Die Veranstaltung war geplant, bevor die aktuelle Ost-West-Debatte losbrach. Aber sie passt mitten hinein. Unter dem Titel „Meine Medien, meine Stimme?“ wird am 7. Juni in Berlin über die Rolle der Medien in Ostdeutschland diskutiert. Wie gut spiegeln sie wider, was zwischen Ostsee und Erzgebirge passiert, mit welcher Perspektive berichten sie über den Osten, wie fühlen sich die Menschen dort repräsentiert?
Die Deutsche Gesellschaft hat im vergangenen Jahr Bürgerdebatten in Städten wie Cottbus oder Weimar zu diesem Thema abgehalten, nun soll in Berlin ein Fazit gezogen werden. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, kommt zur Diskussion. Er wird unter anderem auf den Medienwissenschaftler Lutz Mükke treffen, der bei den Bürgerdebatten dabei war und vor zwei Jahren mit einem Diskussionspapier über die mediale Spaltung in Deutschland für Aufsehen sorgte. Im Interview erklärt er vorab, wo die Unterschiede liegen und was sich ändern müsste.
Berliner Zeitung: Herr Mükke, im Osten lesen die Leute Super-Illu und gucken am liebsten MDR. Soweit das Klischee. Unterscheidet sich die Mediennutzung im Osten wirklich von der im Westen?
Lutz Mükke: Ostdeutsche gucken mehr und länger Privatfernsehen, weniger öffentlich-rechtlich, und lesen ganz wenig überregionale Leitmedien wie FAZ, Süddeutsche, Spiegel oder Die Zeit. Auch die großen Flächenmonopolgebiete der Regionalzeitungen, Erbe einer verfehlten Treuhand-Politik, sind seit Jahrzehnten prägend für Ostdeutschland. Das sind ein paar Unterschiede.
Was sind die Gründe?
Die privaten Sender haben etwa ostdeutsche Identitätsfiguren, Stars und Sportler früher in ihre Programme eingebunden als die öffentlich-rechtlichen. Die genannten überregionalen Printmedien haben hingegen über Jahrzehnte hinweg viel zu wenig in Ostdeutschland investiert – weder in Redaktionsbüros noch groß in Personal. Es gibt Korrespondentenbüros Ost, da sitzen dann zwei, drei Leute für alle Bundesländer. Das reicht einfach nicht. Hinzu kommt, dass die Stammleser westdeutsch sind. Die Zeitungen und Magazine schreiben für soziologisch ganz anders zusammengesetzte, westdeutsche Milieus.
Viel zu wenig Ostdeutsche haben über den Osten - und den Westen - geschrieben.
Das beeinflusst die Berichterstattung?
Selbstverständlich. Es gab über viele Jahre den Vorwurf, dass die Berichterstattung über den Osten sich in Spiegel, FAZ, Süddeutsche und Die Zeit liest wie Auslandsberichterstattung. Da kam immer irgendwer aus oder für Hamburg, München oder Frankfurt und erkundete den Osten. Viel zu wenig Ostdeutsche haben über den Osten – und den Westen – geschrieben. Auch in den Führungsetagen der Medien gab und gibt es bis heute viel zu wenig Ostdeutsche. Das ist ein ernsthaftes strukturelles Problem.
Verändert sich das nicht langsam?
Man ist inzwischen für das Thema sensibilisiert. Jahrzehntelang war es aber so, dass man sich im Grunde mit ein oder zwei ostdeutschen Edelfedern begnügte, etwa Alexander Osang beim Spiegel, Christoph Dieckmann bei der Zeit. Das waren dann Ein-Mann-Experten-Shows. Das hat sich ein bisschen geändert, es gibt mehr Ostdeutsche bei den überregionalen Printmedien. Auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk schaut man inzwischen differenzierter auf den Osten als vor 15 Jahren.
Werden die überregionalen Zeitungen im Osten inzwischen mehr gelesen?
