Gerichtsprozess in Berlin

Polizeigewalt in Spandau: Richter glaubt Polizisten, die ihre Kollegen anzeigten

Trotz der Gedächtnislücken der Zeugen befindet der Richter, dass Polizisten andere Polizisten nur aus gutem Grund anzeigen. Die Beschuldigten werden verurteilt.

Die Angeklagten Benjamin S. und Daniel M. (v. l.) verweigerten die Aussage.
Die Angeklagten Benjamin S. und Daniel M. (v. l.) verweigerten die Aussage.Pressefoto Wagner

Ein dunkelhaariger, junger Mann beugt sich tief über einen der Tische im Gerichtssaal, seine Handgelenke presst er auf dem Rücken zusammen. So haben ihn die Polizisten auf die Motorhaube gedrückt, sagt er. Doch daran erinnert sich der 22-Jährige nur auf Nachfrage des Richters. „Das weiß ich nicht mehr“, ist wohl eine der häufigsten Aussagen der acht verschiedenen Zeugen in dem über siebenstündigen Prozess am Mittwoch. Trotzdem ist der Richter am Ende überzeugt, dass einer der angeklagten Polizeibeamten gewalttätig geworden sei und der andere ihn gedeckt habe. Denn drei andere Polizisten haben Anzeige erstattet. Ihnen glaubt er.

Die Beamten waren am 7. Juli auf der Suche nach einem Verdächtigen, der am Tag zuvor eine Frau mit dem Messer bedroht haben soll. Die Frau rief die Polizei, weil sie den Mann in den Spandauer Arcaden wiedererkannt haben will. Daraufhin suchten mehrere Polizeistreifen in der Gegend nach ihm. Zu Beginn des Prozesses spielt der Richter die teils schwer verständlichen Funksprüche ab, die dieses Ereignis belegen.

Im Kriminalgericht in Moabit sitzen Daniel M. und Benjamin S. hintereinander neben der Anklagebank im Saal 572. Die Stühle wirken ganz klein unter den großen Männerkörpern, ihre Rücken sind dem Publikum zugewandt. Der etwa zwei Meter große Daniel M. soll bei einer Festnahme am 7. Juli 2021 einem jungen Mann vor den Spandauer Arcaden ins Gesicht geschlagen, und seinen Kopf auf die Motorhaube gestoßen haben, so dass eine Delle im Dienstwagen entstanden sei. Sein Kollege Benjamin S. war an diesem Tag mit ihm auf Streife und hat laut Staatsanwalt zum Tathergang falsch ausgesagt. Vor Gericht schweigen beide.

Zwei Polizistinnen, eine davon in Zivil und eine in Uniform, bezeugen nacheinander, wie ihr Einsatz abgelaufen sei: Über Funk hörten sie, dass es eine Festnahme gab und fuhren zum Brunnsbütteler Damm, um den Kollegen zur Hilfe zu eilen.

Richter und Verteidiger stellen viele Fragen, die Zeugin in Zivil steht daraufhin auf und zeichnet die Lage der beiden Fahrzeuge, der Festgenommenen und der Polizisten auf.

Übereinstimmend, aber mit Gedächtnislücken

Der Verdächtige lag demnach bei ihrer Ankunft bereits auf dem Bauch, beide Hände gefesselt auf dem Boden. Benjamin S. kniete zu seinen Füßen neben ihm und durchsuchte ihn. Ein Klappmesser wurde gefunden und ein altes Handy. Daniel M. kam von der Fahrerseite des Wagens, kniete sich hin und schlug dem Gefesselten mit der flachen Hand ins Gesicht. Dieser habe sich nicht gewehrt, nur „permanent“ über Schmerzen geklagt, berichtet die Polizistin in Uniform weiter. Dann riss Daniel M. den Festgenommenen ohne Ansprache hoch, führte ihn zum Wagen und habe ihn auf die „Motorhaube gehauen“. Schließlich nahm der Angeklagte seinen Kopf und drehte ihn mit beiden Händen zur anderen Straßenseite, damit die damalige Geschädigte, die dort mit zwei weiteren Beamten stand, ihn identifizieren konnte. Den ganzen Einsatz beschreiben die beiden als zwei und fünf bis zehn Minuten lang. „Es ging alles so schnell“, sagen beide.

