Mobilität

Mehr Platz für Fußgänger in Berlin: Wann kommt die autofreie Ausgehmeile?

Als erstes und einziges Bundesland hat Berlin die Förderung des Fußverkehrs gesetzlich verankert. Aber die Umsetzung der Ziele geht nur langsam voran.

Fußgänger in Berlin. Fast ein Drittel der Wege in der Stadt werden im Gehen zurückgelegt.
Fußgänger in Berlin. Fast ein Drittel der Wege in der Stadt werden im Gehen zurückgelegt.imago/Frank Sorge

Zum Schrippenholen. Zum U-Bahnhof. In den Park. Oder einfach nur um den Block, um sich während eines langen Homeoffice-Einsatzes zumindest etwas zu bewegen. Tag für Tag legt fast jeder Berliner Wege zu Fuß zurück. Manche sind kurz, andere länger. Die meisten haben einen klaren Zweck. Doch Berlin mit seinen breiten Gehwegen und vielen Grünanlagen ist auch die Stadt, in der Schriftsteller wie Franz Hessel und Walter Benjamin das Flanieren zu Literaturrang verholfen haben.

„Täglich werden rund sieben Millionen Wege in Berlin zu Fuß erledigt“, sagt der Linke-Politiker Niklas Schenker. „Das sind 30 Prozent aller Wege überhaupt.“ Damit ist das Gehen die wichtigste Fortbewegungsart in der Stadt. Zwar hat Berlin als erstes und bislang einziges Bundesland die Förderung des Fußverkehrs gesetzlich verankert. Es sieht Modellprojekte wie eine autofreie Ausgehmeile unweit vom Savignyplatz in Charlottenburg vor. Doch die Umsetzung geht nur langsam voran, und von den 24 neuen Personalstellen für Fußverkehrsplaner wurden bisher nur fünf besetzt.

Land Berlin investiert mehr als 31 Millionen Euro

Das Mobilitätsgesetz trägt der Bedeutung des Zu-Fuß-Gehens Rechnung – mit einem eigenen Abschnitt zum Fußverkehr. „Er wurde im vergangenen Jahr beschlossen“, so Schenker, der in der Linke-Fraktion für das Thema zuständig ist. Zu den Themen gehören Fußverkehrsnetze, die Führung des Fußverkehrs an Baustellen und Fahrbahnquerungen. So heißt es: „Grundsätzlich sollen zwei hintereinanderliegende Fußgängerfurten, die durch eine Mittelinsel oder einen Fahrbahnteiler getrennt und mit einer Lichtzeichenanlage gesichert sind, in einem Zug gequert werden können.“ Eine gesetzliche Forderung, die vielerorts in Berlin Änderungen erfordern würde.

Paragraf 58, Absatz drei, sieht vor, dass Senat und Bezirksämter zwölf Modellprojekte anschieben. „Dafür investiert das Land Berlin 31,5 Millionen Euro“, sagte der Abgeordnete. „Mehr Kiezblocks oder autofreie Flaniermeilen bringen, wenn sie gut geplant und zügig umgesetzt werden, mehr Lebensqualität in die Kieze.“

Die Antwort des Senats auf eine Anfrage Schenkers zeigt allerdings, dass die Probleme in der Berliner Verwaltung auch diesen Teil der Mobilitätspolitik betreffen. So befinden sich mehrere Vorhaben noch in der Vorbereitungsphase, wie Staatssekretärin Meike Niedbal (Grüne) darstellte.

