheit nur vortäuscht, fragen Staatsanwalt und Nebenkläger, die Schwester und Kinder des Ermordeten, wiederholt zur Diagnose. Der Arzt antwortet, aufgrund der aktuellen Reizabschirmung sei es schwer, psychopathologische Auffälligkeiten zu beobachten. Diese seien bei einer höheren Zahl an Reizen besser sichtbar. Bei den Symptomen müsse er sich vor allem auf die Schilderungen des Angeklagten verlassen, auch bestehe durch die Sprachbarriere eine höhere Fehleranfälligkeit. Auf die direkte Frage, ob die Stimmen nur vorgetäuscht sein könnten, sagt er: „Dazu kann ich keine Aussage treffen.“ In der kurzen Zeit der bisherigen Behandlung sei dies zu schwer einzuschätzen.

Beendet wird der voraussichtlich vorletzte Prozesstag von dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen. Sie zeigt auf ihn, als sie seine „Affektarmut“ beschreibt. Wie während der vergangenen vier Prozesstage ist keine Reaktion zu sehen. Der Angeklagte weise „viele Charakteristiken einer schizophrenen Erkrankung“ auf. Ihrer Einschätzung nach sei die Erkrankung so schwer, dass sie sich auf die Schuldfähigkeit auswirken müsse. Die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten sei jedoch erhalten geblieben, wenn auch möglicherweise eingeschränkt. Im persönlichen Gespräch habe er seine Aussage „Töten ist eine gute Sache“ abgemildert, dies hält die Fachärztin für Psychiatrie für ein „Lippenbekenntnis“. Am Freitag, dem 15. September, werden die Schlussvorträge und das Urteil erwartet.