Kolumne

Krieg und Inflation: Berlin wird zur Stadt der sterbenden Läden

Immer mehr bunte Schaufenster verschwinden in Berlin, beobachtet unser Kolumnist. Ein Laden nach dem anderen macht gerade dicht. Warum jetzt?

Berlin wird immer mehr zu einer Stadt der geschlossenen Rollläden.
Berlin wird immer mehr zu einer Stadt der geschlossenen Rollläden.Zoonar/Imago

Früher war Berlin eine Stadt der bunten Schaufenster, eine Stadt mit einer enormen Vielfalt an Läden. Das „früher“ ist erst einige Monate her. Doch nun wird Berlin zu einer Stadt des Sterbens, der geschlossenen Läden und der geschlossenen Rollläden vor den Schaufenstern.

Ein Beispiel: Berlin-Friedrichshain, eine Seitenstraße der Frankfurter Allee. Dort tobt der Verkehr fast so, als gäbe es keine Krise. Doch nebenan stirbt der Einzelhandel. Von der Frankfurter bis zur nächsten Straße sind es 198 Schritte. Es gab zwei Spätis, einer ist nun dicht. Der kleine Secondhandshop mit dem hübschen Namen „Berliner Modeinstitut“ ist nun geschlossen. Immerhin ist die Druckerei daneben noch geöffnet und hat sehr schöne Kunstdrucke im Schaufenster – statt geschlossener Rollläden voller Graffiti wie bei den anderen Läden. Das kleine Modegeschäft „Berlin–Paris“ ist ebenfalls geschlossen.

Ein Stück weiter der Laden, in dem eine freundliche Familie früher wirklich gut Vietnamesisch gekocht hat – ebenfalls dicht und leer geräumt. Ein Stück daneben war ein Laden für Graffiti-Zubehör, also Spray-Dosen. Geschlossen. Hier sind zwar keine Rollläden vollgesprüht, dafür aber die riesigen Schaufenster.

Der Straßenabschnitt bietet Platz für ein Dutzend Läden, von denen die Hälfte dicht ist. Auf der anderen Straßenseite sind neun der 16 Rollläden geschlossen. In einem Fenster flackern noch die bunten Lampen des Schriftzuges „Massage Kunst“ in Rot und Grün und Blau. Daneben blinkt das Wort „Open“, aber der Rollladen an der Tür ist unten. Ein trostloses Bild.

Sogar die Pandemie überstanden

Das ist nur einer von fünf Abschnitten dieser Straße. Und es ist nur diese eine Straße. Ohne einen Rundgang durch den Kiez zu machen, fallen mir sofort ein paar Läden ein, die inzwischen dicht sind. Einige gab es schon lange, bevor wir vor 15 Jahren in den Kiez gezogen sind. Sie hatten auch die Pandemie überlebt. Einige sattelten einfach um und mutierten vom Nagelstudio zur Corona-Teststation. Andere nahmen Staatshilfen und schafften es über die Zeit der Verbote und menschenleeren Straßen.

Doch nun, in Zeiten von Krieg und Krisen, von Inflation und ständig steigenden Preisen, machen immer mehr Läden dicht. Die Händler in der Gegend erzählen, dass sie alle zu knabbern hätten. Je weniger Läden es gibt, umso weniger Laufpublikum kommt vorbei, um so mehr Läden bekommen Probleme und müssen dichtmachen – und es kommen noch weniger Leute. Ein Teufelskreis.

Und es gibt derzeit keine Hoffnung. Denn in dem kleinen Straßenabschnitt mit seinen 198 Schritten hat zwar ein Dutzend Läden innerhalb kurzer Zeit dichtgemacht, aber hinter keinem der vollgesprühten Rollläden baut sich jemand ein neues Geschäft auf.