Grolmanstraße in Charlottenburg soll dauerhaft für Autos gesperrt werden

Ein Beispiel ist die geplante autofreie Ausgehmeile in der Grolmanstraße, die 900.000 Euro kosten soll. Der von Gastronomie und Nachtleben geprägte Abschnitt zwischen der Pestalozzistraße und dem Savignyplatz wird dauerhaft für den motorisierten Individualverkehr gesperrt, hieß es. „Breitere Bürgersteige schaffen mehr Platz für Fußgänger:innen und für weitere Tische und Stühle der Restaurants und Cafés. So entsteht ein attraktiver Raum für Anwohner:innen und Gäste.“ Derzeit läuft eine  Machbarkeitsstudie, die in den nächsten Monaten abgeschlossen werden soll. „Die weitere Zeitschiene für die Umsetzung der Ergebnisse ist abhängig von der Finalisierung der Machbarkeitsstudie und somit noch nicht seriös belegbar“, so das Bezirksamt.

Ähnlich sieht es mit der vorgesehenen Klimastraße im Bezirk Pankow aus. Die derzeit noch baumlose Hagenauer Straße in Prenzlauer Berg soll für eine Million Euro zur „Klimastraße“ werden. Vorgesehen sind unter anderem die Umwidmung von Parkplätzen (von denen es dort derzeit noch rund hundert gibt), Begrünung und die „Schaffung neuer Aufenthalts- und Begegnungsräume“, so der Senat. Doch bis es dazu kommt, werden ebenfalls noch Jahre vergehen. „Es wurde eine Machbarkeitsstudie beauftragt, die verschiedene Umsetzungsvarianten untersuchen soll“, so Niebal. „Mit Ergebnissen ist bis Ende des Jahres 2022 zu rechnen.“

Platzvergrößerungen in Steglitz und Schöneberg

In Kreuzberg ist geplant, die Bergmannstraße zur „autofreien Straße“ zu machen. Erwartete Kosten: elf Millionen Euro. Erste Querungsmöglichkeiten für Fußgänger wurden geschaffen, in Kürze startet ein öffentlicher Gestaltungswettbewerb, berichtete die Staatssekretärin.

In Steglitz soll der Hermann-Ehlers-Platz gegenüber vom Rathaus umgestaltet und vergrößert werden – für geschätzte 2,3 Millionen Euro. Dazu werden derzeit Vorplanungsunterlagen erstellt, so der Senat. Das Gleiche ist für den Barbarossaplatz in Schöneberg geplant. Für das 1,2-Millionen-Euro-Projekt erstellen zwei Studierende einen Planungsentwurf, der noch dieses Jahr fertig werden soll.

Immerhin: Einige Projekte haben bereits sichtbare Ergebnisse gebracht. In Teilen des Bezirks Marzahn-Hellersdorf, in denen es Straßen ohne Bürgersteige gibt, sollen Gehwege entstehen, teilte die Senatsverwaltung mit. Eine erste Anlage dieser Art wurde in der Weißenhöher Straße fertiggestellt, ein Gehweg im Waldbacher Weg befindet sich im Bau, so Meike Niedbal. Planungsbüros sollen Unterlagen für neue Gehwege in Mahlsdorf und Biesenhorst fertigstellen.

In Reinickendorf gibt es nicht mal ein Stellenbesetzungsverfahren

In allen Bezirken sollen zwei Vollzeitstellen für die Förderung des Fußverkehrs eingerichtet werden. Doch eine Umfrage des Senats, an der bis auf Pankow alle zwölf Bezirksämter teilnahmen, erbrachte ein ernüchterndes Ergebnis. Nur in Friedrichshain-Kreuzberg sowie Charlottenburg-Wilmersdorf konnten beide Stellen besetzt werden, in Spandau wenigstens eine. In allen anderen Bezirken gelang dies bislang nicht. In Reinickendorf gab und gibt es nicht einmal ein Stellenbesetzungsverfahren.

„Wir brauchen dringend sichere Gehwege, mehr Aufenthaltsqualität und Flächengerechtigkeit für Fußgänger:innen“, sagte Niklas Schenker. „Nicht nur beim Ausbau von Radwegen, auch bei der Förderung des Fußverkehrs wäre dringend mehr Tempo geboten. Eine Projekteinheit Fußverkehrsförderung könnte analog wie beim Radverkehr mehr Geschwindigkeit in die Umgestaltung der Kieze bringen.“