Auch der dritte Kollege berichtet übereinstimmend, wenn auch mit mehr Gedächtnislücken: Er ist sich nicht sicher, wann genau die Durchsuchung stattfand, wie M. den Kopf gedreht hat. Er sei teilweise abgelenkt gewesen: Eine Passantin kam während dieser Zeit vorbei und sagte „Lasst ihn in Ruhe, er ist doch auch nur ein Mensch“, der dritte Kollege bat sie weiterzugehen. 

Der Polizist habe sich seine Aussage nicht noch einmal durchgelesen, sagt er, und stehe auch nicht mehr mit den damaligen Kolleginnen in Kontakt. Das wiederum überzeugte den Richter umso mehr von seiner Glaubwürdigkeit.

Zweifel am Ablauf kommen erst auf, als der Geschädigte den Saal betritt. Die „vorsichtshalber“ anwesende arabische Dolmetscherin braucht er nicht. In fließendem Deutsch sagt er: „Herr Richter, ich weiß gar nicht, worum es hier eigentlich geht.“ Dann beugt er sich zur Seite. Er versucht einen Blick auf die Gesichter der Angeklagten zu werfen. Der Richter erinnert ihn an die Festnahme im Juli.

„Mein Kopf tat weh“

Von dem Schlag mit der flachen Hand wisse er nichts mehr. Er sagt zwar, sein Kopf habe wehgetan, die Beamten hätten ihn bei der Festnahme zweimal auf den Boden geschlagen. Zusätzlich beschreibt er mit vollem Körpereinsatz, wie sie ihn auf die Motorhaube drückten – an diese Situation erinnert er sich offenbar aber nicht mehr in Verbindung mit einem Schlag seines Kopfes auf das Auto. Ja, er habe ein Messer dabeigehabt. Aber nein, er habe die Frau in den Arcaden nicht bedroht, das habe sie selbst in einem späteren Prozess bestätigt. Die Frau sagt danach aus, erinnert sich aber noch weniger an genaue Abläufe.

Für die Angeklagten sieht es trotzdem „schlecht aus“, wie der Richter es formuliert. Eine Kriminalbeamtin erläutert, was sie zum Fall bereits ausgesagt haben. Darunter ist die Aussage von Daniel M., der Schlag ins Gesicht sei ein „Schmerzreiz“, weil sich der gefesselte junge Mann gewehrt habe. Der Richter sieht keinen Grund für die Polizeibeamten der Bereitschaftspolizei, falsch auszusagen, da keine persönlichen Verbindungen bestehen. Im Gegenteil, der Korpsgeist stehe dem entgegen, wie sich auch im Verfahren zeigte.

Der männliche Polizist, der die Passantin beruhigte, spricht bei seiner Aussage von einem „mulmigen Bauchgefühl“. Und davon, dass er bereits beim Gespräch im Dienstwagen vorhatte, den Vorfall anzuzeigen. Die beiden Polizistinnen bemängeln dagegen, dass ihre Vorgesetzte die Anzeige beim entsprechenden Abschnitt telefonisch ankündigte, „ohne nochmal mit uns darüber zu sprechen“.

Beide sagen, dass sie sich zu dem Zeitpunkt noch nicht sicher waren, ob sie die Taten anzeigen wollten, lediglich ihr Kollege sagt, dass er es vorhatte. Die Jüngere der beiden war damals gerade erst mit der Ausbildung fertig. Sie habe gehört, „dass wir uns auf dem Abschnitt nicht mehr blicken lassen sollen“, sagt sie. „Und es vergessen könnten, falls wir vorhatten zu wechseln.“

Der Staatsanwalt fordert sieben Monate für beide Angeklagte, die zur Bewährung ausgesetzt werden können. Richter und Staatsanwalt sind sich einig, dass besonders der Schlag ins Gesicht unnötig war, egal, ob es Gegenwehr gab. Beide Verteidiger pochen wegen widersprüchlicher Aussagen auf einen Freispruch. Das Urteil lautet sieben Monate auf Bewährung für beide, das Gesetz fordert im Allgemeinen sogar eine höhere Strafe für Strafvereitelung als für Körperverletzung. Die Angeklagten müssen von heute an zwei Jahre lang straffrei bleiben. Zudem sind wohl dienstrechtliche Folgen für die Polizisten zu erwarten.