Mobilität

Heidekrautbahn: Warum auch dieses Projekt jetzt bei der Prüfung durchfiel

Von Gesundbrunnen sollen wieder Züge in die Schorfheide fahren. Doch was früher üblich war, gilt heute als unwirtschaftlich. Das gefährdet auch andere Vorhaben.

Unterwegs von Berlin ins nordöstliche Umland: Die Simulation zeigt einen Wasserstoffzug vom Typ Siemens Mireo H.
Unterwegs von Berlin ins nordöstliche Umland: Die Simulation zeigt einen Wasserstoffzug vom Typ Siemens Mireo H.Simulation: Siemens

Wenn neue Schienenstrecken gebaut oder alte Trassen wieder in Betrieb genommen werden, freut das die Fahrgäste. Doch der Staat darf nur dann Geld beisteuern, wenn der volkswirtschaftliche Nutzen nachgewiesen worden ist. Jetzt zeigt sich erneut, wie hoch diese Hürde sein kann, wenn es um Schienenverkehrsprojekte geht.

Nach Informationen der Berliner Zeitung hat ein weiteres Vorhaben in der Hauptstadt-Region die Prüfung nicht bestanden – obwohl es um eine Strecke geht, auf der früher jahrzehntelang Züge gefahren sind. Das hat Folgen für andere Verkehrsprojekte im Norden Berlins.

Es geht um die Heidekrautbahn, die von Berlin ins nordöstliche Umland führt. Ihren Spitznamen bekam sie, weil die 1901 erstmals befahrene Trasse die Schorfheide erschließt. Doch die Strecke hat nicht nur seit jeher Bedeutung für den Berliner Ausflugsverkehr. Wandlitz, Zühlsdorf, Basdorf und andere Orte sorgen für ein hohes Pendleraufkommen. Die weiß-blauen Dieseltriebwagen der Niederbarnimer Eisenbahn (NEB), von denen der größte Teil derzeit in Berlin-Karow endet, werden gut genutzt.

Wie berichtet soll die Heidekrautbahn eine weitere Verbindung nach Berlin bekommen. Die Stammstrecke, die einst in Berlin-Wilhelmsruh begann, wird auf 13,8 Kilometern wieder hergestellt. Mit der Trasse, die das Märkische Viertel, Rosenthal, Blankenfelde, Schildow und Mühlenbeck erschließt, lebt eine traditionsreiche Verbindung ins Umland neu auf. Dort sollen Wasserstoffzüge vom Typ Siemens Mireo Plus H stündlich mit Tempo 80 verkehren. Das Planfeststellungsverfahren läuft. Noch immer heißt es, dass der Betrieb Ende 2024 beginnt. Doch 2025 ist wohl realistischer.

Auch die S-Bahn-Strecken nach Rangsdorf und Finkenkrug kommen nicht

In Wilhelmsruh endet die Strecke 6501 neben dem S-Bahnhof. Allerdings ist der Umsteigeweg relativ weit, die Fahrgäste müssen Treppen steigen. Deshalb gehört zum Projekt Heidekrautbahn, das Teil des Nordkorridors im Investitionsprogramm i2030 ist, ein zweiter Teil: die Fortführung zum Bahnhof Berlin Gesundbrunnen in den 2030er-Jahren. Damit die Züge zu dem Fern- und Regionalbahnhof weiterfahren können, müsste ein Abschnitt der Nordbahn wiederbelebt werden. Ein Gleis wäre neu zu bauen.

Dieses Teilprojekt steht nun infrage. Wie die Berliner Zeitung erfuhr, dauert die  Wirtschaftlichkeitsprüfung noch an. Doch bei der Ersteinschätzung kam das Vorhaben dem Vernehmen nach nur auf den Nutzen-Kosten-Indikator von 0,71. Das bedeutet, dass der errechnete Nutzen hinter den kalkulierten Kosten zurückbleibt. Erst ab einem Faktor von 1,0 wäre ein volkswirtschaftlicher Nutzen gegeben, und nur dann dürften staatliche Stellen Geld geben. Doch in diesem Fall würde das Haushaltsrecht dies verbieten.

