Harmsens Welt

Bau-Wut in Köpenick: Wie auch noch das letzte Fleckchen zugeklotzt wird

Am Rande Berlins verschwinden nach und nach die letzten freien Flächen. Oft nicht für preiswerte Quartiere, sondern für teure Eigentumswohnungen. Eine Glosse.

Blick aus dem Fenster: Überall beginnt das große Bauen.
Blick aus dem Fenster: Überall beginnt das große Bauen.Torsten Harmsen/Berliner Zeitung

Et kann doch nicht jahrelang noch so weitergehen!“, schimpft ein Mann, der sich mühsam an den Absperrungen vor dem Bahnhof Köpenick vorbeischiebt. Doch es kann! Es hat nämlich gerade erst begonnen. Das sich ausbreitende Baugeschehen in meinem Bezirk erinnert an das Nationale Aufbauwerk nach dem Krieg, nur ohne Trümmerfrauen. Überall wird geräumt, gebaggert, gerammt und gehämmert.

Während unser piefiger S-Bahnhof zum Regionalbahnhof umgebaut wird, soll bald ein Stück weiter, wo sich heute die wunderbar morbide Landschaft des alten Güterbahnhofs ausbreitet, ein großes Quartier wachsen. Neue Straßen sind geplant, neue Tunnel, und bald soll auch eine der großen Brücken an der Altstadt abgerissen und neu gebaut werden. Ich bin dafür, die Fische aus dem Wappen unseres Bezirks zu nehmen. Dafür setzen wir dann den Biber rein, den alten „Baumeister mit Biss“, wie ich neulich las.

Jahrelang war unsere Gegend ein Tummelplatz für Freunde verwunschener Orte. Ach, wie viele „Lost Places“ ich erkundet habe: verlassene Fabrikgelände, wo die Bäume durch Hallendecken wuchsen, die alte Villa am nahen Park mit ihren verwunschenen Räumen, wilde Brachflächen aller Art. Inzwischen ist viel davon bebaut. Der Rest wird wohl folgen. 

„Freu dir doch, det die Jammelecken verschwinden!“, sagt der innere Berliner

Neulich stapfte ich über den alten Güterbahnhof, ein riesiges verwildertes Gelände. Der Bahnhof selbst sieht aus wie ein hölzernes Relikt aus dem Wilden Westen. In einer der alten Hallen hauste eine rumänische Großfamilie. Die Männer holten Wasser in Kanistern aus der Stadt. Irgendwo prasselte meterhoch ein Feuer.

„Und diesem elenden Provisorium heulste jetzt hinterher?“, fragt mein innerer Berliner. „Freu dir doch, det die janzen Jammelecken verschwinden! Und die Leute Wohnungen kriejen.“ Stimmt, hier soll ja bald das neue Quartier entstehen. Aber wohl nicht für die rumänische Großfamilie. Die wird wohl vorher weiterziehen. 

Vor allem beschäftigt mich eins: Überall jammert es, dass sich die Städte auf Klimawandel-Hitzesommer vorbereiten sollen – mit viel Grün, Wasser und Luftschneisen. Trotzdem verschwindet noch die letzte Brache, das letzte freie Plätzchen. Drauf werden Häuserquader der fantasielosen Art geklotzt, mit Schießscharten hoch, Schießscharten quer oder Gewächshaus-Fenstern.

Ade kühler Luftzug in Tropennächten! Hallo Backofen!

Wenn ich aus dem Fenster meiner Wohnung gucke, starre ich in eine riesige Baugrube. Hier wächst bald eine sogenannte Blockrandbebauung. Das heißt: Mein Blick wird bald nicht mehr in die Freiheit schweifen, sondern gegen eine Häuserwand prallen. Ade kühler Luftzug in Tropennächten! Hallo Backofen!

So sieht es einige Hundert Meter weiter aus: aufgerissene Straße.
So sieht es einige Hundert Meter weiter aus: aufgerissene Straße.Berliner Zeitung/Torsten Harmsen

Aber es entstehen doch dringend benötigte Wohnungen!, höre ich. Ist das so? Ich sehe eher teure Quartiere. Sie heißen „Riva Living“, „Achterdeck“ oder „Feine Dahme“. Köpenick wird schniekifiziert. „Ab 320.000 Euro ist man dabei“, lese ich über den Bau, der da vor meiner Nase entsteht. Lauter teure Eigentumswohnungen.

Anderswo in der Stadt stehen lange Bewerberschlangen vor den wenigen preiswerten Mietwohnungen. Dazu passt eine neue Strophe, die ich jüngst zum alten Song „Berlin ist ja so groß“ des Couplet-Sängers Otto Reutter hinzugedichtet habe. Sie geht so: „Willst du ’ne Wohnung suchen, dann nimm drei Wochen frei./ Hab lieber keene Kinder, stattdessen Jeld wie Heu./ So mancher hört den Preis und lacht: Da wohn ick lieber uff ner Jacht!/ Berlin ist ja so groß – so groß – so groß – jebaut wird Jahr um Jahr./ Doch willste preiswert wohnen, dann stehste blöde da.“