Justiz

„Keine Wut, Trauer oder Verzweiflung“: Polizist beschreibt Angeklagten im Fall einer toten Fünfjährigen

Am 21. Februar wurde die fünfjährige Anissa im Bürgerpark Pankow leblos aufgefunden, verdächtigt wird ein Freund der Familie. Am Dienstag sagen zwei Polizisten zu dem Fall aus.

Anwohner gedenken der fünfjährigen Anissa, die am 21. Februar 2023 im Bürgerpark Pankow leblos aufgefunden wurde.
Anwohner gedenken der fünfjährigen Anissa, die am 21. Februar 2023 im Bürgerpark Pankow leblos aufgefunden wurde.Volkmar Otto

Von „emotionaler Kühle“ ist die Rede, als ein Polizist im Saal B 219 des Kriminalgerichts Moabit den Angeklagten Gökdeniz A. beschreibt. Er habe, so sagt es einer der Polizisten im Zeugenstand, „weder Trauer, Wut noch Verzweiflung“ gezeigt. Das ist ungewöhnlich, denn schließlich war ein Mädchen, auf das er jahrelang aufgepasst hatte, verschwunden. Stumm habe A. dagestanden, sodass sich die Polizisten nicht sicher waren, ob er geistig präsent sei.

Am 21. Februar 2023 wurde die fünfjährige Anissa zunächst vermisst gemeldet und nach einigen Stunden leblos und mit mehreren Stichverletzungen im Bürgerpark Pankow aufgefunden. Gökdeniz A., ein Freund der Familie, sollte an diesem Tag auf Anissa und ihre Geschwister aufpassen. Er ist der Hauptverdächtige und muss sich dem Vorwurf des Totschlags stellen.

Polizist schildert Erstkontakt mit dem Angeklagten

Am Dienstag werden zwei Zeugen vernommen. Der erste Zeuge ist ein Polizist, der gleich zu Beginn der Ermittlungen im Einsatz war, als das Mädchen noch als vermisst galt. Er sei am 21. Februar gegen 15 Uhr zu einem Spielplatz gerufen worden, weil dort drei kleine Kinder ohne Beaufsichtigung spielten, so beschreibt es der Beamte. Die Kinder waren die Geschwister der fünfjährigen Anissa. Rund 15 bis 20 Minuten später sei der Angeklagte aufgetaucht und habe von dem vermissten Kind erzählt. Er sei mit „zügigen“ Schritten auf die Polizisten zugekommen und habe „eine blasse Erscheinung“ gehabt.

Auch am Dienstag vor Gericht wirkt er in sich versunken, der mittlerweile 20 Jahre alte Angeklagte bleibt ruhig, stützt seinen Kopf auf eine Hand und bewegt sich während der gesamten Verhandlung kaum. Er trägt ein weißes Shirt und eine schwarze Hose. Seine Stimme wird im Saal nicht zu hören sein. 

Der Polizist erzählt, er habe ein „komisches Bauchgefühl“ bekommen. Der Angeklagte habe den Polizisten geschildert, dass er den Spielplatz mit dem Mädchen verlassen habe, um eine Toilette zu suchen. Das habe lange gedauert, etwa eine halbe Stunde. An den genauen Weg konnte sich der Angeklagte nicht mehr erinnern. Auch die Frage, warum er nicht einfach zu dem Wohnort der Kinder direkt um die Ecke gegangen sei, konnte der Angeklagte am 21. Februar nicht beantworten. Selbst als die Mutter der Kinder dazukam und den Angeklagten anschrie, habe Gökdeniz A. kaum reagiert.

Weil der Angeklagte den Weg nicht beschreiben konnte und für eine Antwort auf Fragen der Polizisten oft einige Sekunden Zeit benötigte, fragte der Polizist laut eigener Aussage die Mutter des Mädchens, ob der Angeklagte „minderbemittelt“ sei. Das habe die Mutter jedoch verneint. Der Angeklagte habe nicht so reagiert, wie es in einer „Ausnahmesituation“ angemessen sei. Stattdessen habe der Angeklagte „abwesend“ gewirkt. „Ich hätte eine andere emotionale Reaktion erwartet“, sagt der Polizist.

Polizist vermutet, die kleinen Anissa wurde am Fundort „hingeworfen“

Auch der zweite Zeuge, der am Dienstag spricht, ist Polizist. Am 21. Februar sei er gegen 17 Uhr mit dem Angeklagten zunächst zu dem Ort gegangen, an dem sich das Mädchen in einer Grünanlage angeblich erleichtert haben soll. Von dort wollten die Beamten den Weg zum Spielplatz rekonstruieren. Auf dem Weg habe eine Radfahrerin die Polizisten darüber informiert, dass im nahe gelegenen Bürgerpark ein bewusstloses Mädchen gefunden wurde.

Auf den zweiten Zeugen wirkte der Angeklagte nervös und „aufgebracht“. Als die anwesende Psychiaterin den Polizisten fragt, ob der Angeklagte besorgt gewirkt habe, sagt er: „Ich würde sagen, ja.“ Nach dem Fund des Mädchens habe der Angeklagte gefragt, wie es dem Kind gehe.

Während die Beamten mit dem Angeklagten den Weg zurückverfolgten, habe der Zeuge jedoch bemerkt, wie Gökdeniz A. „immer langsamer“ wurde. Mehrmals habe er ihn auffordern müssen, schneller zu gehen. Die Sprache des Angeklagten habe auf den Polizisten „kindlich“ gewirkt. Beispielsweise habe er bei der Aussprache einiger Straßennamen Schwierigkeiten gehabt. Auch der zweite Zeuge spricht am Dienstag von einer möglichen geistigen Einschränkung.

Am Ende seiner Aussage äußert der Beamte die Vermutung, dass der Fundort des Mädchens nicht der unmittelbare Tatort sei. Er mache das fest an der Position des Kindes. Der Körper, so sagt er, habe gewirkt, als habe ihn jemand dort fallen lassen oder „hingeworfen“.