Die Gutachter haben an Stellschrauben gedreht. Aber selbst wenn mögliche Sparpotenziale realisiert würden, gäbe es keine Chance, auf einen Wert über 1,0 zu kommen, der eine Förderung durch den Bund ermöglichen würde, hieß es. 

Damit teilt die geplante Reaktivierung der Nordbahn zwischen Wilhelmsruh und Gesundbrunnen das Schicksal anderer i2030-Teilprojekte in der Region. Wie berichtet fiel auch das Vorhaben, die 1961 stillgelegte S-Bahnverbindung zwischen Blankenfelde und Rangsdorf südlich von Berlin wieder herzustellen, bei der Nutzen-Kosten-Untersuchung (NKU) durch. Mit einem Faktor von -0,44 ist es gestorben. Das Projekt, die geplante S-Bahn Spandau–Falkensee in den Ortsteil Finkenkrug weiterzuführen, scheiterte bei der NKU-Ersteinschätzung. Es wird ebenfalls nicht weiter verfolgt.

Auf der Nordbahn waren jahrzehntelang Züge unterwegs

Beobachtern fällt auf, dass Schienenverkehrsprojekte relativ häufig bei der Standardisierten Bewertung durchfallen. Jüngst wurde für den Ausbau der Franken-Sachsen-Magistrale im Südosten Deutschlands nur der Faktor 0,6 errechnet. Bis zu einer Neubewertung ruht damit auch das Vorhaben, die Strecke zwischen Nürnberg und der Grenze nach Tschechien zu elektrifizieren. Mit fatalen Folgen: Während sich auf der parallel verlaufenden Autobahn die Lastwagen drängen, ist auf der Bahn weiterhin nur ein wenig konkurrenzfähiger Dieselbetrieb möglich. Dagegen gelingt es im Fall von Straßenbauprojekten leicht, hohe Nutzen-Kosten-Faktoren zu errechnen. Ein Beispiel in Berlin ist der geplante sechsspurige Ausbau der Avus mit einem Faktor von mehr als 10.

Im Fall der Nordbahn verwundert das Ergebnis auch aus einem anderen Grund. Denn dort gab es viele Jahre lang Zugverkehr. Die 1877 eröffnete Strecke nach Oranienburg und zur Ostsee war eine wichtige überregionale Verbindung. Dort fuhren Schnellzüge nach Rostock, Personenzüge nach Neustrelitz sowie Güterzüge, die auf dem Bahnhof Eberswalder Straße (heute Teil des Mauerparks) beladen wurden. Die Niederbarnimer Eisenbahn war dort ebenfalls unterwegs. Noch nach dem Zweiten Weltkrieg konnte man vom Stettiner Bahnhof, der ab 1950 Nordbahnhof hieß, ins Heidekraut reisen.

Unklar bleibt, warum das Projekt nicht als eine Wiederinbetriebnahme eingestuft worden ist. Damit wäre grundsätzlich der Bund für das Projekt Nordbahn zuständig – und in der Pflicht. Zudem müsste der Lärmschutz nicht den hohen und kostenträchtigen Anforderungen entsprechen, die bei Neubauprojekten gelten. Wenn ein Vorhaben weniger Geld kostet, erhöht das die Chance, die Wirtschaftlichkeitsprüfung zu bestehen. 

Dass die geplante Verlängerung der Heidekrautbahn auf der Kippe steht, hat Folgen für andere Projekte. So gehen die Prognosen, mit denen im Planfeststellungsverfahren der Ausbau der Stammstrecke gerechtfertigt wird, von einer späteren Fortführung zum Bahnhof Gesundbrunnen aus. Fällt dieses Teilprojekt erst einmal weg und die Fahrgäste müssen weiterhin in Wilhelmsruh umsteigen, wird dies die Nutzerzahlen senken und die Planrechtfertigung beeinflussen. Das kann relevant werden, wenn Anwohner klagen.

