Der Hackesche Markt und die umliegenden Straßen sollen autofrei werden. „Wir prüfen, was machbar wäre“, sagt Almut Neumann (Grüne), die zuständige Stadträtin in Mitte. Inzwischen wurde bekannt, dass der Bezirk und die Senatsverwaltung von einer schlagkräftigen Organisation unterstützt werden, die sich Naturschutz, saubere Luft und die Mobilitätswende auf die Fahnen geschrieben hat.
Jetzt hat die Deutsche Umwelthilfe erstmals öffentlich erklärt, warum es für sie ein wichtiges Leuchtturmprojekt ist, den Hackeschen Markt in einen Fußgängerbereich zu verwandeln. Der Umwelt- und Verbraucherschutzverband skizzierte auch, wie er der Verwaltung helfen möchte. Inzwischen haben alle drei Seiten eine Absichtserklärung unterzeichnet.
„Wir wünschen uns in Mitte mehr Bereiche für Fußgänger. In diesem Zusammenhang haben wir auch den Hackeschen Markt in den Blick genommen.“ So hatte es Almut Neumann erst kürzlich im Gespräch mit der Berliner Zeitung bekräftigt. Das Altbauquartier unweit vom Alexanderplatz wird von vielen Fußgängern frequentiert, es ist eines der wichtigsten Einkaufs- und Ausgehviertel in Berlin.
Es würde diesen Bereich „enorm entspannen“, wenn dort keine Autos mehr fahren dürfen, so die Grünen-Politikerin aus Mitte. „Natürlich muss dort Lieferverkehr möglich sein.“ Auch Straßenbahnen und Fahrräder sollten sich weiterhin bewegen können, so die Stadträtin.
Die meisten Menschen sind zu Fuß unterwegs – aber Autos haben mehr Platz
Zu einer ähnlichen Analyse kommt auch die Deutsche Umwelthilfe, kurz DUH, deren Bundesgeschäftsstelle am Hackeschen Markt liegt. „Obwohl der Fußverkehr mit großem Abstand die dominierende Verkehrsart im Umfeld des Hackeschen Markts ist, nimmt das Auto einen großen Teil des öffentlichen Raums ein, vor allem in den umliegenden Straßen“, skizziert Hanna Rhein, Referentin für städtische Mobilität, Verkehr und Luftreinhaltung.
Die Straßenbahn steckt im Stau, Radfahren ist gefährlich, weil man sich zwischen Autos und Straßenbahnschienen entlangschlängeln muss, kritisiert die DUH-Mitarbeiterin. „Darüber hinaus mangelt es an grüner Infrastruktur, die bestehenden Parks und Grünanlagen sind überlastet.“ Daher gebe es kaum ein Gebiet in Berlin, das von einer Umverteilung des öffentlichen Raums und mehr Platz für öffentlichen und aktiven Verkehr und grüne Infrastruktur in einem solchen Umfang profitieren könnte. Rhein: „Aufgrund der zentralen Lage in Berlin und der hohen touristischen Bedeutung wäre es ein Leuchtturmprojekt, zu zeigen, wie sehr die Menschen, Geschäfte und Gastronomie davon profitieren, wenn der öffentliche Raum vom Auto entlastet wird.“
Projektantrag gemeinsam mit der Technischen Universität Berlin
Um dieses Projekt in Gang zu setzen, hat sich die Umwelthilfe an die ICLEI gewandt. Diese Abkürzung steht für International Council for Local Environmental Initiatives. Es war der erste Name des Verbands Local Governments for Sustainability, in dem sich Kommunen weltweit für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung einsetzen.
„Wir haben gemeinsam mit der Technischen Universität Berlin, dem Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung mit Professor Oliver Schwedes, einen Projektantrag beim ICLEI Action Fund eingereicht“, berichtet Hannah Rhein. Noch im Dezember könnte entschieden werden, ob der Antrag bewilligt wird. „Angestrebt ist, ein Verkehrswendeprojekt des Bezirks Mitte, idealerweise das Gebiet um den Hackeschen Markt, zu begleiten und zu identifizieren, wie eine schnelle und nachhaltige Transformation eines zentralen Stadtgebietes durchgeführt werden kann.“ Das Projekt soll nachhaltige Mobilität mit anderen relevanten Themen wie Klimaanpassung, soziale Gerechtigkeit und Bürgerbeteiligung verknüpfen, erklärt die DUH-Referentin.