Sie schaffen es nicht, Fuß zu fassen. Das hat auch mit der Sozialisierung zu tun, kaum jemand ist im Osten mit der Zeit oder der FAZ am Familienfrühstückstisch aufgewachsen. Außerdem war wohl auch die Dosis an Auseinandersetzung mit Themen wie Deindustrialisierung, Stasi, Treuhand, Rechtsextremismus, Doping etc. zu hoch. Und DDR-Deligitimierungsdiskurse würdigten ja auch immer ein wenig die Lebensleistungen vieler Ostdeutscher herab. Warum soll man da für ein Abo zahlen?

Sie haben vor zwei Jahren ein Diskussionspapier für die Otto-Brenner-Stiftung geschrieben unter dem Titel „30 Jahre staatliche Einheit – 30 Jahre mediale Spaltung“. Wie kam es dazu?
Als Journalist und Wissenschaftler hatte ich zum Thema gearbeitet. Mir war zwar bewusst, dass der Themenkomplex „Massenmedien im Systemwandel“ ein heißer ist, aber so richtig damit in den Ring steigen wollte ich auch nicht, weil ich immer ein wenig dachte: alles alte Hüte, es gibt Wichtigeres. Das war falsch. Ostdeutsche hätten in diese Medien-Debatten viel früher und pointierter einsteigen müssen. Aber die meisten mussten erst mal in der neuen Gesellschaft ankommen, eine Stimme finden im wissenschaftlichen wie im journalistischen Diskurs. Hier gab und gibt es große Leerstellen in der Partizipation.
Was macht diese Leerstellen aus?
Ein Beispiel: Eine kluge, kräftige, ostdeutsche Stimme, die im wichtigen Chor der überregionalen Qualitätszeitungen und -Zeitschriften ernst- und wahrgenommen wird, hat immer gefehlt. Mit dezidiert eigenen Perspektiven auf die Dinge, die es nun mal durch die Entwicklungen nach dem Beitritt gab und gibt. Das hätte auch Politik beeinflusst und vor allem die gesellschaftliche Selbstverständigung der Ostdeutschen. Vielleicht ist es das, was die Berliner Zeitung heute, Jahrzehnte später, versucht. Es gab zwar die kurze Zeit der Selbstermächtigung, in der in Ostdeutschland Anfang der 90er-Jahre unabhängige Zeitungen und Zeitschriften zu Dutzenden gegründet wurden. Aber danach entstand ein großes gesellschaftskommunikatives Defizit.
Die Regionalzeitungen in den ostdeutschen Bundesländern bilden kein Gegengewicht?
Nein. Das ist eine ganz andere Ebene. Die machen Lokal- und Regionalberichterstattung. Das ist absolut wichtig, ich will das nicht geringschätzen, ich bin selbst im Lokaljournalismus groß geworden. Aber die überregionalen Medien führen in ihren Feuilletons, in den Politik- und Wirtschaftsressorts und auf ihren Meinungsseiten die großen Debatten. Dort werden die wichtigen bundesweiten Diskurse geprägt. Es passiert ganz selten, dass eine Geschichte einer ostdeutschen Regionalzeitung überregionale Wirkung entfaltet.
Das Interesse an Aufklärung, an Perspektiven, Diskurs ist groß.
Nachdem Ihr Diskussionspapier erschienen ist, haben Sie an etlichen Bürgerdebatten im Osten über die Rolle der Medien teilgenommen. Wie war da die Stimmung?
Überraschenderweise gab es großes Interesse an dem Diskussionspapier, auch einige Interviews. Das hatte ich nicht erwartet. Ich habe dann vorgeschlagen, mit dem Thema raus aufs Land zu gehen. Um ins Gespräch zu kommen, vielleicht auch, um das ein oder andere Vorurteil und Verschwörungstheorien aufzuklären. Die Otto-Brenner-Stiftung und die Deutsche Gesellschaft haben zwei Gesprächsreihen organisiert. Ich nahm an einem Dutzend Veranstaltungen teil, meist zusammen mit anderen Wissenschaftlern und Journalisten. Die Stimmung war sehr unterschiedlich. Von einem netten Abend in einem Gesprächskreis bis zur intensiven, beleidigenden Diskussion war alles dabei.
Wenn es heiß herging, worum ging es dann?