Bahn plant Abstellanlage für ICE-Züge in Schönholz

Es gibt noch ein weiteres Verkehrsprojekt, das jetzt zumindest neu diskutiert werden muss: der  geplante Neubau der Bahnbrücke über der Wollankstraße im Bezirk Pankow. Dieses Vorhaben wird als notwendig angesehen – nicht nur, weil das einst fünfgleisige Bauwerk, das heute nur noch von der S-Bahn befahren wird, das Ende seiner Lebenszeit erreicht hat. Die Deutsche Bahn (DB) hat auch deshalb ein Interesse an einer neuen Brücke, weil sie im benachbarten Schönholz eine dringend benötigte Abstellanlage für ICE- und andere Fernzüge plant. Damit ihre Fahrzeuge von Gesundbrunnen aus dorthin gelangen, will die DB einen Teil der Nordbahn eingleisig neu bauen und elektrifizieren. So lautet der Plan, die Wollankstraßenbrücke abzureißen und bis 2028 neu zu bauen.

Die Eisenbahnüberführung Wollankstraße in Pankow: Früher fuhren hier Schnellzüge nach Rostock – und Züge der Niederbarnimer Eisenbahn. Doch was früher normal war, gilt jetzt als unwirtschaftlich.
Die Eisenbahnüberführung Wollankstraße in Pankow: Früher fuhren hier Schnellzüge nach Rostock – und Züge der Niederbarnimer Eisenbahn. Doch was früher normal war, gilt jetzt als unwirtschaftlich.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Bisher war vorgesehen, die neue Überführung für zwei Gleise auszulegen: ein Gleis für Fahrten zur Abstellanlage – und vorsorglich ein Gleis, auf dem die Heidekrautbahn später fahren kann. Darauf hatten sich das Land Berlin und die DB geeinigt, so wurde das Projekt genehmigt. Berlin sagte zu, 14,5 Millionen Euro beizusteuern. Angesichts von Kostensteigerungen berechnete die Bahn den Landesanteil neu: fast 40 Millionen Euro. 

Absage führt bei i2030 zu schlechter Stimmung

Doch dem Vernehmen nach lehnt es Berlin ab, so viel Geld für eine Vorsorgemaßnahme zu bezahlen. Damit nicht genug: Die jetzt von Senatorin Manja Schreiner (CDU) geleitete Verwaltung hat ihre Zusage, zumindest 14,5 Millionen Euro beizusteuern, inzwischen ersatzlos zurückgezogen. Weil für die Fortführung der Heidekrautbahn kein volkswirtschaftlicher Nutzen nachgewiesen werden könne, wäre es unwahrscheinlich, dass die Heidekrautbahn jemals über Wilhelmsruh hinaus fahren wird, hieß es.

Damit steht das Brückenbauprojekt kurz vor dem geplanten Start wieder auf Anfang – was die Atmosphäre bei i2030, das sich als partnerschaftliches Gemeinschaftsprojekt von Berlin, Brandenburg und der DB versteht, nicht gerade verbessert. Wie geht es weiter? Würde der Fern- und Regionalbahnteil anders als bisher projektiert nur eingleisig gebaut, müsste umgeplant werden, hieß es bei der Bahn. Das kostet nicht nur Geld, es beträfe wohl auch das Planrecht für das Vorhaben. Andere Beteiligte regen an, die Heidekrautbahn über Karow zum Gesundbrunnen fahren zu lassen – dann müsste die Nordbahn für die NEB nicht reaktiviert werden. An dieser Trasse entsteht der Umsteigebahnhof Karower Kreuz, damit sei sie attraktiver als die Nordbahn.

Diskussionsstoff gibt es auf jeden Fall genug. In der kommenden Woche wollen die i2030-Partner erneut über das Thema sprechen. Es gebe „umfangreiche Abstimmungen“, teilte die Senatsverkehrsverwaltung mit. Solange möchte sie sich nicht zu dem heiklen Thema äußern.