Die Senatsverwaltung für Mobilität unterstützt das Vorhaben
Geplant sei ein neuer Ansatz, bei dem quantitative und qualitative Daten kombiniert werden, um die Aussagekraft zu verbessern, führt Rhein aus. Dabei sollen Indikatoren entwickelt werden, die sich auch auf andere Stadtgebiete übertragen lassen. Dazu zählen „Walkability“ und „Bikeability“ – Messgrößen, die beschreiben, wie attraktiv und sicher es ist, sich in einem Bereich zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu bewegen. Es geht auch um „Street Space Justice“, also um die Frage, ob Straßenraum gerecht aufgeteilt ist.
„Die DUH wäre primär mit der Erhebung von Verkehrs- und Umweltdaten wie Luftbelastung, Lärm, Verkehrsmengen, Hitze- und Temperaturmessungen sowie der Kommunikation, Verbreitung und Reproduzierbarkeit befasst“, sagt Hanna Rhein weiter. So könnte der Verband unabhängige Gutachter beauftragen, die Verkehrszählungen durchführen.
Um den Antrag vorzubereiten, habe die Umwelthilfe mit dem Bezirk Mitte in Person von Stadträtin Neumann gesprochen, hieß es. Dabei ging es um die fußgängerfreundliche Umgestaltung des Hackeschen Markts. „Bezirk und Senat sind aber in jedem Fall für die Planung und Umsetzung von Verkehrsberuhigungsmaßnahmen auf der Straße verantwortlich. Das Projektkonsortium würde dabei begleiten, beraten und evaluieren.“

Für den Projektantrag haben der Bezirk Mitte als auch die Senatsverwaltung für Mobilität, vertreten von Staatssekretärin Meike Niedbal, ein Unterstützungsschreiben erstellt. Eine Sprecherin von Senatorin Bettina Jarasch (ebenfalls Grüne) bestätigte dies. „Hierzu gibt es einen gemeinsamen ‚Letter of Intent‘“, teilt Sara Lühmann auf Anfrage mit. Ziel sei die Entwicklung einer Strategie für ein fußgängerfreundliches Quartier am Hackeschen Markt, bekräftigt sie.
„Seit wann werden wir von der DUH regiert?“
Die Deutsche Umwelthilfe hat mit Erfolgen vor Gericht immer wieder Schlagzeilen gemacht – zum Beispiel, als es darum ging, Abgasskandale bei Autoherstellern aufzudecken oder Behörden zur Einhaltung von Luftreinhaltestandards zu zwingen. Allerdings muss sich der gemeinnützige Verein auch immer wieder Kritik gefallen lassen. So hat die DUH durch „Marktüberwachung“, also aus Abmahnungen und Vertragsstrafen, hohe Einkünfte erzielt. Doch der Verband handele nicht rechtsmissbräuchlich, zudem sei er klagebefugt, urteilte der Bundesgerichtshof 2019.
Nachdem die Berliner Zeitung darüber berichtet hatte, dass die Deutsche Umwelthilfe am Projekt Hackescher Markt mitwirken soll, gab es bei Twitter erst Diskussionen. „Seit wann werden wir von der DUH regiert?“, lautete ein Tweet. Es gab aber auch ironische Konter: „Verkehrsplanung hat in Deutschland gefälligst der ADAC zu machen!“
Selbst die FDP sieht das Vorhaben derzeit noch positiv
Im Grundsatz stoßen die Ideen für einen autofreien Hackeschen Markt derzeit noch auf Zustimmung. Selbst bei der FDP, die Mobilitätswende-Experimenten sonst eher skeptisch gegenübersteht – wie die Kritik am geplanten Fußgängerbereich in der Friedrichstraße belegt. „Ein autofreier Hackescher Markt wäre toll. Wir arbeiten an einem Gesamtverkehrskonzept, das Fahrrad- und motorisierten Liefer-, Berufs- und Privatverkehr berücksichtigt: funktionierende Weltstadt für die Menschen“, twitterte die FDP Hackescher Markt. Das Projekt Hackescher Markt könnte gut werden, wenn die Fehler aus der Friedrichstraße nicht wiederholt werden, twitterte Max Landero, SPD-Politiker in Mitte. Der Sozialdemokrat verlangt „Anwohner:innenbeteiligung, unabhängige Begleitung und Evaluation des Projekts, keine Wahlkampfschnellschüsse“.
Ein Abschnitt der Friedrichstraße war 2020 für Kraftfahrzeuge gesperrt worden, der gewonnene Platz wurde Fußgängern und Radfahrern zugeschlagen. Doch das inzwischen vorerst wieder aufgehobene Durchfahrverbot war bei Anrainerverbänden auf Kritik gestoßen. Eine richtige Bürgerbeteiligung habe es nicht gegeben, dieses Projekt der Mobilitätswende sei den Anwohnern übergeholfen worden, hieß es. Bei künftigen Vorhaben müsse das anders werden, fordern sie und andere Beobachter.