Es kam etwa der Vorwurf, Medien seien regierungsgesteuert. Es gibt viel Unwissen über die Strukturen in Massenmedien, die Medienlandschaft, auch darüber, wie Journalismus funktioniert, was er leisten kann und was nicht. Oder Leute kamen mit ganz konkreten Beispielen aus der Freien Presse oder dem Nordkurier, mit Artikeln, über die sie sich geärgert hatten. Da wurde konkret am Beispiel über journalistische Leistungen oder Fehlleistungen diskutiert. Etliche Male ging es auch um Russland und den Krieg in der Ukraine. Es wurde gefragt, warum, wenn eine Mehrheit der Bevölkerung im Osten gegen Waffenlieferungen ist, die Medien das entgegengesetzt abbilden und zu den Waffenlieferungen geradezu applaudieren.
Wann blieb es ruhig?
Meistens. Einige Veranstaltungen waren so organisiert, dass durch die Formate der Gesprächsorganisation gleich ein wenig Wind aus den Segeln genommen wurde. Das fand ich gar nicht so gut. Wenn man sich schon mit den unterschiedlichsten Leuten zusammensetzt, muss man sich auch mal ordentlich streiten dürfen.
Eine Teilnahme an der Debatte ist erwünscht, der Eintritt ist frei.
Mittwoch, 7. Juni, 18 bis 21 Uhr, in der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt, Luisenstraße 18, 10117 Berlin. Um Anmeldung bis 4. Juni wird gebeten, per E-Mail an meine-medien@deutsche-gesellschaft-ev.de oder Telefon unter 030/88412205.
Mehr Informationen unter www.deutsche-gesellschaft-ev.de
Ist es ein gutes Zeichen, wenn die Menschen überhaupt noch über Medien diskutieren wollen?
Absolut. Die Veranstaltungen waren fast immer sehr gut besucht. Das Stadttheater in Neubrandenburg war voll. Medien-Themen brennen den Leuten unter den Nägeln. Es waren fast alle Altersschichten bei den Veranstaltungen, die etwas Älteren haben dominiert. Politische Bildung darüber, wie das Mediensystem in der Bundesrepublik funktioniert, welche Fehlstellen es hat, war hierzulande schon immer schwach ausgeprägt.
Wünschen sich die Menschen, dass sich die Medien mit ihnen und ihren Themen auseinandersetzen?
Es gibt einen Riesenbedarf an Qualitätsjournalismus, Recherche. Das Interesse an Aufklärung, an Perspektiven, Diskurs ist groß. Davon profitieren ja auch die neuen Akteure am Markt, die sogenannten alternativen Medien, die mit ihrer steten Behauptung, jetzt aber wirklich mal die ganze Wahrheit aufzudecken, teilweise sehr hohe Reichweiten erzielen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Meinungskorridore vielerorts wieder zu öffnen, zu zeigen, es geht um eben diesen offenen Diskurs, das ist es, was diese pluralistische Gesellschaft aus- und stark macht.
In der Eliten-Diskussion müssen sich die Ostdeutschen einfach stärker zu Wort melden.
Wie ließe sich das Verhältnis von den Ostdeutschen zu den Medien verbessern?
Bildung im Medienkompetenzbereich ist wichtig. Warum nicht auch in solchen Diskussionsrunden. Es muss da Angebote geben. Nicht nur in den ohnehin schon mit Veranstaltungen überfrachteten Universitätsstädten Leipzig, Potsdam, Dresden. Sondern draußen in der Fläche. Ansonsten: Misstrauen in Medien ist eigentlich schon mal gut.
Wie meinen Sie das?
Gerade bei den Entwicklungen, die wir bei Social Media sehen, etwa bei der Kontrolle und Zensur aller möglichen Plattformen, ist es wichtig, Dinge zu hinterfragen. Das trifft auch auf die etablierten Medien zu. Da dominiert teilweise Verlautbarungs- und Kolportagejournalismus statt unabhängiger Recherche. Mit all diesen Entwicklungen und Zuständen müssen sich Medienmacher als auch Rezipienten fortwährend auseinandersetzen und daran können sie wachsen.




