Energiekosten

„Wir zahlen nicht“: So will eine Initiative die Stromkosten senken

Die Mitglieder einer neu gegründeten Initiative aus Berlin wollen nicht länger die Milliardengewinne von Energiekonzernen finanzieren. Wie groß sind ihre Chancen?

Viele Berliner können sich die Stromkosten nicht mehr leisten.
Viele Berliner können sich die Stromkosten nicht mehr leisten.imago/Emmanuele Contini

Plakate im schwarz-gelben Warnband-Design weisen am Dienstag den Weg in den Roten Salon der Volksbühne. Hier, wo sonst Berliner tanzen und trinken, startet die Initiative Wir zahlen nicht ihre Kampagne. Deren Gründer fordern Menschen auf, ihre Zahlungen für Stromkosten kollektiv zu senken und gegebenenfalls zu verweigern. Vorbild ist die Initiative Don’t Pay UK aus Großbritannien, die in den gleichen Warnfarben wirbt. Seit Dezember verweigern dort rund 260.000 Menschen die Zahlungen für Strom und Gas. Die Initiative in Deutschland will ab einer Million Eintragungen loslegen.

Auf dem Podium im Roten Salon sitzen zwei junge Frauen der Initiative, neben ihnen die Armutsbetroffene Nicole Lindner, die sich im Bündnis gegen Obdachlosigkeit und Zwangsräumung engagiert. Lindner spricht von „Existenzangst“, denn die Energiekosten würden ihre gesamte Rente verschlingen: Der Abschlag für Gas sei von 85 Euro auf 245 Euro und der Strompreis von 29 Cent auf 49 Cent/kWh gestiegen.

„Alles, was zur Daseinsvorsorge gehört, muss gemeinnützig sein und vergesellschaftet werden“, sagt Lindner. „Da hat die Politik seit Jahrzehnten geschlafen.“ Lindners Stimme schwillt an. Sie spricht von Menschen, die sich wegen dieser Ängste das Leben nehmen könnten. Weil die Gaspreise in Deutschland oft an die Mietzahlungen gekoppelt sind, konzentriert sich die Initiative auf den Strompreis – niemand solle deswegen die Wohnung verlieren.

So geht die Initiative vor

Die Sprecherin von Wir zahlen nicht, Marie Bach, erklärt, dass die Initiative durch einen bundesweiten solidarischen Zusammenschluss etwas gegen die Preissteigerungen tun wolle: Sobald eine Million Teilnehmerinnen und Teilnehmer gefunden worden seien, würden diese ihre Abschläge auf nur 15 Cent/kWh für den Warnstreik senken. Zum Vergleich: Das ist deutlich weniger, als die kommende Strompreisbremse von 40 Cent/kWh für 80 Prozent des Stromverbrauchs vorsieht. Erfüllt die Politik dann die Forderungen nicht, ist ein Vollstreik vorgesehen. Dabei will die Initiative flexibel bleiben, sich untereinander vernetzen und abstimmen.

Die Forderungen der Initiative sind: 100 Prozent erneuerbare Energie und die Vergesellschaftung der Energiekonzerne. 15 Cent/kWh sei der derzeitige durchschnittliche Preis für erneuerbare Energien, der laut Studien voraussichtlich weiter sinken wird, sagt Bach und fordert: „Keine Profite mit Grundbedürfnissen.“

Die Initiative hinterfragt etwa die Struktur der Strommärkte grundlegend, die nach dem sogenannten Merit-Order-Prinzip funktionieren. Das heißt, dass sich der Strompreis an den im Moment teuersten Energiequellen orientiert, aus denen Strom produziert wird. Im letzten Jahr haben die großen Stromkonzerne wegen der hohen Gas- und Kohlepreise Milliardengewinne eingefahren, E.on den Berichten zufolge etwa von Januar bis September 2022 4,3 Milliarden Euro. Vattenfall verzeichnete eine Umsatzsteigerung von 38 Prozent, und RWE konnte seinen Gewinn im Vergleich zum Vorjahr mit 2,1 Milliarden Euro verdoppeln. Erneuerbare Energien sind in der Produktion die günstigsten, fossile Energien teurer, sie treiben demnach die Preise in die Höhe.

Die Strompreisbremse und den Härtefallfonds, die das Bundesministerium für Wirtschaft als Entlastung der Verbraucher vorsieht, finanziert die Gesamtgesellschaft. So finanzieren Steuerzahler die Gewinne der Energiekonzerne mit, sagt Bach. Sie studiert und jobbt nebenbei. Bach und viele ihrer Mitstreiterinnen könnten die Preise noch zahlen, sagt sie, wenn sie an anderer Stelle „massiv sparen“. Aber sie wollen es nicht.

Die Masse soll schützen

Alle, die mitmachen möchten, können sich ab sofort auf der Website wirzahlennicht.info mit E-Mail und Postleitzahl eintragen. Die Website ging am Dienstag online, bisher (Stand Dienstagnachmittag) haben sich knapp 200 Menschen eingetragen. Das gleichzeitige Aussetzen der Zahlung als „kritische Masse“ soll einen Schutz bieten, erklärt Bach: „Die Abschaltung von Strom funktioniert nicht per Mausklick.“ Es müsse ein Techniker in den Haushalt kommen, der die Zufuhr abklemmt. Die Initiative spekuliert, dass das bei so vielen Haushalten gleichzeitig unmöglich ist und die Regierung dem politischen Druck nachgibt.

Historische Vorbilder sind unter anderem eine niederländische und eine italienische Initiative, die mit ihrem Zahlungsstreik bezüglich Energiepreisen in den 70er-Jahren Erfolge erzielten. In den Niederlanden schaffte die Regierung daraufhin eine spezielle Abgabe für neue Atomkraftwerke wieder ab. Die Regierung in Italien wagte es nicht, zehntausenden Menschen den Strom abzustellen, und die Kostenerhöhungen konnten stark vermindert werden.

Bach argumentiert weiter, dass der Strompreis für den Grundbedarf hoch sei, während Großabnehmer Vergünstigungen bekommen: Multimillionäre heizen also in der Krise weiterhin ihren Pool – das reichste Zehntel der in Deutschland lebenden Menschen verbrauche jährlich etwa so viel Energie wie die ärmsten 40 Prozent, sagt Bach: „Es braucht diese Art von Protest, damit sich etwas ändert!“

Was jedoch auch passieren kann: Wer seine Stromrechnung nicht bezahlt, bekommt zunächst eine Mahnung, und im schlimmsten Fall kann das Unternehmen den Strom abstellen. Laut Bundesnetzagentur wurde im Jahr 2021 etwas weniger als 235.000 Haushalten der Strom gesperrt.